Cruiser mit großen Ambitionen

Von  Ralf Bielefeldt

Der Verkehr in Indien ist bekanntlich turbulent. Regeln sind nicht ersichtlich. Autos, Minibusse, Lkw, Traktoren, Tuk-Tuks, Rindviecher und kleine Motorräder teilen sich die Straßen. Die Hupe löst den Vorfahrtsanspruch.Faustregel: Der Kleinere gibt nach. Sonst kracht es. Es sei denn, er hat vier Beine und ist eine heilge Kuh. Wir sind in Rajasthan, genau genommen in Jaisalmer, die Grenze zu Pakistan ist nah, und mit der Royal Enfield Super Meteor 650 unterwegs.
Royal Enfield beschert seinem Erfolgsmodell Meteor 350 eine große Schwester. Und einen großen Namen. Von 1956 bis 1962 gab es die legendäre Super Meteor 700. Als erstes Modell von Royal Enfield knackte sie die Geschwindigkeitsmarke von 161 km/h und hatte ein speziell auf sie zugeschnittenes Gepäckset – genau wie die neue Super Meteor 650. Marketingchef Adrian Sellers nennt sie stolz das Premium-Bike der Marke.
Feines Finish, Bedienelemente aus Aluminium, Tropfentank mit neuem Logo und dazu erstmals bei den 650er Royal Enfield Gussräder und Voll-LED-Scheinwerfer. „Wir haben unser ganzes Herz in dieses Motorrad gesteckt und sehr viel Feinarbeit. Es ist ein Bike von Motorradfahrern für Motorradfahrer“, (Anmerk. d. Red.: Der Slogan kommt uns aber bekannt vor …) sagt Siddhartha Lal, Managing Director von Konzernmutter Eicher Motors Ltd. und charismatischer Kopf von Royal Enfield.
Entspannter Fahrspaß mit hohem Entschleunigungsfaktor. Darum geht es bei der Super Meteor 650. Aufsteigen, losfahren, genießen.
Der Parallel-Twin leistet 47 PS bei 7.250 Touren. Das maximale Drehmoment beträgt 52 Newtonmeter bei 5.650 Touren. Ein- und Auslass des Twin-Motors haben die Motorenentwickler feingeschliffen im Vergleich zu den Heritage-Modellen Interceptor und Continental GT. Rahmen und Schwinge sind komplett neu. Für sonoren Sound sorgen zwei verchromte Endlos-Auspuffrohre und eine große Airbox.
Die Super Meteor 650 beschleunigt schön von unten heraus. Für indische Verhältnisse ist sie ein echter Racer. Sie erreicht mühelos Tempo 100 und cruist dann entspannt weiter bis maximal 164 km/h.

Fallert Achern Team

Die Super Meteor 650 bei der Testfahrt in ihrem Heimatland Indien. Ja, in Indien haben die Motorräder auch vorne ein Kennzeichen.

Breiter Lenker, niedrige Sitzhöhe, voluminöser Fender, nach vorn verlagerte Fußrasten mit serienmäßiger Schaltwippe, dazu der längste Radstand der Marke – Fahrerergonomie und Proportionen überzeugen. Die Federvorspannung hinten ist einstellbar. Davon sollte Gebrauch machen, wer mehr als 85 Kilo auf die Waage bringt: Die Werkskonfiguration ist eher sportlich, die Federwege sind übersichtlich bemessen (101 Millimeter hinten, 120 mm vorn). 241 Kilogramm wiegt die Super Meteor fahrbereit. Das ist für einen Cruiser voll okay, eine gewisse Schwere ist hier gewünscht, auch in der Mittelklasse. Die kompakte Super Meteor ist ein gut austariertes, handliches Bike, das sich mühelos in Schräglage bringen lässt. Zweikanal-ABS und eine vergleichsweise große hintere Bremsscheibe (300 mm) sorgen für adäquate Verzögerung. Die vordere Scheibe misst 320 mm und wird von den meisten Fahrern vermutlich eher selten beansprucht: Cruiser bremsen bevorzugt hinten. 15,7 Liter Tankinhalt geben rein rechnerisch 350 Kilometer Reichweite (Werksangabe: 4,5 l/100 km) her. Beim niedrigen Durchschnittstempo in Indien sind auch mehr Kilometer drin. Wir landeten bei circa 4,2 Liter auf 100 Kilometer.
Mark Wells, Chief of Design von Royal Enfield, schwärmt: „Die Super Meteor ist der Archetyp eines Cruisers. Unser Ziel war es, ein Motorrad zu erschaffen, welches das Wesen der britischen Cruiser einfängt. Der Sonne entgegen und nie das Gefühl haben, unterwegs Zeit zu verlieren, darum geht es. Die Designsprache ist von den Stilen der 1950er Jahre beeinflusst, einschließlich unserer eigenen Motorräder, aber mit dem zeitgenössischen gewissen Etwas.“
Die Super Meteor 650 geht in zwei Versionen an den Start: Das Standard-Modell mit zweiteiliger Sitzbank kommt in den Mehrfarblackierungen Interstellar Green und Interstellar Grey sowie in den Unifarben Astral Black, Astral Blue und Astral Green. Die Super Meteor 650 Tourer fährt in den Zweifarbkombinationen Celestial Blue vor, beide sind mit Weiß abgesetzt. Der Lenker neigt sich hier weiter zum Fahrer und ist höher. Dazu gibt es ein transparentes Windschild, das gern etwas höher sein dürfte, und eine endlos lange Komfortsitzbank mit Sissy-Bar. Der maßgeschneiderte Koffersatz fasst 35 Liter. Plus Topcase (28 l) bietet die Super Meteor dann insgesamt 63 Liter Stauraum.
Mitte März war Verkaufsstart in Europa. Kaufpreis: ab 7.890 Euro in den drei „Astral“-Farben. Die Interstellar-Lackierungen kosten 8.090 Euro, der Tourer startet bei 8.390 Euro. Royal Enfield gewährt drei Jahre Garantie inkl. Road Side Assistance, zur Wartung muss die Maschine dafür alle 7.500 km bzw. 12 Monate.
Ralf Bielefeldt/cen, Auto-Medienportal.Net

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Bequeme Sitzbank mit schönen Steppnähten. Der Soziussitz fällt etwas klein aus, …

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… kann aber durch die endlos lange Komfortsitzbank mit Sissybar ausgetauscht werden. 

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Typische Royal-Enfield-Instrumente an den Lenkerenden.

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Der neue Paralleltwin mit 648 Kubik leistet 47 PS.

Marcus Lacroix von unserem Schwesternmagazin Kradblatt ist die europäische Version gefahren

Im letzten Jahr hatten wir euch im Mai die Royal Enfield 350 Classic vorgestellt, eine Maschine, die irgendwie aus der Zeit gefallen schien. Keine nennswerten Fahrleistungen, dafür jede Menge klassischen Fahrspaß. Ich hatte mir nach dem Fahrbericht direkt eine gekauft, so zum Entschleunigen – was auch tadellos funktioniert. Während die Optik der 350er viele Retro-Fans begeistert, hadern manche aber doch mit den Leistungsdaten: 20 PS bei fast 200 kg, was soll man da auch erwarten?! Umso gespannter war ich auf die 650er Super Meteor. Auch hier passt die Optik, wirkt bei diversen Details zudem wertiger, wie z.B. bei den schönen runden Auspuffenden oder den einstellbaren Handhebeln – andere, wie die grobschlächtige Fußrastenanlage oder die Züge/Kabel am Lenkkopf haben Luft nach oben. Im Segment der klassischen Cruiser steht die Super Meteor in ihrer Hubraumklasse aktuell alleine da. Benelli 502 C, Kawasaki 650 Vulcan S und Honda CMX 500 Rebell sind moderne Interpretationen des Cruiser-Themas, Suzuki und Yamaha, die mal echt schöne Chopper & Cruiser bauten, haben sich aus dem Segment komplett zurückgezogen, BMW, Indian, Harley und Triumph spielen in einer völlig anderen Liga. Da kann man der 650er Super Meteor durchaus gute Marktchancen attestieren.

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Augenschmeichelnde Retro-Designsprache am 16-Liter-Tank.

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Sehr schönes Cockpit. Das kleine Rundinstrument rechts zeigt in Verbindung mit der Enfield-App eine Google-basierte Turn-by-Turn-Navigation.

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Elegant wirken die runden Auspuffenden.

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Der Paralleltwin ist Luft-Öl-gekühlt.

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320 mm Scheibe vorne mit Bybre-Bremsen.

Während Kollege Ralf in Indien schwitzte, durften wir Anfang März in Norddeutschland frieren. Der Super Meteor war das egal – der Motor startet problemlos auf Knopfdruck, die Einspritzung regelt den Rest. Die Fahrleistungen liegen, wie auch nicht anders zu erwarten, deutlich über denen der 350er Modelle. Wer die selbstauferlegte Entschleunigung nicht konsequent durchziehen möchte oder sich nicht mehrere Motorräder gönnen kann/will, ist mit der 650er Super Meteor im Alltag auf jeden Fall besser bedient. Meine Wohlfühl-Geschwindigkeit lag mit der 650er zwar kaum höher als mit der 350er, dafür hat man aber immer genug Reserven. Die Maschine überzeugt durch einfache Bedienung und gutmütiges Fahrverhalten. Überholmanöver gelingen entspannt, auch ohne dafür Anlauf nehmen zu müssen. Der Fahrkomfort ist auch mit dem Seriensitz bei meinen 70 kg netto gut, harte Kanten oder Frostaufbrüche werden am Heck allerdings nur schlecht gefiltert. Die Komfortsitzbank soll – wie der Name es vermuten lässt – deutlich komfortabler sein. Wichtig, wie Ralf schon schrieb: passt die Federbasis (Vorspannung) an euer Gewicht an – das wird oft übersehen und hat großen Einfluss auf Fahrspaß und Sicherheit! Die Showa-Gabel ist nicht einstellbar, arbeitet aber komfortabler, als die beiden Federbeine am Heck. Statt der sportlichen Up-side-down-Variante hätte es hier für meinen Geschmack auch eine klassische Gabel mit Faltenbälgen getan. Die CEAT-Reifen aus indischer Produktion (ehem. Pirelli) geben auch auf kalter Straße keinen Anlass zur Klage; die bei uns eher unbekannte Marke schlägt sich auf meiner 350er ebenfalls gut. Die Schräglagengrenze habe ich witterungsbedingt mit dem Vorführer nicht ausgeloten wollen, sie scheint aber für einen Cruiser erfreulich hoch zu sein. Die Bremsleistung fällt vorne wie hinten besser als erwartet aus, das Bosch-ABS regelt zuverlässig und nur leicht im Handhebel spürbar. Die Schaltwippe ist in Deutschland – anders als in Indien – übrigens nicht serienmäßig. Schade, die kurzen Schaltwege könnte man auch bequem mit dem linken Hacken durchsteppen. Evtl. liegt es daran, dass Badeschlappen hierzulande eher selten auf dem Motorrad getragen werden. Enfield bietet für die Super Meteor aber diverses Zubehör an und was hier nicht zu bekommen ist, kann man problemlos direkt in Indien bestellen. Wie die eigene Erfahrung zeigt nicht unbedingt billiger, manches aber schneller.

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Ein USB-Stecker liegt etwas versteckt inkl. dem Bordwerkzeug hinter dem abschließbaren, linken Seitendeckel.

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In Deutschland hat die Super Meteor den klassischen Schaltarm. Die in Indien übliche Schaltwippe hat die D-Version nicht – schade eigentlich.

Etwas ungünstig hat Royal Enfield bei der 650er SM die USB-Steckdose hinter dem linken Seitendeckel versteckt. Bei den 350ern sitzt diese am Lenker. Ebenfalls unter dem abschließbaren Seitendeckel findet man ein Bordwerkzeug – heute nicht mehr unbedingt üblich. Gut gefällt mir das Cockpit: alle Infos inkl. einer Ganganzeige hat man direkt im Blick. Über einen Taster lassen sich lediglich Gesamtkilometer sowie Tageskilometerzähler A und B umschalten. Einen Drehzahlmesser habe ich nicht vermisst; mit zarter Gashand kann man selbst im sechsten Gang hackfrei durch Ortschaften rollen. Das kleine runde Zusatzdisplay mit der deutschsprachig etwas unglücklichen Bezeichnung „Tripper“ („Ey, ich habe jetzt meine neue Enfield und einen Tripper …“) ermöglicht zusammen mit der Enfield-App eine Google-basierte Turn by Turn Navigation.

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Wie bei Enfield üblich gibt es viele Farbkombinationen: Die Super Meteor hat deren sieben.

Mein Fazit: Mit der neuen 650 Super Meteor hat Royal Enfield erneut ein interessantes Motorrad auf die Räder gestellt und untermauert seinen Anspruch, auch außerhalb Indiens ernst genommen zu werden. Die Chancen dafür stehen wirklich gut. Mir persönlich taugt zwar die 350er besser (Stichwort: Zwangsentschleunigung), allerdings leiste ich mir auch den Luxus mehrerer Motorräder.

Marcus Lacroix, Kradblatt