HYPER, HYPER – HYPER NAKED
Von Gregor Schinner
Die MT-Reihe gehört schon seit Jahren zum überaus erfolgreichen Yamaha-Modellprogramm; vor allem MT-07 und MT-09 erfreuen sich großer Nachfrage. Wer sich noch etwas mehr von der Masse abheben möchte, der hat zumindest bei der MT-09 die Möglichkeit, mit dem Sondermodell MT-09 SP optisch und technisch einen Schritt weiterzugehen. Die MT-09 SP, von Yamaha ganz bescheiden als „das radikalste Yamaha Hyper Naked Bike“ ins Schaufenster gestellt, spricht natürlich in erster Linie den sportlichen Fahrer an, dem der Schritt in die Tausender-Klasse – auch finanziell – noch zu groß ist. Dabei ist der 889 ccm Crossplane-Reihendreizylinder mit seinem Hubzapfenversatz von 120° wirklich kein Kind von Traurigkeit. Bei 10.000 U/min entfesselt er stolze 119 PS. Die im Test nur selten abgerufen wurden, weil der Motor bereits bei niedrigen Drehzahlen satten Schub liefert und sich Drehzahlorgien auf der Straße dann schon im höchst illegalen Bereich abspielen. Der kompakte Triple steckt in einem leichten, anthrazit eloxierten Aluminium-Brückenrohrrahmen, daran angeschlossen eine schön geformte Aluminium-Gussschwinge, im Fall der MT-09 SP auch noch mit gebürsteter Oberfläche. Das Hinterrad wird klassisch per Kette angetrieben.
Edle Dämpfer aus Japan und Schweden
Anders als bei der Standardversion spendierte Yamaha der MT-09 SP ein aufwändiges Fahrwerk. Die hochwertige und einstellbare 41 mm KYB Upside-Down Vorderradgabel und der Öhlins Stoßdämpfer mit justierbarer Vorspannung heben sich bereits optisch von der Standardware ab und bieten im Fahrbetrieb ein nahezu perfektes Ansprechverhalten des knackig-sportlichen Fahrwerks. Neben der gebürsteten Schwinge und dem Upgrade-Fahrwerk enthält das SP-Package noch die Sonderlackierung „Icon Performance“ mit in Anlehnung an die Yamaha R1M blauen Felgen, einen Sitz mit doppelter Kontrastnaht, dunkle Bremsflüssigkeitsbehälter vorne und hinten sowie einige schwarz eloxierte Teile (Hebel, Lenker und Kettenrad). Bis auf den zusätzlichen Tempomat ist der Rest der elektronische Ausstattung mit der „normalen“ MT-09 identisch.
Nicht gerade groß, aber ausreichend und mit guter Auflösung: Das 3,5 Zoll TFT-Farbdisplay.
Den Under-Engine Schalldämpfer gibt’s in der Konfiguration auch in der Farbe Titanium oder Black gegen Aufpreis.
Quickshifter mit Blipper-Funktion serienmäßig
Bereits kurz nach dem Start fällt das Triebwerk in einen sonoren, dreizylindertypischen Leerlauf, der schon erahnen lässt, dass die MT-09 kein Leisetreter ist. 96 dB Standgeräusch gibt Yamaha an – also rote Karte für Tirol-Touristen. Im Fahrbetrieb – solange man nicht voll einschenkt – bleibt die Geräuschkulisse einigermaßen zahm, da sich der Triple auch bei niedrigen Drehzahlen ruckfrei und flott beschleunigen lässt. Spätestens ab 5.000 U/Min schiebt das Triebwerk allerdings so vehement nach vorne, dass es mit der Gemütlichkeit vorbei ist.
Unterstützt von schnellen Schaltvorgängen durch den serienmäßigen Quickshifter, der kurz die Zündung unterbricht und somit ein Hochschalten bei geöffneter Drosselklappe ohne Kupplung mit kaum spürbarer Zugunterbrechung ermöglicht, sprintet die MT-09 überaus rasant und akustisch präsent in höhere Geschwindigkeitsregionen. Beim Abbremsen ermöglicht der sogenannte Blipper ebenfalls den Schaltvorgang ohne Kupplung, der allerdings technisch etwas aufwändiger und nur bei Motorrädern mit Drive-by-Wire, also dem elektronischen Gasgriff, möglich ist. Beim Herunterschalten gibt das System kurz Zwischengas, damit der Schaltvorgang ohne krachendes Geräusch gelingt. Nun lässt sich aber nicht beliebig auf dem Schalthebel herumtrampeln: letztendlich gibt die Elektronik vor, wann ein Schaltvorgang nach oben oder unten ausgelöst werden kann. Im Display zeigt ein kleiner grüner Pfeil die entsprechende Richtung an. Herunterschalten gelingt z. B. nur bei geschlossener Drosselklappe. Die Geschmeidigkeit der Schaltvorgänge nimmt mit der Drehzahl zu. Wer also nur durch die Gegend bummelt, wird vor allem auf das halb automatisierte Herunterschalten gerne verzichten, denn der nötige Druck auf den Schalthebel nimmt dann zu und der Schaltvorgang selbst fällt eher hölzern aus.
Ein großer Vorteil gegenüber den früheren Quickshifter-Systemen auf dem Markt: Mit gezogener Kupplung gibt es bei der MT-09 kaum einen Unterschied zu einem normalen Getriebe ohne Quickshifter. Der Fahrer kann also jederzeit entscheiden, ob er lieber sportlich schnell oder ganz relaxt mit Kupplung durch die Gänge steppt.
Bremserei auf Superbike-Niveau
Sehr nachhaltig und fast schon ein wenig giftig geht die vordere Bremsanlage mit den zwei 298 mm großen Bremsscheiben zu Werke, die richtige Dosierung erfordert etwas Eingewöhnung, gelingt dann aber einwandfrei. Die Anlage liefert hervorragende Verzögerung und ist der perfekte Counterpart zum bärenstarken Yamaha-Triple. Bei einem Motorrad von der Qualität einer MT-09 wurde auch am Elektronikpaket nicht gespart. Eine von der R1 abgeleitete 6-achsige High-Tech-IMU (Intertial Sensor Unit = Beschleunigungs- und Drehratensensoren-Einheit) erfasst permanent die Bewegungen in alle Richtungen und übermittelt diese Daten in Echtzeit an die ECU, welche die elektronischen Fahrhilfen steuert. Das Angebot an Fahrassistenzsystemen umfasst eine schräglagensensitive Traktionskontrolle (TCS), Slide Control System (SCS), LIFT Control System (LIF) am Vorderrad und ein Brake Control System (BC). Insgesamt vier Riding Modes stehen zur Verfügung, die Yamaha schlicht von 1 bis 4 durchnummeriert hat, wobei 1 sehr direkt anspricht und 2 für den Alltag einen guten Kompromiss darstellt. Während Modi 3 bereits sehr zäh daherkommt, scheint 4 offenbar für Glatteis programmiert worden zu sein – den braucht Niemand.
Das außergewöhnliche LED-Zyklopenauge wird von zwei Tagfahrlichtstreifen flankiert.
Quickshifter mit Blipper-Funktion gibt’s serienmäßig dazu.
Aufrecht vollstrecken – entspannt cruisen
Die Sitzposition ist für ein sportliches Motorrad sehr aufrecht, der Druck liegt nicht so sehr auf dem Lenker, für sportliche Fahrer, die vom Superbike kommen, wird der Umstieg möglichweise zu touristisch ausfallen. Für den Alltag mit gelegentlichem Angasen jedoch ein perfekter Kompromiss. Der Lenker ist zwar breit, aber ermöglicht müheloses Einlenken, ohne jedoch zu sehr in En-duro-Dimensionen auszuarten. Im Zusammenspiel mit den in erträglicher Höhe montierten Fußrasten lassen sich auch längere Strecken absolvieren, wenn man mit der sportlich straffen Sitzbank zurechtkommt, die wiederum im Soziusbetrieb trotz kleiner Sitzfläche kein Grund zur Klage bot. Erstaunlich ist die Präzision, mit der sich die ca. 190 kg schwere MT-09 SP durch die Landschaft zirkeln lässt. Man ertappt sich nicht selten dabei, Kurven viel zu eng als eigentlich notwendig anzugehen, – die Fuhre läuft trotz der 180er Pelle hinten wie von selbst durch engste Biegungen und folgt dort sehr akkurat den Wünschen des Fahrers.
Dazu passt die ausgewogene Dämpfung, die eher sportlich straff ausfällt, vorne und hinten sehr. Über einen Flickenteppich zu fahren ist sicher kein Genuss, aber man spürt auch, wie die Dämpfer-elemente die wirklich harten Schläge noch wirkungsvoll glätten, ehe sie zum Fahrer durchgereicht werden. Ein guter Kompromiss für sportlich orientierte Piloten, die aber eher gut ausgebaute Straßen bevorzugen werden.
Während unserer Testzeit genehmigte sich die MT-09 lediglich 4,7 Liter/100 Kilometer Superbenzin, was angesichts der gebotenen Fahrleistung durchaus in Ordnung geht. Manche Twins mit vergleichbarem Hubraum liegen hier locker über 5 Liter, die wuchtige 1250er GS braucht allerdings auch nicht mehr. Mit 14 Liter Tankinhalt sollte man eigentlich immer rund 240 Kilometer weit kommen, bevor es wieder zur Zapfsäule geht.
Reduziertes Cockpit, aber mit Tempomat
Wie für ein Naked Bike üblich, präsentiert sich das Cockpit eher kompakt. Lediglich 3,5 Zoll misst das Farb-TFT Display und ist damit leider etwas klein geraten. Geschwindigkeit, eingelegter Gang und Drehzahlanzeige per farbigem Balken lassen sich zwar gut ablesen, bei den zwei frei konfigurierbaren Anzeigen unterhalb der Tachoanzeige (z. B. für Kilometerzähler, Tankanzeige oder Verbrauch) muss man dann schon genau hinsehen. Das einzige Gimmick, mit dem die Yamaha überrascht, ist der Tempomat, der über die linke Lenkerarmatur aktiviert wird. Das funktioniert einfach und solide, mag an einem Power-Nakedbike aber verzichtbar erscheinen. Immerhin kann man gelegentlich die Gashand ausschütteln, wenn es geradeaus geht. Die Bedienung des Displays über die Lenkerarmaturen gelingt nach einer kurzen Eingewöhnungszeit gut, sollte aber besser im Stand erfolgen. Gerade das Scrollrad auf der rechten Seite lenkt beim Fahren doch sehr ab.
Tolle Farbakzentuierung bei der einstellbaren KYB Upside-Down Telegabel.
Bitte Platz nehmen: Doppelt genähter Sitzbankbezug der sportlich-komfortablen Sitzbank.
Kontrastreich: Stark gesättigtes Blau an den Felgen trifft auf gebürstetes Aluminium-Finish an der Schwinge.
Die spezielle SP-Farbe findet sich natürlich auch am 14-Liter-Tank wieder.
Spezielle, elegante Farbkombi: Die Yamaha MT-09 SP orientiert sich bezüglich der Farbgebung am Perfomance Finish der R1M.
Famose Verarbeitung, diskutables Design
Über Windschutz brauchen wir bei der MT-09 nicht reden, denn es gibt keinen. Das ist bis 120 km/h erträglich, alles darüber hinaus kostenloses Bauch- und Armmuskulaturtraining. Allerdings gibt es im Yamaha-Zubehör zwei unterschiedlich große Verkleidungsscheiben, die Abhilfe schaffen, ohne die Optik komplett zu entstellen. Letztere ist ohnehin ein Streitthema bei der MT-09. Die SP-Lackierung sieht zwar edel aus, das Design insgesamt ist zumindest nicht unumstritten. Eine MT-09 will aber auch nicht jedermanns Darling sein, denn dafür sorgt allein das gewöhnungsbedürftige LED-Zyklopenauge, flankiert von den zwei Tagfahrlichtstreifen.
Der im oberen Bereich wuchtige und breite Tank harmoniert nicht unbedingt mit der eher schmalen Maske, und warum die Hupe dann so lieblos und offensichtlich an die untere Gabelbrücke genagelt wurde, als hätte man sie beim finalen Design komplett vergessen, bleibt ein Rätsel. Die Verarbeitung und das Finish der MT-09 SP ist jedoch tadellos. Lediglich dem ansonsten unauffälligen Under-Engine Schalldämpfer hätte zumindest in der SP-Version eine mattschwarze Lackierung gutgetan.
1800 € Aufpreis für das SP-Paket
12.149 € inkl. Nebenkosten werden beim Yamaha-Dealer für die MT-09 SP fällig, das sind exakt 1.800 € mehr als die Basisversion der MT-09, welche bei 10.349 € liegt. Viel Geld – oder anders gesagt: ein Aufpreis von 17 %. Doch allein das ausgewogene, sportliche Fahrwerk, welches die 1.800 € im Falle einer Nachrüstung locker übersteigen würde, rechtfertigt den finanziellen Aufschlag. Und die SP sieht in der Sonderlackierung mit gebürsteter Schwinge eben noch eine Spur edler aus.
Fotos: Schinner, Yamaha