Charakter auf Retro-Art
Ein bisschen was von einer Triumph Bonneville, ein bisschen Speed Twin. Der Name hört sich auch verdächtig nach der Herkunft aus United Kingdom an: Brixton Cromwell. Brixton – ein Stadtteil in Englands Hauptstadt, stand Pate für den Markenname. Auch die Typenbezeichnung Cromwell klingt extrem englisch und vermutlich wurde Lord Protector Richard Cromwell (1626–1712) als Namesgeber auserkoren. Die 2,4 Kilometer lange Cromwell Road ist eine Hauptverkehresstraße in London. Sie soll nach Richard Cromwell benannt worden sein, der dort im 17. Jahrhundert ein Haus besaß.
Die Motorräder von Brixton orientieren sich schon seit Gründung der Firma im Jahre 2016 stark an den englischen Motorrad-Klassikern. Brixton ist die Eigenmarke der österreichischen KSR-Gruppe aus Krems, die sich in der D-A-CH-Region unter anderem auch um den Vertrieb von Royal Enfield, Malaguti und Lambretta kümmert. Produziert wird die Brixton in China.
Brixtons Cromwell gibt es schon seit 2016 mit 125- und 250er Motoren. Mit der neuen Cromwell 1200 geht Brixton erstmals ganz neue Wege in Sachen Hubraum. So ist die Cromwell das erste Brixtonmodell mit mehr als einem Liter Hubraum – 1.222 um genau zu sein. Das hubraumstärkste Modell von Brixton war bisher die Crossfire mit 500 Kubik.
An einem sonnigen Tag im Oktober durfte ich die neue Brixton Cromwell 1200 ausgiebig fahren. Ilona Pfeiffer von Ilonas Schwarwald Garage in Haslach-Schnellingen hat mir dieses wunderschöne Motorrad freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Bei meiner Ankunft in Haslach steht die Cromwell in der Ausführung Timberwolf Grey schon parat. Der erste visuelle Eindruck gefällt mir. Die Drahtspeichenräder unterstreichen den ohnehin schon unübersehbaren Retrocharakter. Die Metallplakette am hinteren Fender oberhalb des überaus gefällig designten Rücklichtes, das digitale Rundinstrument, die zwei edelstahlgebürsteten Auspuffrohre und der herrlich gefräste Tankdeckel mit dem X-Logo tun ihr übriges.
Mir als Retrofan geht beim Anblick der neuesten Brixton jedenfalls das Herz auf und ich kann es nicht mehr erwarten, damit loszufahren. Viele Erklärungsbedarf vor der ersten Fahrt hat die Cromwell nicht. Brixton verzichtet auf viel Schnick-Schnack. Gerade mal entspannte zwei Fahrmodi stehen zur Verfügung – ECO und Sport. Um es vorweg zu nehmen: der harmonische ECO-Modus reicht völlig aus. Die Gasannahme und die Lastwechsel im Sportmodus waren mir persönlich zu heftig, was am Mapping in Kombination mit Ride by Wire liegen mag. Unaufgeregter und weicher fährt es sich jedenfalls im ECO-Mode. Das Umswitchen von einem Modus in den anderen ist allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Durch langes Drücken (etwas um die fünf Sekunden) des entsprechenden Schalters wechselt der Modus und die Anzeige im TFT-Rundinstrument.
Designsprache, die gefällt: an vielen Stellen der Cromwell findet sich entweder das Brixtonlogo oder einfach nur die stilisierte Windrose. Sehr nice ist das Typenschild auf dem hinteren Fender und der Tankdeckel.
Das Rundinstrument selbst ist gut ablesbar. Im Ecomode liegt der Schwerpunkt der Anzeige auf dem Geschwindigkeitsband, die Drehzahl liegt gut ablesbar als kleinerer Halbkreis darunter. Im Sportmodus schaltet auch das Display in sportlich um. Die Drehzahl ist in dieser Anzeige im Vordergrund, die Geschwindigkeit wird nur durch Zahlen angezeigt. Mir persönlich gefällt optisch das Bildschirmdesign im ECO-Mode besser. An der rechten Seite des Rundinstrumentes ist ein USB-Anschluss verbaut, der für eine Erhaltungsladung von Navi oder Handy geeignet ist.
Ich setze mich auf die durch ihre Steppnähte edel wirkende Sitzbank. Die straffe Spannung wird sich wohl auch bei längeren Touren als günstig erweisen. Sehr bequem ist mein erster Eindruck, auch mein zweiter Eindruck nach Ende des Tages bestätigt sich positiv. Mit beiden Füßen komme ich mit meinen 186 cm Körpergröße lässig auf den Boden.
An Assistenz hat die Cromwell serienmäßig ABS, Traktionskontrolle und einen Tempomat an Bord. Letzterer sehe ich bei der Cromwell eher als Nice-To-Have an, schon allein deswegen, da der Tempomat nur auf An oder Aus gestellt werden kann. Nun aber starten und losfahren. Der Klang der Cromwell ist nicht aufdringlich, eher ein sanftes, angenehmes Blubbern. Mit 89 Dezibel im Stand weit unterhalb der Tirolgrenze.
Ich schalte in den ersten Gang, der butterweich einrastet und fahre vom Firmengelände in Richtung Offenburg. Dankenswerterweise hat Gunter Pfeiffer die Cromwell schon mit rund 200 Kilometer eingefahren.
Das digitale Rundinstrument hat zwei Designs. Hier das Displaydesign des ECO-Modus’.
Bei 6.550 U/min leistet das flüssigkeitsgekühlte Zweizylinder-Triebwerk der Pseudo-Engländerin 83 PS. Auf der leicht kurvigen Bundesstraße kann ich die Beschleunigung der Brixton testen. Die fetten 108 Nm Drehmoment, die schon bei 3.100 Umdrehung parat stehen, lassen die rund 235 kg schwere Cromwell in knapp fünf Sekunden von null auf hundert sprinten. Viel beeindruckender ist der Durchzug im sechsten Gang. Hier zieht die neue Brixton kraftvoll durch. Ein Durchfahren durch Ortschaften ist im fünften oder sechsten Gang bei Tempo 50 ruckelfrei möglich (ausgenommen ist hier ein eingesteller Sport-Modus). Die laut Brixton angegebene Höchstgeschwindigkeit von 198 km/h habe habe ich nicht ausgereizt und wollte ich auch gar nicht.
Etwas schärferes Anbremsen vor dem Ortsschild meistert die Cromwell einwandfrei. Das Bremsverhalten ist vorzüglich. Die verbauten Nissin-Bremssättel aus Japan beißen kräftig zu und vermitteln Sicherheit.Fotostopp in Kippenheim mit genauerer Betrachtung der Bauteile. Der vordere, runde Scheinwerfer ist, wie bei Brixton üblich, mit der Windrose gestaltet – was zu dem außergewöhnlichen, Brixton-typischen Tagfahrlicht führt. In der Mitte des Scheinwerfers prangt das Brixton-Signet, wie an vielen weiteren Stellen der Cromwell, mal als Schriftzug, mal als stilisierte Windrose. Gemeinsam mit den Miniblinkern und dem Rücklicht ist in Sachen Beleuchtung alles modernste LED-Technik. Die KSR-Designer dürfen sich getrost detailverliebt nennen.
Mit dem 1200-Kubik-Triebwerk der Cromwell betritt Brixton Neuland. Die cleane und edle Optik unterstreicht den Retrocharakter.
Erste Wahl: Der Vierkolben-Bremssattel vom japanischen Bremsenhersteller Nissin und die 310 mm Doppelscheibe lässt keine Fragen offen.
Die KYB-Stereofederbeine lassen sich via Hakenschlüssel zumindest in der Vorspannung einstellen. Die Teleskopfedergabel mit ihren Retro-Faltbälgen lässt sich in Druck- und Zugstufe nicht einstellen. Die Speichenräder sind mit Pirellis Phantom Sportscomp ausgestattet und liefern den sehr guten, gewohnten Grip. Der grandios ergonomisch gestaltete Tank mit seinem ästhetischen Tankdeckel fasst 16 Liter Sprit. Das ergibt bei einem Durchschnittsverbrauch von 4,6 Litern auf 100 km eine Reichweite von etwas mehr als 300 Kilometer, je nach Fahrweise und Topografie.
Nach dem Fotostopp fahre ich die Brixton durch kurviges Revier wieder zurück zu Ilonas Schwarwald Garage. In der ein oder anderen Kurve kratzen auch schon mal die „Angstnippel“ auf dem Asphalt. Trotz alledem lässt sich die Cromwell mit ihren rund 235 Kilogramm Lebendgewicht flink durch die Kurven chauffieren. Vielen Dank nochmal an Ilona Pfeiffer von Ilonas Schwarzwald Garage für die unkomplizierte Bereitstellung der Cromwell 1200 und an Gunter Pfeiffer für’s vorherige Einfahren.
Mein persönlicher Eindruck
Heavy Metal by Brixton – viel Eisen, wenig Plastik, das gefällt mir gut. Bei der Cromwell 1200 wird das relativ hohe Gewicht zur Nebensache, die hochwertigen Komponenten sprechen hier ein klare Sprache. Mit der Cromwell 1200 hat die KSR-Gruppe ein weiteres klassisches, charakterstarkes Motorrad mit einem annehmbaren Preis-Leistungsverhältnis geschaffen, was die Vintagefans erfreuen wird.
Fotos: Guido Schmidt & KSR-Group
Über den AUTOR
Guido Schmidt
Inhaber und Verleger des bmm.
Fährt privat eine Honda CB 1100 RS.
Schreibt überwiegend Reiseberichte, über Regionales, Veranstaltungen und Produkttests.
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