Der Nippon-Alpenexpress ist zurück!
Nach rund zehnjähriger Abstinenz schickt Honda einen prominenten Namen zurück in den Ring. Die Transalp, welche erstmals 1987 das Licht der Welt erblickte, wurde zuletzt 2012 als NT 700 V (RD15) noch mit V-Motor angeboten, ehe Honda sich der großen V4-Offensive verschrieb und der deutlich potentere Crossrunner die abenteuerlustige Kundschaft unterhalb von Crosstourer und Varadero abholen sollte.
Doch der Erfolg des kleineren V4 wollte sich im Adventure-Segment nie so recht einstellen. Stattdessen schossen bei der Konkurrenz leistungsstarke Parallel-Twins im mittleren Hubraumsegment wie Pilze aus dem Boden, und zwangen so auch Honda zu einer Reaktion: Herausgekommen ist dabei neben der neuen CB 750 Hornet auch die wiederbelebte XL 750 Transalp, welche sich beide den neuen 755-cm³-Parallel-Zweizylindermotor mit 8 Ventilen teilen, der bei 9.500 U/Min. stramme 92 PS ans Hinterrad schickt.
Mit der Transalp will man bei Honda die Lücke füllen, die sich zwischen der ebenfalls leichten, aber dennoch wuchtigeren Africa Twin und der deutlich mehr der Straße verpflichteten NC 750 X auftut. Ein Motorrad für alle Tage, mit dem man trotzdem mal einen Schotterweg oder eine Motorradreise angehen kann, ohne gleich das große Offroad-Besteck aufzufahren.
Dass die XL 750 auch mal abseits befestigter Straßen bewegt werden darf, macht schon die Kombination aus großen 21/18 Zoll Vorder- und Hinterrad mit Aluminium-Speichenfelgen und Dunlop Trailmax Mixtour Bereifung deutlich. Dazu gesellt sich mit der Showa 43 mm Upside-Down-Gabel (Federweg 200 mm) und der Hinterradschwinge mit Pro-Link-Umlenkung und Mono-Stoßdämpfer (Federweg 190 mm) ein durchaus potentes Fahrwerk. Die Bodenfreiheit gibt Honda mit 210 mm an.
Gregor bei einer Fahrtestpause. Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nahe liegt bzw. steht?
Ebenfalls neu an der Transalp ist der sogenannte „Diamant“-Stahlrahmen, der gerade einmal 18,3 kg auf die Waage bringt und erheblich zum erfreulich niedrigen Gesamtgewicht von 208 kg (fahrfertig) beiträgt. Die Sitzhöhe von 850 mm ist für eine Mittelklasse-Reiseenduro so weit normal, kleinere Fahrer werden hier trotz des akzeptablen Bogenmaßes der Sitzbank Probleme bekommen.
Doch genug der drögen Daten, es wird Zeit für eine Ausfahrt, auch wenn es für die Alpenüberquerung heute nicht reicht. Lautstark und kernig teilt der Reihentwin mit 270° Hubzapfenversatz nach dem Druck auf den Starterknopf seine Arbeitsbereitschaft mit. Zwar hackt er auch bei milden 2.000 U./Min. nicht auf der Kette herum, echten Schub gibt es aber erst ab rund 3.000 Touren. Im normalen, touristischen Fahrbetrieb kommt man flott voran, wenn man zwischen 4- und 5.000 U/Min. den nächsten Gang einlegt. Für Überholmanöver ist dann immer noch reichlich Reserve vorhanden, die allerdings mit einer durchaus als aufdringlich zu bezeichnenden Soundkulisse einhergeht. Über 6.000 U/Min. gibt es satten Vortrieb, aber auch ordentlich was auf die Ohren – da passt der Antrieb wieder eher zur giftigen Hornet als zur Reiseenduro Transalp. Wer das Drehzahlband komplett ausnutzt, fühlt sich eher wie auf einem Rennmotorrad als auf einer Reiseenduro. Ach ja, die unsägliche 95 dB Tirol Standgeräusch-Hürde überspringt die Transalp mit eingetragenen 94 dB gerade eben so.
Der Motor wurde überwiegend im sogenannten „Power“-Modus betrieben, eines von insgesamt vier vorprogrammierten Motor-Mappings, bei dem sich neben dem Leistungseinsatz auch die Traktions- und Wheelie-Kontrolle sowie das ABS anpassen lassen. Ein fünfter Modus kann individuell vom Fahrer gemixt werden.
Alles lässt sich intuitiv über die Kontroll-Wippe an der linken Lenkerarmatur bewerkstelligen. Das von einigen Kontroll-leuchten flankierte 5 Zoll TFT-Cockpit ist gut ablesbar und bietet verschiedene Darstellungsmöglichkeiten von Tacho und Drehzahlmesser inklusive einer Fülle von Anzeigen, deren Position vom Fahrer nach seinen Wünschen konfiguriert werden kann. Dazu beherrscht es eine einfache Navigation über die Honda RoadSync-App, die dazu auf dem eigenen Android- oder iOS-Smartphone installiert sein muss. Via Bluetooth kommuniziert die App mit dem Fahrzeug und gibt die Sprachansagen der Navigation dann auf gleichem Wege an einen Helm mit entsprechender Bluetooth-Konnektivität weiter.
Doppelscheibe mit bewährten Nissin-Stoppern.
Sehr gute Wahl in Sachen Reifen: Die Transalp steht auf Dunlop Trailmax Mixtour.
Vorne wie hinten natürlich modernste LED-Technik.
Das Triebwerk: 755 Kubik, 92 PS und 75 Newtonmeter
Die Sitzhöhe liegt bei 850 mm.
Tatsächlich fühlt sich die Transalp im Fahrbetrieb ein wenig nach Reiseenduro light an, wenn man den potenten Motor mal ausklammert. Die Handlichkeit am nicht zu breiten Lenker weiß durchaus zu gefallen, auch wenn die aktuelle Transalp kein Handling-Wunder ist, denn hier fordert vor allem das große 21 Zoll Vorderrad seinen Tribut, weil die entsprechenden Kreiselkräfte sich stärker gegen zackige Richtungswechsel stemmen als ein 17 Zoll Guss-Rad. Dennoch bleibt ein gewisser Abstand zu den Big Enduros à la Africa Twin & Co. Die Transalp ist kompakter, auf das Wesentliche reduziert und kommt nicht so wuchtig daher. Mehr Motorrad braucht man zumindest für transeuropäische Reisen nicht. Der Bordcomputer ermittelte für unsere Testfahrt einen Verbrauch von ca. 4,2 Liter Superbenzin auf 100 km, im Langzeitspeicher fand sich ein Wert von 4,7 Liter, das wären mit dem knapp 17 Liter fassenden Tank immer noch entspannte 350 km Reichweite.
Die Abstimmung der Federelemente ist für den Alltag gut gelungen, vor allem an der Vorderradgabel. Beide schlucken kleinere Unebenheiten sehr kommod weg; wird es jedoch etwas gröber, dann kommt die Hinterhand nicht mehr ganz mit und schaukelt ein wenig nach. Umgekehrt verwässert das eher weiche Fahrwerk die engagierte Hatz im Winkelwerk, die zudem von den frühzeitig aufsetzenden Fußrasten begrenzt wird. Doch ein engagierter Knieschleifer wird wohl ohnehin nicht zum anvisierten Kundenkreis der Transalp zählen.
Stabil und überzeugend präsentiert sich dagegen die 310 mm Doppelscheiben-Vorderradbremse im Verbund mit der 256 mm Einscheiben-Hinterradbremse. Klarer Druckpunkt, gute Dosierung und mehr als ausreichende Verzögerung – hier gibt es nichts zu meckern. Ebenfalls ohne Kritik kommt das verbaute Sechsganggetriebe davon. Die Schaltwege sind zwar eher lang, die Schaltvorgänge gelingen aber jederzeit leicht und präzise; dazu braucht es wenig Handkraft am Kupplungshebel. Der optional lieferbare Quickshifter war an der Testmaschine nicht verbaut, er würde den sportlichen Charakter des Motors wohl noch mehr hervorheben, wenn der Fahrer darauf Wert legt.
5’’ TFT-Display mit einstellbaren Bildschirmlayouts.
Mit 94 dB Standgeräusch noch tiroltauglich. Subjektiv ist die Soundkulisse aber etwas zu aufdringlich, wenn man beherzt am Kabel zieht.
Die Transalp als Anziehungspunkt in Rothenburg o. d. T.
Der Windschutz mit der ab Werk verbauten, nicht verstellbaren kleinen Scheibe geht so weit in Ordnung. Die Scheibe nimmt gut Druck vom Oberkörper und sorgt zumindest bei Fahrern um die 1,80 m Körpergröße für eine gleichmäßige Anströmung des Helms. Optional gibt es von Honda eine hohe Scheibe und ein Windabweiser-Set, aber auch der Zubehörmarkt wird hier sicher bald aktiv werden. Honda selbst bietet 25 Anbauteile für die Transalp an, die es entweder einzeln oder in fünf verschiedenen Paketen mit entsprechendem Preisvorteil zu kaufen gibt. Das Zubehör dreht sich hier vor allem um die Themen Gepäck und Komfort und bietet so die Möglichkeit, die Basis-Transalp zur Tourenkönigin aufzurüsten.
Die von uns getestete Maschine im Farbton Matt Ballistic Black Metallic wirkt sehr edel, für den eingefleischten Honda-Fan wird es trotz 300 € Aufpreis wohl eher Ross White Tricolor inkl. goldfarbener Felgen werden, schon wegen der optischen Nähe zur Ur-Transalp. Alternativ steht mit Matt Iridium Gray Metallic ein etwas helleres Grau zur Verfügung. Die 2023er Transalp ist sofort als ein Modell von Honda erkennbar, schon allein wegen der Front und des Scheinwerferdesigns. Kein Motorrad, nach dem man sich umdreht, eher praktisch und funktionsorientiert – und wie von Honda gewohnt, hochwertig verarbeitet.
Bei 10.590 € (inkl. Überführung) beginnt der Einstieg in die neue Transalp-Welt. Wer im Konfigurator Tricolor als Farbe wählt und bei allen Paketen ein Häkchen setzt, landet schließlich bei stolzen 16.060 €. Spätestens dann dürften auch anspruchsvolle Tourenfahrer kaum noch etwas an der neuen Transalp vermissen.
Die Scheibe ist nicht höhenverstellbar. Der Zubehörhandel wird’s richten.
Drei Farbkombinationen zur Auswahl: Links die klassische Variante mit schnieken goldfarbenen Felgen und der Farbbezeichnung Ross White (Tricolor) – kostet 300 Euro extra; in der Mitte die Transalp in der Farbe Matt Iridium Gray Metallic; rechts die Variante Matt Ballistic Black Metallic.
Fahrzeugschein Honda XL750 Transalp
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Parallel Zweizylinder
Getriebe: 6-Gang-Getriebe, optional mit Quickshifter
Endantrieb: Kette
Radstand: 1.560 mm
Bremse vorne: 2 x Ø 310 mm
Bremse hinten: 1 x Ø 265 mm
Hubraum: 755 ccm
Leistung: 92 PS bei 9.500 U/min.
Drehmoment: 75 Nm bei 7.250 U/min.
Gewicht: 208 kg fahrbereit
Tankinhalt: 17 Liter
Sitzhöhe: 850 mm
Verbrauch: 4,4 Liter auf 100 km
CO2-Emission: 103 g/km
Preis: ab 10.590 € inkl. Nebenkosten
Für die große Reise gibt’s entsprechende Koffer als Option.
Text: Gregor Schinner, Zweirad; Fotos: Gregor Schinner; Honda