Ready to scramble
Bei alten, wiederbelebten italienischen Marken ist meist der erste Reflex: was Neues aus China. Bei Fantic trifft das nicht zu. Der italienische Hersteller ist nicht in chinesischer Hand und war es auch nie. Lediglich Motoren der ersten Stunde stammten aus China. Der Motorenbauer Motori Minarelli gehört mittlerweile zu Fantic und zur VeNetWorkAG, einem Zusammenschluss diverser Unternehmen aus dem Veneto. Eine seit 2019 bestehende Partnerschaft mit Yamaha (Yamaha lässt unter anderem auch Motoren bei Motori Minarelli bauen) bringt Fantic in Sachen Motor nur Vorteile, denn die neue Caballero 700 wird von einem guten Bekannten angetrieben: einem Yamaha-Twin mit 689 Kubik, der bei Yamaha auch die Ténéré 700 und die MT-07 antreibt. Etwas anders gemappt, wurde aus dem Caballero-Triebwerk ein wenig mehr Leistung herausgeholt.
Die Marke Fantic wurde 1968 von Mario Agrati und Henry Keppel Hesselink gegründet. Der Name Fantic entstand durch ein ausgiebiges Brainstorming. Der Name sollte sowohl in Italien als auch im englischsprachigen Raum gut klingen und vor allem die junge Käuferschaft ansprechen. Ich habe selbst ein kleines Brainstorming veranstaltet und habe aus dem englischen Wort fantastic eine mögliche Erklärung für die Entstehung des Namens gefunden. Ob der Name Fantic letztlich daraus abgeleitet wurde, ist reine Spekulation. Ähnlich verhält es sich mit dem Modellnamen Caballero. Geht durchaus als spanisch durch. Caballero ist in Spanien ein Edelmann. Die Wortfindung ist jedenfalls weder spanischen noch italienischen Ursprungs. Vielmehr wurde die Ur-Caballero aus dem Jahre 1968 nach der Zigarrenmarke benannt, die der Gründer Keppel gerne paffte.
„Zündung an“ zeigt der horizontale Lichtbalken. Das Tagfahrlicht und das Abblendlicht sorgen für eine komfortable Lichtausbeute.
Bietet trotz der geringen Größe eine große Strahlkraft: das LED-Rücklicht.
Der untere Krümmer hat einen Schutzschild aus Carbon. Ein Motorschutz für den Offroad-Einsatz ist in Planung und bald erhältlich.
Scrambler durch und durch. Der hochgezogene Auspuff mit seinen zwei Auslässen gefällt.
Soviel zum kleinen historischen Exkurs von Fantic. Lasst mich nun den neuen Wurf von Fantic vorstellen: die Caballero 700 – brandneu und in nur zwei Farben erhältlich, im klassischen Rot und in Metallic-Blau.
Ich darf eine Caballero 700 in Metallic-Blau von Ilonas Schwarzwald Garage in Haslach-Schnellingen zwei Tage lang fahren. So steht die neue Fantic bei Ilona Anfang August für mich bereit. Das puristische Design der Caballero ist von einem der bekanntesten Modelle von Fantic, der 125 RC aus den Siebziger Jahren, inspiriert. Durch die einfache Linienführung, den Startnummertafeln an den Seiten, dem Rundscheinwerfer und dem digitalen Rundinstrument darf sich die Caballero zu den Neo-Klassikern hinzugesellen. Der hochgezogene Auspuff mit zwei Auslässen und dem Hitzeschutz aus Edelstahl unterstreicht den Scramblercharakter eindrücklich. Apropos Hitzeschutz, dem unteren Krümmer hat Fantic einen Hitzeschutz aus Carbon spendiert.
Das runde dreieinhalb Zoll große TFT-Display überzeugt durch eine gute Ablesbarkeit. Auf diverse Bildschirmlayouts wird verzichtet. Drei Fahrmodi sind über die am Lenker montierten Schalterblöcke auswählbar: Street, Offroad und Custom. Im Offroad-Modus wirkt das ABS nur auf das Vorderrad, die Traktionskontrolle ist inaktiv. Den Custom-Modus kann man, wie der Name erahnen lässt, selbst konfigurieren. Gerade bei wechselnden Geländeformen ist das schnelle und vollständige Abschalten der Traktionskontrolle oder des ABS durch einen einfachen Druck auf den entsprechenden Schalter an der rechten Lenkerseite möglich. Es gilt noch zu erwähnen, dass der Italo-Scrambler Kurven-ABS serienmäßig an Bord hat. Ebenfalls über das runde TFT-Display lässt sich ein Smartphone via Bluetooth für Telefonie und Media-Anwendungen koppeln.
Durchaus bequeme und scramblerwürdige Sitzbank mit stabilem Haltebügel für Sozius oder Sozia. Mit dem Haltebügel lässt sich die Caballero zudem hervorragend im Stand rangieren.
Der Motor stammt von Yamaha und ist der erste, der in einem nichtjapanischen Motorrad verbaut wird.
Italienische Technologie: die Bremsen stammen aus dem Hause Brembo. Vorne ist eine 330 mm Einzelscheibe verbaut, hinten eine 245 mm Scheibe.
Gabel und Federbein stammen ebenfalls aus Italien. Marzocchi liefert die nicht einstellbare 45er-Upside-Down-Gabel und das in der Vorspannung einstellbare Monoshok-Federbein.
Die Caballero steht auf für das Segment entsprechenden Speichenrädern – vorne 19 Zoll, hinten 17 Zoll. In Sachen Bereifung setzt Fantic auf die bewährten Alleskönner von Pirelli: dem Scorpion STR. An den beiden Tagen spule ich rund 200 km auf der Caballero ab. Meine angestammte Teststrecke durch das labyrinthische Freiamt weist hier und da Schotterpassagen auf, die ich der Maschine natürlich nicht vorenthalten möchte. Schließlich ist die Caballero ein Scrambler, die die Bezeichnung nicht nur im Namen trägt, sondern auch wirklich ist.
Das Durchschalten der unteren Gänge ist anfangs etwas hakelig. Vom zweiten in den dritten Gang bisweilen nur mit höherem Kraftaufwand zu bewerkstelligen, das dürfte aber spätestens nach Einstellen des Kupplungsspiel Geschichte sein. Das Durchschalten der Gänge ist spätestens dann einwandfrei, sobald die Caballero ihre Betriebstemperatur erreicht hat und bei mindestens 3.000 Umdrehungen der Schaltfuß nach oben drückt. Für mich, der lieber etwas untertourig fährt, etwas gewöhnungsbedürftig. Und untertourig kann die Caballero durchaus ohne zu hacken.
Italienische Technologie findet sich bei der Fantic an anderen Stellen. So stammt die Bremsanlage mit der vorderen Einzelscheibe (330 mm) aus dem Hause Brembo, die nicht einstellbare 45er-Upside-down-Gabel und das in Federvorspannung einstellbare Monoshock- Federbein liefert Marzocchi. Gabel und Federbein gleichen bei einem Federweg von 150 mm die meisten Unebenheiten gut ab.
Befeuert wird die Caballero 700, wie anfangs erwähnt, durch einen flüssigkeitsgekühlten 689 Kubik Zweizylinder Reihenmotor. Fantic hat den Yamaha-Motor etwas anders gemappt und ein wenig mehr Leistung sowie Drehmoment in Kombination mit der Auspuffanlage herausgekitzelt.
Die Schaltereinheit an der linken Seite des Lenkers dient zum Einstellen der Fahrmodi und der Connectivity.
Wenn’s mal schnell gehen muss: über zwei Druckknöpfe lässt sich die Traktionskontrolle und das ABS ausschalten.
Haptisches Erlebnis auf dem Tank: der Caballero-Schriftzug.
Das 3,5’’ TFT-Display überzeugt durch sehr gute Ablesbarkeit. Weitere Bildschirmlayouts sind nicht einstellbar und auch nicht nötig. Schön: auf der Gabelbrücke ist das Caballero-Signet per Laser eingefräst.
Fantic darf stolz darauf sein, dass sie die ersten sind, die diesen vielgerühmten Motor als erste in einem Nicht-japanischen Motorrad verwenden dürfen. Der überaus spritzige Motor leistet 74 PS bei 9.000 Umdrehungen. Zudem verfügt die Fantic über eine angenehm lineare Kraftentfaltung mit einem maximalen Drehmoment von 70 Nm bei bei 6.500 U/min.
Bei meiner Fahrt durch das Freiämter Kurveneldorado erweist sich die Fantic als extrem kurvenagil. Mit gerade mal 185 kg Gewicht, vollgetankt wohlgemerkt, lässt sie sich selbst in engen Rechts-Links-Kurvenkombinationen nicht aus der Ruhe bringen. Die Beschleunigung aus der Kurve gelingt selbst in größerem Gang ohne hacken. Die Lärmemission hält sich in angenehmen Grenzen – der Sound ist kräftig aber nicht aufdringlich und liegt mit 90 dB Standgeräusch weit unter dem Geräuschpegel vieler anderer Motorräder in diesem Mittelklasse-Segment.
In Sachen Licht setzt Fantic auf bewährte LED-Technik. Das Tagfahrlicht lässt sich via Kippschalter zum Abblendlicht umswitchen. Das Rücklicht erscheint auf den ersten Blick etwas zu klein, liefert aber dann doch eine sehr gute Helligkeit.
Auf der langen, schmalen Sitzbank sitze ich bequem. In Kombination mit dem relativ niedrig angebrachten, breiten Lenker erreiche ich eine etwas nach vorne geneigte Position, was zum Teil auch meinen etwas zu kurz geratenen Armen geschuldet ist. Nackenschmerzen hatte ich allerdings nach den rund 200 Kilometern Testfahrt nicht.
Egal, auf welchem Terrain: die Caballero 700 bereitet in jedem Fall eine Menge Fahrspaß.
Auf kurzen Schotterpassagen gibt sich die Fantic ebenso keine Blöse. Größer gewachsene Menschen (z. B. ich mit 186 cm) müssen sich wegen des niedrig angebrachten Lenkers etwas mehr als gewohnt nach vorne beugen, was letztlich aber zu einem guten und sicheren Lenkverhalten führt. So fahre ich die kurze Schotterpassage gleich mehrmals, da es einfach riesig Spaß macht.
Wieder auf der Straße zurück, genieße ich die letzten Kilometer zurück zu Ilonas Schwarzwald Garage. Bei ca. 4,4 Litern Benzinverbrauch auf 100 km und 13 Liter Tankvolumen kommt man mit der vollgetankten Caballero rund 280 Kilometer weit.
Nützliches Zubehör wie Motorschutz, Sturzbügel oder auch Scheinwerfergitter und Gepäcklösungen sind in Planung und sind in nächster Zeit verfügbar.
Der Italo-Scrambler steht ab sofort bei Deinem Fantic-Händler. Für 9.990 Euro zzgl. überschaubaren Nebenkosten startest Du in Dein persönliches Scrambler-Abenteuer.
Credits: Vielen Dank an Ilona Pfeiffer von Ilonas Schwarzwald Garage für die Bereitstellung und an Walter Arndt für die tollen Fahrfotos.
Ambientfotos: Guido Schmidt; Fahrfotos: Walter Arndt
Über den AUTOR
Guido Schmidt
Inhaber und Verleger des bmm.
Fährt privat eine Honda CB 1100 RS und eine Triumph Rocket 3.
Schreibt überwiegend Reiseberichte, über Regionales, Veranstaltungen und Produkttests.
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