Die Herausforderung
Stell Dir Folgendes vor: Du hast nach Jahren der Arbeit und fortwährender Evolution einen Volltreffer gelandet und ein Produkt auf dem Markt, dass scheinbar in allen Belangen den Kundengeschmack trifft. Egal, ob Mann oder Frau, jung oder alt – Deine Kreation ist in Deiner Branche eines der beliebtesten Produkte und Du kannst es sogar noch zu einem sehr attraktiven Preis anbieten. Wie zu erwarten, verkauft sich das gute Stück sprichwörtlich wie geschnitten Brot. Dein Problem: Die Technik entwickelt sich weiter, die Konkurrenz schläft nicht und Du MUSST deinen Kassenschlager überarbeiten. Wie würdest Du vorgehen? Eine schwierige Frage.
Wie Du Dir sicher denken kannst, handelt es sich hier nicht um irgendein fiktives Produkt, sondern um die ganz real existierende Kawasaki Z900 und der beschriebenen Herausforderung mussten sich im vergangenen Jahr die Mannen aus dem Hause Kawasaki stellen. Seit die Z-Baureihe vor über eineinhalb Jahrzehnten das Licht der Welt erblickte, hat sie sich nicht nur zu einer der erfolgreichsten Modellserien am Motorradmarkt entwickelt, sondern stellt mit der Z900 auch eines der in Deutschland meistverkauften Motorräder überhaupt. Es ist also Fingerspitzengefühl gefragt.
Sanfte Evolution
Beim ersten Blick auf die Neue wird klar: die Designabteilung im Hause Kawasaki hat dieses auf jeden Fall bewiesen. Würdigt man der 2020er Z900 nur einen flüchtigen Blick, nimmt man die Änderungen gegenüber der erfolgreichen Vorgängerin – nach der BMW GS und Yamahas MT-07 war die Zett 2019 das am dritthäufigsten verkaufte Motorrad – kaum wahr. Dank der Z-Sugomi-Design-Philosophie war die knappe Verkleidung schon bei der alten Z900 recht auffällig gestaltet, sodass die leichten Retuschen erst bei genauerem Hinschauen auffallen. Tatsächlich hat sich aber doch so einiges getan. Rund um den Schweinwerfer wurde die Front für das Modelljahr 2020 umgestaltet, wirkt dadurch noch angriffslustiger und erinnert jetzt mit den neuen LED-Positionsleuchten an die Außerirdischen aus „Alien versus Predator“. Dazu passen auch die überarbeiteten Seitenteile, die nun scheinbar fließend in die neue Tankverkleidung übergehen und so die Frontpartie noch organischer und stimmiger wirken lassen. Ebenfalls nur auf den zweiten Blick fallen die geänderte Krümmerblende sowie die nun schlanker gestaltete Rahmenabdeckung auf.
Letztgenannte verdeckt auch eine der wenigen technischen Neuerungen, die selbst der versierte Fachmann auch ohne Sichtschutz vermutlich erst nach einem Blick ins Technikheft entdecken würde. Um die Steifigkeit zu erhöhen, haben die Kawasaki-Ingenieure den Rahmen im Bereich der Schwingenachse verstärkt. Damit diese Änderung die Zett in puncto Handling und Komfort nicht negativ beeinflusst, wurde in Konsequenz auch die vordere und hintere Federung überarbeitet. Ein wichtiger Punkt, da die Vorgängerin vor allem aufgrund ihrer Ausgewogenheit und Fahrbarkeit zu überzeugen wusste. Um diese noch weiter zu verbessern, spendierten die Techniker der Kupplung neue Federn, dank der das Beschleunigen und Abbremsen nun noch sanfter vonstatten gehen soll. Das war es auch schon an der Technikfront.
Auf der Höhe der Zeit
Wirklich Neues sieht und spürt man dann aber direkt, wenn man sich das erste Mal in den Sattel der 2020er Z900 begibt. Hier wird Kawasaki nun nämlich gleich zwei Kundenwünschen des deutschen Marktes gerecht. Dies geschieht zum einen durch die erhöhte Sitzposition. Während die Vorgängerin bei der Auslieferung eine Sitzhöhe von
lediglich 795 Millimeter hatte, positioniert die neue Generation ihren Piloten nun gut zwei Zentimeter höher. Hierfür zeichnet sich aber keine Änderung am Heckrahmen verantwortlich – für das 2020er Modell wurde lediglich ein Zubehörteil zur Serienausstattung. War für die Vorgängerin bereits optional ein höheres Sitzpolster verfügbar, wird dieses für den nordeuropäischen Markt nun standardmäßig verbaut. Aber keine Panik: für kleingewachsene Fahrer und Fahrerinnen gibt es das niedrigere Sitzpolster jetzt natürlich optional.
Eine positive Überraschung für alle Z900-Fans findet sich dann am linken Lenkerende. Hier gibt es jetzt eine zusätzliche Schaltereinheit, die man in ähnlicher Form von den meisten anderen Herstellern schon mindestens eine Generation länger kennt. Du ahnst es wahrscheinlich bereits: zum Modelljahr 2020 erweitert Kawasaki endlich auch bei der Z900 die Liste der Elektronikfeatures und wertet den Kassenschlager nicht nur mit der lange vermissten Traktionskontrolle auf, sondern ergänzt diese gleich noch um Power Modes sowie drei wählbaren Fahr-Modi. Für Individualisten gibt es zusätzlich noch einen Rider-Mode, in dem die möglichen Optionen frei kombiniert werden können. Und noch ein Bauteil im Blickfeld kennt man so noch nicht. Dreht man den Zündschlüssel, erwacht die neue 4,3 Zoll große TFT-Displayeinheit zum Leben und strahlt den Fahrer farbenfroh an.
Sahnestück
Keine Überraschungen gibt es, wenn man den Startknopf drückt und den 948 Kubikzentimeter großen Reihenvierzylinder zum Leben erweckt. Wie zu erwarten, erfüllt das Modell-Update der Z900 die neue Euro-5-Norm, akustisch ist der potente Vierling aber keine Leisetreter geworden. Im Gegenteil. Kawasaki hat nach eigenen Angaben den Auspuffsound im Vergleich zur Vorgängerin nun sogar noch satter gestaltet. Auffälligere Lebensäußerungen konnten mangels direkter Vergleichsmöglichkeiten zwar nicht festgestellt werden, wie zu erwarten erweist sich das Aggregat aber immer noch in jeglicher Hinsicht als absoluter Freudenspender. Bereits in der Vorgängerin wusste der Antrieb als Paradebeispiel für Leistungsentfaltung, Drehfreude und Laufruhe voll zu überzeugen und auch beim Euro-5-Modell kann man den Motor als absolutes Sahnestück bezeichnen. Trotz der strengeren Emissionsregeln leistet der Vierzylinder noch immer maximal 125 PS bei 9.500 Umdrehungen und begeistert dabei besonders mit der Darreichungsform. Gefühlt ab Standgasdrehzahl spricht der Motor sauber an und zieht dann so gleichmäßig durchs Drehzahlband, dass es eine wahre Freude ist. Egal, ob Stadtverkehr oder bei der Hatz von Kurve zu Kurve – die saubere Gasannahme, die Laufruhe und vor allem die lineare Leistungsentfaltung zaubern einem in der jeder Lebenslage ein entspanntes Lächeln ins Gesicht.
Dabei geht es auf der Kawa spektakulärer vorwärts, als es im ersten Moment den Eindruck macht. Mit ihren 125 PS rangiert sie zwar nicht mehr ganz in der Liga aktueller „Super“-Naked-Bikes, dank der knapp 100 Newtonmeter Drehmoment bei 7.700 Umdrehungen ist sie aber im auf der Landstraße relevanten Drehzahlbereich voll bei der Musik. Wie unaufgeregt schnell und drehfreudig die Kawa vorwärts marschiert, merkt man daran, wie oft man Kupplung und Schaltfuß bemühen muss, um die nächsthöhere Gangstufe nachzulegen. Das schön gestufte Getriebe lässt sich dabei hervorragend schalten und auch die Kupplung ist – Kawasaki Assisted Clutch sein Dank – sehr leichtgängig, ab und an erwischt man sich aber dennoch beim Gedanken an einen Schaltautomat. Diesen oder gar einen Blipper für kupplungsloses Hoch- UND Runterschalten sucht man aber an der neuen Kawasaki vergebens.
Vertrauenssache
Entsprechende Träumereien sind aber schnell wieder vergessen und spätestens beim Abwickeln in die nächste Kurve macht sich wieder der Z900-typische entspannte Fahrspaß breit. Denn Kawasakis Kassenschlager überzeugt nicht nur mit einem famosen Triebwerk, sondern auch mit einer ausgewogenen Ergonomie und tollem Handling. Dabei ist das 2020er Modell zwar ein Kilo leichter als die Vorgängerin, mit 210 Kilogramm fahrfertig aber alles andere als ein Magermodel in ihrer Klasse. Im Fahrbetrieb fühlt sich die Kawasaki aber nicht nur deutlich schlanker an und verlässt nach geringem Lenkimpuls mit Leichtigkeit in Mittellage, sie vollzieht auch jede Form des Schräglagenwechsels sehr neutral und vermittelt so immenses Vertrauen.
Vertrauensfördernd wirken sich auf schlechten Straßen und bei widrigen Wetterbedingungen vor allem für Einsteiger sicher auch die eingangs erwähnte Traktionskontrolle sowie die in den unterschiedlichen Riding Modes (Sport, Straße, Regen) hinterlegten Power Modes aus. Während die Traktionskontrolle über drei Regelniveaus verfügt und sich im individualisierbaren „Rider-Mode“ sogar komplett abschalten lässt, ist die Leistungsabgabe des Motors in der deutschen Version nur in den Stufen F (Full = volle Leistung) und L (Low = 55 % Leistung) regulierbar. Ausnahme ist hier das 35-kW-Modell der Z900. Hier galoppieren bei Volllast immer 48 Pferde, lediglich die Leistungsentfaltung soll dann noch linearer und damit einfacher zu Hand haben sein. Für A2-Führerscheinneulinge sicher hilfreich.
Alles andere als einfach ist die neueste elektronische Spielerei der 2020er Kawasaki Z900. Neben Sicherheits-Features verfügt das Update nun nämlich auch über die Möglichkeit, mittels der Kawasaki App „RIDEOLOGY“ das Motorrad mit dem Smartphone zu koppeln. So sollen Fahrzeug-, sowie Fahrt- und Routeninformationen über das Telefon abrufbar sein und Hinweise über eingehende Anrufe oder E-Mails auf dem Display der Z900 angezeigt werden. Leider erwies sich die App im Test mit einem Smartphone aktueller Generation als störrisch und nicht nutzbar. Dass diese eher die Regel denn die Ausnahme ist, zeigt ein Blick in den App-Store. Lediglich 1,5 von 5 Sternen bei weit über 10.000 Downloads sprechen eine deutliche Sprache. Da sich das Menü aber auch ohne Smartphone einfach bedienen lässt, kann auf die App aber gut und gerne verzichtet werden.
Evergreen
Sieht man vom kleinen Ausrutscher mit der Kawasaki-App ab, ist den Japanern ein gelungenes Update ihres wichtigsten Modells auf dem deutschen Markt geglückt. Die dezenten Änderungen an Front und Verkleidung und die nun in Voll-LED ausgeführten Lichter und Leuchten sorgen für moderne Akzente beim Design, ohne die treue Fan-Gemeinde mit zu viel Veränderung zu verschrecken, die seit diesem Jahr verfügbaren Power Modes und die Traktionskontrolle sorgen für ein Plus an Sicherheit. Die wichtigste Nachricht für alle Fans und die, die es noch werden wollen, ist aber, dass Kawasaki den tollen Charakter der Z900 auch für das 2020er Modell bewahrt hat.
Der potente und sehr kultivierte Motor, die einfach zu bedienende Kupplung, das präzise und leichtgängig zu schaltende Getriebe sowie das tolle Handling machen aus der Kawasaki ein herausragendes Landstraßenmotorrad, dass sich auch vor der leistungsseitig überlegenen Konkurrenz nicht verstecken muss. Noch ein Argument für eine Probefahrt gefällig? Mit einem Preis von knapp 9.600 Euro ist sie auch noch konkurrenzlos günstig.
Michael Praschak
Verwechslungsgefahr: Kawasakis Z900, Modelljahr 2020, orientiert sich optisch sehr nah an der Vorgängerin. Erst der Blick aufs Detail enthüllt die Änderungen an Front, Seitenverkleidung und Tank.
Seit diesem Jahr verfügt die Z900 mit Traktionskontrolle und Riding Modes auch über elektronische Helferlein, die über die Schaltereinheit am linken Lenker orchestriert werden können.
Vorbei die Zeiten von kontrastlos und mausgrau: Das neue TFT-Farbdisplay der Z900 überzeugt jetzt nicht nur mit toller Ablesbarkeit, auch die Menüführung ist solide.
Die Kawasaki rollt nun serienmäßig auf Dunlop Sportmax Roadsport 2, die spürbar zum leichtfüßigen Handling der 2020er Z900 beitragen.
Vom anderen Stern: Mit eingeschalteten LED-Positionslichtern erinnert die Z900 an ein Alien.
Das Spritreservoir fasst 17 Liter und bietet einen sehr angenehmen Knieschluss, der Lenker liegt gut zur Hand und der Sitz ist nun serienmäßig 820 Millimeter hoch. Die Ergonomie könnte dennoch gern etwas fahraktiver ausfallen.
Zug- und Druckstufendämpfungen sind bei der Kawasaki getrennt. Federbasis und Zugstufendämpfungen lassen sich im linken Gabelholm einstellen.
Auch das Federbein ist in Federbasis und Zugstufe einstellbar. Die Fahrwerksabstimmung wurde für 2020 an den im Schwingenbereich verstärkten Rahmen angepasst.
Über den AUTOR
Michael Praschak
Freier Mitarbeiter.
Schreibt über aktuelle Motorräder, die er vorher auf diversen Strecken ausgiebig getestet hat.
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