Zeiten ändern sich
Die neue Yamaha Niken GT
Ja, ich gebe es zu: ich mag die Yamaha Niken. Zu überzeugend ist die Kombination aus Motorradgefühl, Fahrdynamik und dem massiven Vertrauen, dass dieses Motorrad vermittelt. Ein durchschlagender Erfolg wurde das Bike bisher dennoch nicht und die Verkaufszahlen sind mit weltweit etwa 3.000 verkauften Einheiten ernüchternd. Erstaunlicherweise haben die Herren über die drei Stimmgabeln für 2023 dennoch eine in weiten Teilen überarbeitete Niken GT präsentiert.
GT für noch mehr Touring
Wie bei der Tracer GT und der MT-09 kommt jetzt auch bei der Niken GT der überarbeitete Dreizylinder mit 890 Kubikzentimeter zum Einsatz. Während die Schwestermodelle jedoch mit 119 PS und 93 Newtonmeter aufwarten können, ruft die Niken nur 115 PS sowie knapp 91 Newtonmeter ab. Für das neue Aggregat wurde auch der Hauptrahmen überarbeitet und der CP3 hängt nun 5 Grad weiter nach vorne geneigt in der Rahmenkonstruktion aus Steuerrohr-Baugruppe, Stahlrohr-Hauptrahmen und Alu-Guss-Rahmen Heck, was die Handling-Eigenschaften verbessern soll. Der weitgehend größte Teil der Neuerungen der GT zielt aber auf Touringtauglichkeit und Fahrkomfort ab. Das fängt beim nun einstellbaren Windschild an, setzt sich über die neugestaltete Komfortsitzbank und das serienmäßige Kofferset fort und wird durch Heizgriffe sowie zwei Steckdosen (1x USB, 1x 12 V) abgerundet. Des Weiteren verfügt die Niken GT über eine neue Schwinge, die sich über eine geänderte Umlenkung am ebenfalls überarbeiteten Federbein abstützt. Yamaha verspricht durch diese Änderungen noch mehr Komfort.
Der Stahlrohrhauptrahmen wurde für die neue Niken GT überarbeitet, der Motor ist jetzt fünf Grad weiter nach vorne geneigt und leistet 115 PS.
Das neue Display ist riesig, die Menüführung einfach verständlich. Ist die optionale Garmin Motorize App an Bord, kann das Display zur Vollbildnavigation genutzt werden.
Alleinstellungsmerkmal: Die Neigetechnik mit LMW-Ackermann-Lenkung findet man so nur an der Yamaha Niken.
Das Kofferset fügt sich gut ins Design des Bikes ein. Die Koffer sind tief genug, um einen Helm darin zu verstauen und fassen jeweils 30 Liter.
Ride connected
Neben der genannten Hardware hat sich vor allem bei der Elektronik viel getan. Die prominenteste Änderung zeigt sich mit dem 7-Zoll-TFT-Display direkt im Sichtfeld des Fahrers. Dazu passend besitzt die 2023er Niken völlig neue Lenkerarmaturen inklusive Joystick-Navigation für die nun verfügbare Smartphone-Konnektivität über Yamahas eigene MyRide App. So lassen sich E-Mails und Nachrichten abrufen, Anrufe annehmen sowie Musik abspielen. Mit der optional verfügbaren Garmin Motorize App ist das neue Display auch als Vollbild-Navigationsgerät nutzbar. Egal, ob mit oder ohne Navi, die Langstrecke ist die Paradedisziplin der Niken. Das liegt sicher an der neuen und komfortablen Sitzbank, vor allem aber an der gelungenen Ergonomie und am guten, wenn auch nicht perfekten Windschutz. Die höhenverstellbare Scheibe schirmt Fahrer oder Fahrerin zwar wirkungsvoll ab, erzeugt aber auch leichte Verwirbelungen, die ab dreistelligen Geschwindigkeiten spürbar werden. Diese sind zwar nicht störend, aber vor allem auf der Autobahn bei höheren Tempi deutlich wahrnehmbar.
Das Niken-Paradoxon
Auch wenn längere Autobahnabschnitte auf der Niken entspannt zu überbrücken sind, offenbaren sich die wahren Stärken der neuen GT erst auf winkeligen Landstraßen. Paradoxerweise hat man umso mehr Spaß, je schlechter die Straßenbedingungen werden. Es ist wirklich beeindruckend, wie viel Vertrauen man hier für die Front entwickelt. Die Niken fühlt sich zwar in ihrem Fahrverhalten an wie ein normales Motorrad, in Sachen Stabilität und Vertrauen bei schwierigen Bedingungen ist sie aber eine Klasse für sich. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass man sich trotz der kommoden Sitzposition und des ausladenden Tanks auch sportlich auf dem Bike bewegen kann. Ein Grund ist hier die mit 825 Millimeter recht hohe Sitzposition sowie die nicht zu inaktiv platzierten Rasten. Einzig bei schnellen Richtungswechseln fordert der hohe und vorderradorientierte Schwerpunkt seinen Tribut und lässt das Motorrad etwas träge wirken. Diese Eigenheit macht die Niken durch ihre Neutralität auf der Bremse wieder wett. Um die über fünf Zentner vor der Kurve wieder einzufangen, nutzt man zwar am besten die ganze Hand, dann sorgen die Stopper aber für ordentlich Verzögerung. Aufstellmoment kennt die Niken nur vom Hörensagen. Auch der Motor verlangt Entschlossenheit und Engagement, will man auf der Niken zügig von Kurve zu Kurve kommen. Der Dreizylinder, dessen Leistungsabgabe sich durch die Fahrmodi Sport, Street und Rain variieren lässt, muss auf Touren und über 7.000 Umdrehungen gehalten werden, will man mit Sporttourern und Naked Bikes einigermaßen mithalten können. Unterstützung bietet dabei nun ein Blipper, der schnelles Hoch- und Runterschalten ohne Kuppeln ermöglicht. Doch Vollgasorgien, um an sportlicheren Bikes dranzubleiben, sind eigentlich unnötig. Spätestens, wenn der Asphalt wieder schlechter wird, hat man die Meute im Rückspiegel, statt vor den beiden 15-Zoll-
Rädern.
Neben einem USB-Anschluss im Cockpit besitzt die Niken auch eine 12V-Dose unter dem Sitz.
Dank Blipper erlaubt die Niken GT Schaltvorgänge ohne Kupplung.
Die Steuerung des Menüs erfolgt via Joystick, der Tempomat ist in der Niken serienmäßig. Die Knöpfe und Schalter sind groß und gut erreichbar. Heizgriffe gehören zur Serienausstattung.
Wegen der etwas unklaren Tankanzeige steuert man anfangs schon nach gut 200 Kilometern eine Zapfsäule an. Grundsätzlich wären für die Niken ein paar Liter mehr Tankvolumen aber schön.
Perfekten Asphalt findet man auf kleinen Nebenstraßen selten. Werden die Bedingungen schlechter, schlägt die Stunde der Niken GT. Das Windschild bietet guten Windschutz, verursacht bei hohen Geschwindigkeiten aber spürbare Verwirbelungen.
Die Königin der Nebenstraßen
Wer hätte das gedacht – trotz sehr geringer Verkaufszahlen hält Yamaha am Motorradkonzept mit drei Rädern und Neigetechnik fest und schickt mit der Niken GT die zweite Auflage ins Rennen um die Kundengunst. Mehrwert und Fahrspaß sind unbestreitbar vorhanden und diejenigen, die die Niken einmal gefahren sind, werden das gerne bestätigen. Zu vielfältig sind die Qualitäten, zu überzeugend fährt das Motorrad unter allen Bedingungen. Yamaha richtete sich schon mit der ersten Generation vorrangig an „… aufgeschlossene Fahrer, die Spaß an High-Tech und Innovationen haben …“, schielte aber sicher auch von Beginn auf die, die viel und das ganze Jahr über fahren und neben Fahrspaß auch die Sicherheit im Blick haben. Mit der GT haben die Japaner nun die Basis für die Kombination aus beidem geschaffen. Die außergewöhnliche Lenktechnik wurde durch zeitgemäße Features wie Smartphone-Konnektivität, ein hochauflösendes Farbdisplay und noch mehr Tourentauglichkeit durch verbesserten Komfort, Kofferset und Lademöglichkeiten für externe Geräte ergänzt. Und noch ein Punkt spricht für den zweiten Anlauf mit der Niken: Zeiten ändern sich. Wurde man mit der Ur-Niken vor fünf Jahren keines Blickes gewürdigt, sieht man heute regelmäßig die lässige Handbewegung des Motorradgrußes. Auch die Bereitschaft, ein Motorrad für gut 18.000 Euro zu kaufen, scheint heute höher als noch vor einigen Jahren. Vielleicht war die erste Generation ihrer Zeit nur etwas voraus. Zu wünschen wäre es der Niken GT.
Text und Fotos: D. Dürrfeld