Frischer Wind aus Hamamatsu
Werfe ich als Motorradfahrer einen Blick zurück auf die zweieinhalb Jahrzehnte, die seit meiner bestandenen Führerscheinprüfung vergangen sind, muss ich unweigerlich auch an Suzuki denken. Mir kommt der Kassenschlager Suzuki Bandit in den Sinn, die in meiner Anfangszeit Ende der Neunziger das Naked Bike schlecht hin war. Da ist die Suzuki GSX-R 1000, die in den frühen Zweitausendern in der Klasse der Superbikes in Sachen Leistung und Fahrbarkeit neue Maßstäbe setzte. Und unweigerlich muss ich auch an Suzukis Hayabusa denken, die als erstes Serienmotorrad die magische 300 Km/h-Schallmauer durchbrochen hat. Mir fällt dann aber auch auf, dass es in den letzten Jahren um die Marke aus Hamamatsu sehr ruhig geworden ist. Die legendären Vierzylinder der GSX-R Baureihe sind in Europa nicht mehr verfügbar, bei den Naked Bikes setzte man zu lange auf Altbewährtes, echte Neuerungen gab es lange nicht. Entsprechend kannte die Entwicklung der Verkaufszahlen in Deutschland nur eine Richtung. Man hatte fast den Eindruck, als sei das Ende der Motorradsparte der Marke schon eingeleitet. Doch mit der neuen Suzuki GSX-8S wagt man sich bei Suzuki in den hart umkämpften Markt der Mittelklasse Naked Bikes und versucht mit der japanischen Interpretation eines Streetfighters den Neuanfang.
Neuer Anfang, neue Technik
Das neue Modell soll für Suzuki nicht nur eine Trendwende einläuten, sie soll auch den Staub abschütteln, den die Suzuki Modellpalette angesetzt hat. Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, tritt sie auch noch in einem Segment an, in dem ein Motorrad unkompliziert genug für Neulinge und Wiedereinsteiger sein und auch den Anforderungen erfahrener Motorradfahrer gerecht werden muss, die sich ein Zweitmotorrad in die Garage stellen wollen. Konsequenterweise griff man nicht auf bestehende Bauteile zurück, sondern begann die Entwicklung auf dem sprichwörtlichen weißen Blatt Papier. Um neue Wege im Design gehen zu können, wurde in einigen Bereichen sogar die „Form-follows-Function“-Philosophie über Bord geworfen und die technische Basis um den Designentwurf herum entwickelt. Das Schlüsselelement ist hier der neue Stahlrohrrahmen, in dem ein ebenfalls komplett neu entwickelter Reihenzweizylinder sitzt.
Dabei zeichnet sich das Aggregat nicht nur durch die ungewöhnliche Größe von 776 Kubikzentimeter aus, sondern ist aufgrund einer technischen Innovation auch einen genaueren Blick wert. Um den für das Motorkonzept typischen Vibrationen entgegenzuwirken und trotzdem eine kompakte Baugröße zu erreichen, kommt im Antrieb die neue „Cross Balancer“ genannte Anordnung der Ausgleichswellen zum Einsatz. Während in der Regel eine Ausgleichswelle vor und eine hinter der Kurbelwelle positioniert wird, um Vibrationen zu unterbinden, sitzt bei der neuen GSX-8S die zweite Ausgleichswelle unter der Kurbelwelle.
Der Reihenzweizylinder und der Stahlrohrrahmen der GSX-8S wurden von Grund auf neu entwickelt.
Die Bremsanlage aus dem Hause Nissin hat die GSX-8S souverän im Griff, für die Gabel wäre etwas mehr Dämpfung wünschenswert.
Das neue Gesicht bei Suzuki – LED-Scheinwerfer, knappe Frontmaske und große Blinker.
Auch im Heck setzt Suzuki auf bewährte LED-Technik.
Streetfighter aus dem Land der aufgehenden Sonne
Aber es gibt noch weitere Besonderheit bei der Konstruktion. Um eine flache Silhouette und so das neue, sportlich-aggressive Streetfighter-Design zu realisieren, sitzt die Airbox bei der Suzuki nicht wie üblich über dem Motor, sondern wanderte unter den Fahrersitz. Diese Form der Frischluftzufuhr für die Gemischbildung ermöglicht nicht nur eine niedrige Bauform des Tanks, sondern der daraus resultierende, flache Boden des Spritreservoirs schafft auch Platz für 14 Liter Sprit. Das prägendste Element ist aber die Frontpartie mit der neuen Lampenmaske, den beiden LED Scheinwerfern und der knappen Seitenverkleidung, die der Suzuki einen muskulösen und eigenständigen Auftritt verleihen, ohne dabei dem kompakten Motor zu viel Aufmerksamkeit zu entziehen. Gleiches gilt auch für die Auspuffanlage mit dem großen Sammler und dem winzigen Endtopf. Um die geringe Baugröße des Abgastrakts zu erreichen, nahm man bei Suzuki sogar ein kleines Leistungsminus in Kauf. Denn während der Zweizylinder, der identisch auch in der Suzuki V-Strom 800 zum Einsatz kommt, im Reisemotorrad mit der größeren Auspuffanlage laut Suzuki 84 Pferdchen generiert, weisen die Japaner für die GSX-8S nur 83 PS aus. Da das maximale Drehmoment von 78 Newtonmeter aber auch im Naked Bike bei 6.800 Touren erreicht wird, ist dieses kleine Opfer problemlos zu verkraften. Auch die Verkleidung der Heckpartie folgt der reduzierten Formensprache und wird vom geschraubten und in Motorradfarbe lackierten Rahmenheck akzentuiert. Abgesehen von den riesigen Blinkern mit konventionellen Glühbirnen findet sich achtern mit dem ausladenden Kennzeichenhalter inklusive Rücklicht aber auch der einzige optische Wermutstropfen.
Mit 1.465 Millimetern hat die GSX-8S den Radstand aller GSX Naked Bike Modelle.
Die linke Schaltereinheit steuert Fahrmodi und Traktionskontrolle, der Lenker liegt gut zur Hand.
Das 5-Zoll-TFT-Display der Suzuki ist gut ablesbar, der Riding Modus A ist für die zügige Landstraßenrunde optimal.
Aggressives Design trifft auf freundliches Gemüt
Der Auftritt der GSX-8S ist zwar wild, wie bei Suzuki üblich wurde bei der Entwicklung aber auch großer Wert auf Fahrbarkeit gelegt. Das merkt man schon beim ersten Sitzkontakt. Dank der Kombination aus schmalem Knieschluss und der kommoden Sitzhöhe von 810 Millimeter erreichen auch kleingewachsenere GSX-8S-Fans den Boden gut mit beiden Füßen. Die Fußrasten sind nicht zu hoch montiert und auch der breite Lenker wirkt durch die aggressive Optik vorderradorientierter und sportlicher, als er tatsächlich ist. Um der GSX-8S einen freundlichen und berechenbaren Charakter zu verleihen, achteten die Suzuki-Ingenieure auch an anderer, nicht ganz so offensichtlicher Stelle auf das aus ihrer Sicht richtige Maß. Denn die 8S hat im Vergleich zu den aktuellen GSX Naked Bike Modellen mit 1.465 Millimetern den längsten Radstand, um in allen Situationen die nötige Fahrstabilität zu bieten. In Summe soll die Zweizylinder-GSX ein harmonisches Gesamtkonzept bieten, das weder auf der Pendlerfahrt in der Stadt noch auf der flotten Landstraßenrunde Wünsche offenlässt.
Für die Testfahrt stehen für den japanischen Streetfighter Stadtverkehr, Landstraße und Kurvengeschlängel auf dem Programm – also das klassische Umfeld für sportliches Naked Bike. Schon auf den ersten Kilometern Richtung Stadtrand läßt die Suzuki die Qualitäten des ausgewogenen Konzeptes aufblitzen. Die 8S bringt fahrfertig 202 Kilogramm auf die Waage, im Fahrbetrieb will man aber nicht meinen, dass die Zweizylinder-GSX zur Ü-200-Gewichtsklasse gehört. Flink wieselt man mit dem Bike durch den Verkehr, ist jeder Zeit Herr der Lage und bereit, schnell in die nächste Lücke zu stechen. Mindestens genauso überraschend ist der kräftige Antritt des Zweizylinders. Bereits ab 3.000 Touren schiebt der Twin mächtig vorwärts und selbst der Drehzahlbereich darunter ist nutzbar, auch wenn der Motor hier einen Tick ruhiger und sensibler agieren könnte. Abhilfe schafft in puncto Ansprechverhalten die Schaltereinheit am linken Lenkerende. Über den Mode-Knopf kann man hier nicht nur die dreistufige Traktionskontrolle bedienen, sondern über den S-DMS (Suzuki Drive Mode Selector) auch aus den drei Riding Modes A (Active), B (Basic) und C (Comfort) wählen. Während letztgenannter einem Regen-Modus mit sehr sanfter Leistungsentfaltung gleichkommt, entspricht die A-Variante einem Sportmodus mit direkter Gasannahme. Bei niedrigen Temperaturen und kaltem Antrieb ist für die ersten Kilometer aber Standardmodus B die entspanntere Option.
Auch die Schwinge wurde für die GSX-8S neu entwickelt, die Fußrasten sind gut positioniert.
Die Sitzhöhe fällt an der GSX-8S mit 810 Millimeter noch moderat aus.
Fertig für die Reise mit der originalen Gepäcklösung von Suzuki.
Spaß auf allen Gassen
Ist der Motor auf Betriebstemperatur oder spätestens ab Erreichen des Stadtrands ist dann aber der Sportmodus die richtige Wahl. Denn trotz der moderaten Leistung von 83 PS und der kommoden Sitzposition steckt in der Suzuki ein quirliger Landstraßenbrenner, der gefordert werden will und auch mit anspruchsvollem Geläuf zurechtkommt. Egal, ob schnelle Passage mit weiten Radien und griffigem Asphalt oder Nebensträßchen mit vielen Belagwechseln, Absätze, Rissen und Rillen – die Suzuki weiß auf jedem Geläuf zu überzeugen. Die Kayaba-Federelemente sind zwar bis auf die Federvorspannung am Zentralfederbein nicht einstellbar, bewiesen aber auf dem anspruchsvollen Untergrund überraschende Nehmerqualitäten, sodass die Abstimmung als durchaus gelungen bezeichnet werden kann. Das Fahrwerk bietet genug Komfort und filtert schnelle, harte Stöße durch Fahrbahnunebenheiten gut weg, ist aber auch straff genug, um auch auf schlechtem Untergrund bei sportlicher Gangart den Spaßfaktor hochzuhalten. Einzig die Gabel taucht beim beherzten Griff zur Bremse recht schnell ab und könnte etwas mehr Dämpfung vertragen.
Das wiederum kann aber auch an der sehr guten Stoppern aus dem Hause Nissin liegen. Die Kombination aus 310er Scheiben und radial verschraubten Bremssätteln vorne ließ zu keiner Zeit Wünsche offen, auch die Hinterradbremse generiert ordentlich Verzögerung. Die unterhaltsame Mischung aus guter Motorisierung, solidem Fahrwerk und sportlicher Bremse führt auch dazu, dass man ruckzuck aus dem Bummelbetrieb in den Sportmodus wechselt und sich automatisch entsprechend engagiert auf dem Motorrad bewegt. Eine Fahrweise, die die Suzuki trotz der eher entspannten Sitzposition erstaunlicherweise sehr gut zulässt. Mit Leichtigkeit bewegt man sich von links nach rechts, das Motorrad folgt neutral allen Lenkimpulsen, nichts schränkt hier den Bewegungsdrang ein. Vor allem größere Piloten profitieren dabei auch vom zum Fahrersitz hin abfallenden Soziussitz, an dem man sich sehr gut nach hinten abstützen kann. Unterstrichen wird die sportliche Note durch den serienmäßigen Schaltautomat, der sowohl beim Hoch- als auch beim Runterschalten schnelle Schaltvorgänge zulässt. In niedrigeren Gängen im Teillastbereich könnte dieser zwar etwas sensibler zu Werke gehen, beim engagierten Landstraßenritt fällt dieser Aspekt aber kaum ins Gewicht. In den höheren Gängen und mit ordentlich Zug auf der Kette gelingen die Schaltvorgänge butterweich. Der Begrenzer der Suzuki GSX-8S beendet den Vortrieb zwar erst bei knapp unter 10.000 Touren, den Blipper nutzt man in der Regel aber schon deutlich früher, da die Maximalleistung bereits bei 8.500 U/min ansteht. Auch jenseits dieser Marke macht der Motor dank seiner guten Manieren noch Spaß, der Vortrieb lässt dann jedoch spürbar nach. So kann man sich auf dem Motorrad fast in Trance fahren und nur die Tankanzeige auf dem gut abzulesenden Display ermahnt einen irgendwann, dass es Zeit ist, einen Stopp einzulegen. Der kommt bei sportlicher Gangart dank des noch moderaten Verbrauchs von gut sechs Liter erst bei knapp 200 Kilometer.
Die GSX-8S kann ich drei Farbenkombis bestellt werden: Metallic Mat Black, Pearl Tech White und Pearl Cosmic Blue.
Viel Emotion für wenig Kohle
Die GSX-8S kann in den Farben Pearl
Cosmic Blue, Pearl Tech White und Metallic Mat Black bestellt werden, wobei die Varianten Pearl Cosmic Blue für Suzuki mehr ist als nur ein einfaches Blau. Laut Suzuki wurde diese Farbvariante auch dafür entwickelt, den Aufbruch der Marke in eine neue Ära zu unterstreichen. Auch wenn der Metallic-Lack sicher nur einen geringen Einfluss hat – die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die neue GSX-8S den Japanern den Weg in eine strahlende Zukunft ebnet. Der Reihenzweizylinder ist mit 8.900 Euro zwar nicht das günstigste und mit 83 PS auch nicht das stärkste Motorrad in ihrem Segment, er bietet dank des tollen Gesamtkonzepts, den wertigen Komponenten und der sehr gelungenen Ergonomie aber jede Menge Fahrspaß. Doch es gibt noch mehr Punkte auf der Habenseite. Die Suzuki sticht dank ihres Designs schon auf den ersten Blick aus der Masse heraus und weiß auch bei genauerem Hinsehen durch die gute Verarbeitung und ihre wertige Anmutung zu überzeugen. Und auch Führerschein-Neulinge können von den Qualitäten von Suzukis neuem Mittelklasse-Flaggschiff profitieren: die GSX-8S gibt es natürlich auch in einer A2-Variante.
Text & Fotos: D. Dürrfeld & Suzuki