Spaßbringer
Da steht sie nun also vor mir, die Kawasaki W800 Modelljahr 2023. Immer noch wunderschön und chromblitzend wie ihre älteren Schwestern in Metallic Slate Blue/Metallic Diablo Black, der einzig angebotenen Farbkombination für dieses Jahr.
Beim Anblick im strahlenden Sonnenschein kommen dabei sofort die Erinnerungen hoch. Erinnerungen an die Worte meiner Frau, als sie vor ein paar Jahren von der Probefahrt mit einer W800 zurückkam: „Die ist ja lustig“ meinte sie nur und damit begann eine echte Leidenschaft. Seitdem sind eine W800 aus 2011 und etwas später eine W650 der ersten Generation unsere ständigen Tour-Begleiter durch Europa.
Schaut man sich zu den Modellen den Gebrauchtmarkt im Internet an, sind heute die älteren, allen voran die 650er, preislich am Steigen. Es gibt eine überschaubare Auswahl an gut erhaltenen Maschinen, die um die 4.500 Euro beginnen und in der Spitze der Angebote mittlerweile preislich auf dem Niveau der ersten 800er-Modelle liegen. Die wiederum starten bei 5.500 Euro und gehen in der Spitze an die 8.000 Euro heran. In jedem Fall bekommt der interessierte Käufer damit ein wertstabiles und zugleich großartiges Heritagebike, auf das man alleine schon wegen der Königswelle immer wieder gerne angesprochen wird. Kleinere Schwächen der ersten Bauserien, wie das zu weiche Fahrwerk, kann man mit ein paar gezielten Eingriffen (progressive Gabelfedern und andere Federbeine) in den Griff bekommen. Damit endet auch das teils etwas nervige Kratzen der Fußrasten und die W wird in ihrem Rahmen ein echter Spaßbringer auf den Landstraßen dieser Welt.
Die aktuelle W800
Warum also bei so vielen positiven Vibes der alten Modelle eine W800 der aktuellen Generation kaufen und rund 11.000 Euro ausgeben? Nun, zum einen sind die neuen Modelle ab 2019 insgesamt gesehen erwachsener geworden. Dabei blieb die W aber den Grundfesten ihrer Werte erfreulicherweise treu. Hierzu passen unter anderem die beiden klassischen Rundinstrumente, in deren Gehäuse noch richtige Zeiger ihre Bahnen drehen. Die wenigen modernen Annehmlichkeiten der Gegenwart, die verbaut sind, sind hingegen erfrischend überschaubar und sinnvoll.
Dazu gehören unter anderem je eine Bremsscheibe vorne (320 mm Durchmesser) und eine hinten (270 mm Durchmesser), verbunden mit einem unauffällig arbeitenden ABS-System. Das bringt mehr Sicherheit auf der Straße und im Gegensatz zu den alten Modellen mit Trommelbremse hinten bremst diese Kombination schon serienmäßig richtig gut. Der neue LED-Scheinwerfer rundet neben den sonst klassischen Leucht- und Blinkelementen die Frontansicht der Maschine ab. Eine Traktionskontrolle, verschiedene Fahrmodi, Warnblinkanlage, oder gar ein Connectivity Ride sucht man hingegen vergeblich, dafür hat man als Fahrer die rechte Hand am Gasgriff und gleichzeitig jede Menge selbstbestimmte Freude am puren Fahren. Eine weitere echte Verbesserung stellt der Stahlrohrrahmen der Neuen dar. Der wurde nämlich von Kawasaki versteift und auch das Fahrwerk mit der 41er-Telegabel und den in der Federbasis einstellbaren Stereofederbeinen hinten arbeitet in seiner Auslegung zeitgemäß stabiler und zugleich straffer als früher. Stellt man die drei Jahrgänge nebeneinander, fällt direkt auf, dass die aktuelle Version insgesamt höher ist als die Vorgänger.
Modernste Technik in Sachen Lichtausbeute.
Königswelle – der Hingucker schlechthin.
Einstellbare Hebel.
Und dann ist da das Thema mit dem Klang! Man mag es kaum glauben, aber Kawasaki ist es gelungen, der W, trotz der aktuellen Euro-5-Norm, Sound zu verpassen. Tatsächlich klingt sie kerniger, ja auch hier erwachsener als die alten Modelle und holt aus ihren 773 cm³ ordentliche 63 Nm Drehmoment bei 4800 Umdrehungen heraus. Durch ihre 48 PS maximal Leistung ist sie ohne Drosselung direkt A2 tauglich und mit um die 4 Liter Verbrauch je 100 Kilometer zudem ausgesprochen sparsam. Die Reifengrößen haben sich zu den alten Modellen hin nicht geändert, jedoch gibt es aus unserer Erfahrung mit den Michelin Classic Road tatsächlich handlichere Alternativen, als die Dunlop Werksbesohlung der Maschine.
All die genannten Punkte sorgen am Ende dafür, dass sich die 225 kg (fahrfertig) schwere W spielerisch bewegen lässt. Die fünf Gänge des Getriebes schalten sich problemlos.Der Handhebel der leichtgängigen Kupplung und auch der Hebel der Vorderradbremse sind in der Weite verstellbar, was sehr kurzen und sehr langen Gliedern entgegenkommt. Zusammen mit der bequemen Sitzbank und dem eher flachen, nach vorn gerichteten Lenker ergibt sich für mittelgroße Menschen eine entspannte Sitzposition, die auch für längere Touren gut geeignet ist.
Und genau das kann man mit der W auch wunderbar tun. Carmen und ich waren mit unseren beiden Exemplaren mittlerweile mehrfach in Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland unterwegs. Dabei habe ich anfänglich natürlich einiges an unseren älteren Maschinen verändert, um sie reisetauglich zu bekommen. Legend Gear Taschen mit Halterungen von SW-Motech waren ein erster Schritt, ein weiterer war der Sitzkomfort durch straffere Sitzbänke. Es folgten breitere Lenker und zu guter Letzt bessere, überarbeitete Fahrwerkskomponenten.
Das alles, wie auch den Hauptständer, hat die Neue schon an Bord, oder es ist im Zubehörhandel zu bekommen.
In den meisten Situationen fühlt man sich auf der Kawasaki somit durchaus gut aufgehoben. Doch manchmal, in einer Minute der Schwäche, kann es schon vorkommen, dass sich der eine oder andere Fahrer bzw. Fahrerin etwas mehr Leistung wünscht. Diese Momente sind aber eher selten und in Anbetracht der fortschreitenden Begrenzung der Höchstgeschwindigkeiten in ganz Europa zugleich ein bisschen Jammern auf hohem Niveau.
Insgesamt gesehen überzeugt uns die Maschine mit vielen schön gemachten Details. Denn auch wenn sie gegenüber der W650 keinen Kickstarter mehr montiert hat, kann sie immer noch Aufmerksamkeit erregen. Ob nun mit der königlichen Welle auf der rechten Motorseite oder mit Bauteilen aus Metall, bei denen andere Hersteller mittlerweile auf Plaste zurückgreifen. Dazu gehören sowohl die erfrischend schlicht gehaltenen Armaturen als auch die chromglänzenden Schutzbleche und Seitendeckel der Maschine.
Modernste Technik in Sachen Lichtausbeute.
Königswelle – der Hingucker schlechthin.
Echte analoge Zeiger machen Freude.
Sturzbügel gibt’s als Extra.
Fazit
Heritage ist auch 2023 angesagt, denn die ursprünglich aus den 1960er Jahren stammenden Konzepte wurden über die Jahrzehnte weiterentwickelt und mit viel Liebe zum Detail immer wieder den aktuellen Vorschriften angepasst. Damit sprechen sie Motorradfahrer an, die es neben dem stressigen Alltag einfach mal einfach mögen, aber auf gewisse Sicherheitsfeatures nicht verzichten wollen.
So ist die Kawasaki W800 ein Motorrad, das mit seiner Eigenständigkeit perfekt in diese Klasse passt. Der luftgekühlte Reihentwin gehört mittlerweile leider zu einer immer seltener werdenden Antriebsart, die aufgrund strengerer Gesetze schon fast als Auslaufmodell bezeichnet werden kann. Unter anderem aus diesem Grund sollte man die Chance jetzt nutzen, dieses schöne Vergnügen noch zu erleben. Die Auswahl bietet derzeit tatsächlich für jeden Geschmack und Geldbeutel eine Möglichkeit, sich noch eine W zu sichern. Wer es dabei gerne richtig pur mag, nimmt die 650er-Modelle. Wer auf einen Choke und Vergaser verzichten und etwas weniger ausgeben möchte, nimmt die W800
MK1 Modelle. Ja und wer einfach nur fahren will und ABS schätzt, der schlägt bei der neuen W800 zu.
Was uns zu guter Letzt noch darauf bringt, dass es reichlich Zubehör für die Modelle ab 2019 gibt, das teilweise aber auch auf den alten Varianten verbaut werden kann.
Carmen und ich werden unsere beiden Ws jedenfalls nicht mehr verkaufen, denn wir finden sie beide immer noch lustig und genießen die Zeit auf der Straße mit ihnen.
Fotos: TT und Hersteller
Fahrzeugschein Kawasaki W800 | 2023
Motor: 2-Zylinder-Reihenmotor
Getriebe: 5-Gang-Getriebe
Antrieb: Kette
Rahmen: Doppelschleifen Rohrrahmen
Radstand: 1.465 mm
Bremse vorne: 1 x Ø 320 mm
Bremse hinten: 1 x Ø 270 mm
Hubraum: 773 ccm
Leistung: 48 PS bei 6.000 U/min.
Drehmoment: 63 Nm bei 4.800 U/min.
Gewicht: 226 kg fahrbereit
Tankinhalt: 15 Liter
Sitzhöhe: 790 mm
Höchstgeschwindigkeit: 166 km/h
Verbrauch: 4,8 Liter auf 100 km
CO2-Emission: 119 g/km
Preis: ab 10.645 € zzgl. Nebenkosten
Über den AUTOR
TORSTEN THIMM
Freier Mitarbeiter.
Betreibt einen Motorrad-Blog, in dem er von ihm getestete Motorräder, Zubehör und Bekleidung vorstellt.
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