Flat Track Racing – in den USA Motorsport mit langer Tradition und Historie. Hier gilt es – ganz einfach ausgedrückt – mit einem Motorrad ohne Vorderradbremse in einem Sandoval die Nase beim Zieleinlauf vorne zu haben. Die beiden großen Konstrukteur-Konkurrenten im Flat Track Racing sind Harley und Indian. Die Firma Indian hat in der Vergangenheit mehrfach seinen Inhaber gewechselt – der Name Indian blieb bestehen. 2011 kaufte Polaris Industries Indian quasi als Ergänzung zur hauseigenen Marke Victory. Die Produktion von Victory-Motorrädern wurde 2017 verlustreich eingestellt, um sich in Zukunft ganz der Marke Indian zu widmen. Eine durchaus richtige Entscheidung, wie ich finde. Im Jahr 2017 war es auch, als Polaris eine Studie der FTR 1200 bei der EICMA in Mailand präsentierte. Nach dem Motto „von der Rennstrecke auf die Straße“ wurde eine straßentaugliche Maschine auf Basis des Flat-Track-Seriensiegers FTR 750 entworfen. Das Interesse war groß und da die Retrowelle immer mehr und mehr überschwappte, war es folglich die einzige richtige Entscheidung von Polaris in der Mitte des Jahres 2018 anzukündigen, dass die FTR 1200 in Serie gehen wird. Erste Maschinen sollten 2019 verfügbar sein. Damit durchbricht Indian auch die jahrzehntelange Crusier-Tradition für die Straßenmaschinen – und das ist vollauf gelungen. Indian, bisher in Freiburg und Südbaden nur ein weißer Fleck auf der Landkarte, ist seit April diesen Jahres in Freiburg vertreten. Für mich die Gelegenheit, die FTR 1200 für einen Tag ausgiebig zu testen. Janosch Duracic von Indian Motorcycles Freiburg hat mir ganz unkompliziert und kurzfristig einen Termin frei gemacht. Am 12. Mai, am einzigen schönen Tag der Woche, habe ich meine Honda für einen Tag gegen die FTR 1200 eingetauscht. Flat Track Racing (FTR) funktioniert mit der neuen Indian nur bedingt, dafür ist sie aber auch nicht gebaut worden. Wer aber auf der Sitzbank Platz nimmt, spürt den Spirit dieses außergewöhnlichen Rennsports. Ich als großer Fan der Retrowelle, fühle mich jedenfalls auf der Indian sofort pudelwohl. Mit den Füßen bin ich (Körpergröße 186 cm) im Stand fast ganz auf dem Asphalt. Nach einer kurzen Einführung von Janosch bezüglich der Bedienelemente kann es auch schon losgehen. Und ich schreibe bewusst „kurze Einführung“, denn die Menüführung des Touch-Screens ist denkbar einfach aufgebaut. Dazu aber später mehr.
Details FTR 1200 S
Die von Indian Motorcycles Freiburg (siehe auch Seite 17 in dieser Ausgabe) zur Verfügung gestellte Maschine wird, wie alle FTR-Modelle durch einen kraftvollen V-Twin angetrieben. 120 PS, 1.203 Kubik und ein bärenstarker Drehmoment von 120 Nm lassen keine Fragen in Bezug der Leistungsfähigkeit aufkommen. Der Motor selbst fügt sich einen Stahl-Gitterrorrahmen ein. Also, Zündschlüssel rein, starten und los. Das Zündschloss befindet sich dicht am Lenkkopf und wird bei der hier vorgestellten „S“-Reihe vom TFT-Bildschirm überspannt – die Standardversionen der FTR haben ein klassisches Rundinstrument. Anfangs ist es etwas fummelig, den Schlüssel in das Zündschloss zu bringen, das legt sich aber sehr schnell. Beim Abstellen der Indian fällt mir der sehr lange Seitenständer auf. Die FTR steht dadurch ziemlich aufrecht. Die Angst, die Maschine könnte umkippen, wird noch dadurch verstärkt, dass das Lenkerschloss nicht – wie ich es gewohnt bin – in eingeschlagener Position funktioniert, sondern in kerzengerader. Da muss man sich erst mal daran gewöhnen und auf eine entsprechende Topografie des Parkplatzes achten. Die ersten Kilometer fahre ich auf den Schönberg bei Freiburg. Hier gibt es ein paar schöne langgezogene Kurven, um die rund 237 kg schwere – wenn vollgetankt – Rothaut schonmal in die Schräge zu bringen. Mein Dank an dieser Stelle an Sven Ketz, der kurzfristig eingesprungen ist, um ein paar actionreiche Fahrbilder zu schießen. Die Indian hat zwei wunderschön geschwungene, dicke Krümmer und atmet über zwei fette Endrohre mit einem bassig aggressiven Ton aus. Bei der teureren Race-Replica-Variante sind zwei Akrapovic-Töpfe verbaut. Dank dem voll einstellbaren Fahrwerk mit einem in der Vorspannung sowie Zug- und Druckstufe einstellbaren Federbein kann der individuelle Fahrstil abgestimmt werden. Zur weiteren Verbesserung der Fahreigenschaften wurde dem Indianer ein niedriger Schwerpunkt verpasst, was in erster Linie dem Treibstofftank, der sich unter dem Sitz befindet, geschuldet ist. Auf meiner weiteren Fahrt hoch zum Kreuzweg auf 1.080 m Höhe kann ich die Indian richtig tanzen lassen. Haarnadelkurven, langgezogene Kurven, gerade Abschnitte – alles dabei. Die angepriesene Agilität des Fahrwerks hat sich dabei sehr positiv bemerkbar gemacht.
seitlicher Kennzeichenhalter
Für das Mehr an Sicherheit sorgen die schräglagenabhängige Stabilitäts-, Traktions- und Wheelie-Kontrolle sowie natürlich ABS. Hier oben auf dem Kreuzweg widme ich den Details der FTR. Der etwas seltsam anmutende originale Kennzeichenhalter, der im Auslieferungsstatus angebracht ist, hat Janosch als erstes durch einen seitlichen Kennzeichenträger ausgetauscht. Keine große Sache, aber optisch eine absolute Steigerung. Zusätzlich hat Janosch noch die vorderen trapezförmigen Blinker durch kleine LED Blinkgeber Wunderkind ausgetauscht. Ebenso die hinteren, die im Auslieferungszustand wie zwei Flügel am Kennzeichenhalter abstehen. Zubehörhandel, bitte übernehmen! Die Schuhe, die die Rothaut an hat, wurden von Dunlop (Typenbezeichnung DT3) speziell für die FTR entwickelt und haben ein typische, grobes Flat-Track-Profil. Sie sind für unterschiedliche Untergründe entwickelt und verfügen über einen starken Grip – was sich auch bei meiner Abfahrt nach Münstertal bestätigt hat. Die Straße über die Münsterhalde nach Münstertal ist eine der schlechtesten hier in der Region. Überall Flickwerk, Schlaglöcher, Bitumenstreifen, aufgeplatzter Asphalt mit Längsrillen. Das hat die Indian aber wenig interessiert und fast alles weggebügelt.
Verlassen kann man sich auch auf die kräftig zubeißenden Bremsen aus dem Hause Brembo. Die beiden vorderen Bremssättel sind an der Upside-Down-Gabel radial montiert. Die vorderen Scheiben haben einen Durchmesser von 320 mm, die hinteren 265 mm. Von Münstertal führt mich die Testfahrt in Richtung Freiburg. Viele Kreisverkehre auf der Strecke, aber auch gerade Straßenführung, bei der ich auch mal überholen konnte. Gerade beim Überholen spürt man den satten Durchzug des Triebwerks. Die Indian geht ab wie Luzie und macht auch hier richtig Laune. Beim Blinken zum Abbiegen fällt mir auf, dass der Blinker nach dem Abbiegen nicht zurückgestellt werden muss – das geht nach einigen Metern von ganz alleine. Ich liebe dieses Sicherheitsfeature! Die elektronisch abgeregelte Höchstgeschwindigkeit der Indian liegt laut Hersteller bei 193 km/h. Ein Wert, der meines Erachtens nicht so wichtig ist – wer will schon mit dem Teil so schnell fahren? In Sachen Geschwindigkeit hat der Indianer einen Tempomat serienmäßig an Bord, um auch mal ganz cool bei längeren Strecken zu cruisen. Wie anfangs erwähnt, verfügt die FTR in der S-Version über einen großen, jederzeit gut ablesbaren TFT-Touchscreen, der auch problemlos auf behandschuhte Finger reagiert. Bedienen lässt sich der Screen entweder direkt über den druckempfindlichen Bildschirm oder auch über einen kleinen Joystick an der linken Seite des Lenkers.
Farbvarianten
Mit an Bord ist auch ein USB-Anschluss zum Aufladen diverser Geräte. Ein Smartphone kann ganz easy via Bluetooth gekoppelt werden und ermöglicht es, Telefonate zu führen oder Musik aus der eigenen Musiksammlung abzuspielen – vorausgesetzt man hat entsprechende Hardware im Helm verbaut. Wer’s mag. Via Touchscreen lassen sich auch die drei Fahrmodi „Rain“, „Standard“ oder „Sport“ auswählen, was sich dann bei der Gasannahme und der Abstimmung der Traktionskontrolle bemerkbar macht. Die Fahrdaten können durch zwei wählbare Bildschirmlayouts angezeigt werden. Ein Wechsel zwischen den beiden Layouts funktioniert ganz einfach mit einem Doppel-Tipp auf den Screen. Der einzige Wermutstropfen bei meiner Testfahrt war, dass der Tag mit der FTR viel zu schnell vorbei gegangen ist und ich dieses außergewöhnliche Motorrad wieder abgeben musste. Herzlichen Dank nochmal an Janosch Duracic von Indian Motorcycles Freiburg für die Bereitstellung. Zum Schluss noch die wichtige Frage. Was soll die Indian denn nun kosten? Unkonfiguriert bekommt man die FTR 1200 S für 15.990 €, die Variante Race Replica für 17.290 € und die in Stückzahl limitierte FTR Carbon für 17.990 €. Diverse Pakete lassen sich dazubuchen und die Zwanzigtausend-Euro-Schallmauer durchbrechen. Oder einfach gleich diverse Bauteile vor Ort um- bzw. ausbauen. Janosch berät Euch da sehr gerne und Ihr könnt auf die jahrelange Customize-Erfahrung von Duracic bauen. www.indian-freiburg.de
Text und Fotos: Guido Schmidt
Über den AUTOR
Guido Schmidt
Inhaber und Verleger des bmm.
Fährt privat eine Honda CB 1100 RS.
Schreibt überwiegend Reiseberichte, über Regionales, Veranstaltungen und Produkttests.
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