1921 In diesem Jahr debutiert die erste Indian Chief. Die Ur-Chief wurde von Charles Franklin entworfen, dem Rennfahrer und Ingenieur, der auch die Scout erfunden hatte. Die Chief verfügte damals über einen 61 Kubikzoll V-Twin (rund 1.000 ccm), doppelte Nockenwellen, einen niedrigen Sitz und anmutige Linienführung. Die Fahrer liebten die Kombination aus zuverlässiger Leistung, beeindruckendem Drehmoment und Agilität der Chief. Schnell konnte die Chief Fans auf der ganzen Welt begeistern. In der Nachkriegsära der 1940er Jahre punktete die Chief bei Motorradrennen und war ein gerne genommenes Objekt der Customizingszene der USA.
2021 Hundert Jahre später wird die Chief von Amerikas ältester Motorradschmiede Indian neu aufgelegt. Zum 100-jährigen Jubiläum gibt es jetzt die Chief in drei fabelhaften Ausführungen: die Chief Dark Horse, die Dark Horse als Bobber und die Super Chief Limited. Segmentiell dürfen sich die drei neuen Modelle in den Kategorien Cruiser (Dark Horse und Dark Horse Bobber) und Tourer (Super Chief Limited) einordnen, dabei behält die Chief ihre klassische kompakte Bauweise bei: ein einfacher Stahlrahmen und 1.626 mm Radstand.
19. Juli 2021. Heute darf ich die neue Indian Chief Dark Horse Bobber einen ganzen Tag lang fahren. Janosch Duracic von Indian Freiburg hat mir die Chief freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Da steht sie nun also auf dem Firmengelände der V-Twin Factory Duracic GmbH in der Böcklerstraße in Freiburg-Landwasser! Der mächtige, luftgekühlte Thunderstroke 116 mit seinen 1.890 Kubik lässt beim bloßen Anblick schon erahnen, welche Power in ihm steckt. Gewaltige 162 Newtonmeter Drehmoment schlagen hier zu Buche. Die Horsepower, die bei 88 liegt, ist dabei absolut nebensächlich. Mit ästhetischem Design hat Indian bei dem neuen Chef im Ring nicht gespart: zwei kerzengerade verlaufende, mächtig dimensionierte Auspuffrohre in mattem Schwarz unterstreichen nochmal die unbändige Kraft der Chief. Die wunderschönen Speichenräder der Dark Horse Bobber – wie auch der Super Chief – betonen den sportlichen Charakter. Die Dark Horse, die günstigste Version der neuen Chiefreihe, steht auf nicht ungleich schönen Druckgussrädern. Nun aber aufsitzen und losfahren. Die Sitzposition ist der eines Cruisers würdig. Ergonomisch passt bei mir gleich alles. Durch die bei der Bobber vorne platzierten Fußrasten sind die Beine angenehm gewinkelt. Gepaart mit der aufrechten Sitzposition und verstärkt durch den nicht zu hohen Apelenker ist ein entspanntes Cruisen garantiert. Bei meiner Körperhöhe von 1,86 Meter komme ich lässig mit beiden Füßen auf den Boden. Bei einer Sitzhöhe von grade mal etwas über 66 cm ist die Maschine in jedem Fall auch für kleinere Menschen geeignet. Nun noch Rückspiegel einstellen, ersten Gang einlegen und los geht’s. Einen Zündschlüssel gibt es nicht, die Chief lässt sich via Keyless-Go starten. Für alle Fälle wie Schlüssel verloren, Schlüssel kaputt, Batterie des Funkschlüssels leer, lässt sich die Chief auch mit einem nur für die Maschine gültigen Code starten.
Der fette Thunderstroke bringt seine Kraft über einen Zahnriemen aufs Hinterrad.
Die Ur-Chief mit ihrem 61 Kubikzoll (rund 1.000 ccm) V-Twin Motor.
Ich fahre zuerst einmal ins schöne Markgräflerland. Das samtweiche, sonore Bobbern der Indian ist Euro-5-konform und nicht nur für meine Ohren angenehm. Bei der Geradeausfahrt auf dem „Rheinsträßle“ Richtung Neuenburg am Rhein teste ich die diversen Modi, die Indian dem Häuptling kredenzt hat. Insgesamt stehen drei Fahrmodi zur Verfügung: Tour, Standard und Sport. Für das gemütlich entspannte Cruisen steht der Modus „Tour“ bereit und lässt mich einfach dahingleiten, gerade auf langen geraden Strecken in Verbindung mit dem serienmäßigen Tempomat ein Plus an Komfort. Im Stadtverkehr bei Stop-and-Go ist dieser Modus auch erste Wahl. Der Modus „Standard“ hat eine etwas direktere Gasannahme und ist zum Beispiel bei Überlandfahrten oder im fließenden Stadtverkehr mit vielen Tempowechseln geeignet. Im Modus „Sport“ geht die Chief dann allerdings richtig ab. Das in diesem Modus hinterlegte Mapping lässt eine spontane Gasannahme zu – hier treibt der Thunderstroke die Chief dann mächtig voran. Apropos Stadtverkehr: hat der Thunderstroke im Stop-and-Go-Verkehr seine Betriebstemperatur erreicht, schaltet sich der hintere Zylinder automatisch ab, sobald die Rothaut steht. Beim Anfahren wird der Zylinder wieder aktiviert. Gerade bei wärmeren Außentemperaturen eine tolle Sache. Einstellbar sind die Modi über den runden farbigen Touchscreen, das funktioniert ganz unkompliziert. Das puristisch, ästhetische Design des Touchscreens begeistert mich von der ersten Sekunde an. Als Liebhaber klassischer Rundinstrumente komme ich da voll auf meine Kosten – auch wenn das Instrument voll digital ist. Von außen betrachtet geht das Instrument auf den ersten Blick jedenfalls als analoges durch. Im integrierten, Indian-eigenen Ride Command® kann ich alles ablesen, was ich brauche. Neben den Fahrdaten wie Geschwindigkeit, Drehzahl, Tageskilometer etc. kann ich auch die Navigationsfunktion nutzen. Gerade das Navi punktet mit einer tollen Kartendarstellung. Die Wegweisung erfolgt nicht einfach rudimentär über Pfeile, sondern so wie man es von externen Hochleistungs-Navis à la Garmin kennt. Eine Verbindung mit dem Smartphone ist via Bluetooth möglich. Für mich allerdings nur ein Nice-to-Have – ich höre weder Musik auf dem Motorrad, noch telefoniere ich. Die Chief fährt sich trotz des relativ hohen Gewichtes von rund 315 Kilo (die Dark Horse hat 305 Kilo, die Super Chief 335 kg) vollgetankt erstaunlich einfach, was in erster Linie am kompakten Radstand liegt. Die Bobber steht vorne und hinten auf 16 Zoll Speichenrädern ebenso die Super Chief. Das schwarze Pferd mit den Gussrädern hat vorne 19 Zoll und hinten 16 Zoll. Die sehr griffige Bereifung kommt bei allen Dreien aus dem Hause Pirelli: der Night Dragon beweist dabei Zuverlässigkeit und Sicherheit. Auf die Schuhe war während meiner Fahrt jedenfalls ständig Verlass. Über leicht geschwungene Straßen führe ich die Indian durchs Markgräflerland bis Schliengen. Erstmal gemütliches Cruisen ist angesagt. Langsam fahrende Autos sind schnell überholt. Das geht bei 162 Newtonmeter Drehmoment durchaus flott. Die volle Kraft steht bei 3.200 Umdrehungen parat. Groß schalten ist nicht unbedingt nötig. Selbst im sechsten Gang beschleunigt die Chief massiv von unten heraus. Von Schliengen aus fahre ich über Badenweiler und Staufen zum Hexental. Dort biege ich ins Katzental ab und fahre nach Horben. Hier beginnt die ehemalige Schauinsland-Rennstrecke. Unter der Woche darf ich die Strecke mit dem Motorrad befahren, am Wochenende ist die Strecke seit Jahrzehnten für Motorräder gesperrt. Ab jetzt heißt es bergauf und „Kurven satt“. In den Kurven verhält sich die Chief sehr bereitwillig. Die Schräglagenfreiheit endet bei knapp 30 Grad, was aber dem Fahrspaß überhaupt keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, das Beschleunigen aus der Kurve mit der unbändigen Kraft des V-Twins bereitet unaufhörliche Freude. Hier und da kratzen die Fußrasten auf dem Asphalt, selbst dann ist aber noch genügend Schräglagenreserve vorhanden.
Digitalinstrument mit Touchscreen vom Feinsten! Alles drin und drauf was man braucht.
Der Einsitzer ist nicht nur bequem, sondern auch ein Hingucker.
Vorne wie hinten alles modernste LED-Lichttechnik.
Eine 300 mm Semi-Floatingscheibe mit 4-Kolben Bremssattel verrichtet treu ihren Dienst. Die Bereifung mit dem klangvollen Namen Night Dragon kommt aus dem Hause Pirelli.
Dann geht die Fahrt abwärts über Hofsgrund und Kirchzarten. Die Chief erreicht durch ihr hohes Eigengewicht einen satten Vorwärtsschub. Vor den Serpentinen der Notschrei-Straße ist sanftes Ankern vonnöten. Ein Zug am Bremshebel lässt den 4-Kolben Bremssattel kräftig auf die 300 mm Bremsscheibe zupacken. Die Bremse verzögert einwandfrei – dann gleitet die Chief sanft durch die Kurve. Mein Tag mit der neuen Chief ist fast vorbei. Noch ein paar Kilometer durch Freiburg, dann bringe ich das gute Stück wieder zurück zur Duracic V-Twin Factory. Auf der meiner Meinung nach völlig unnötigen 30er Zone auf der B3 durch Freiburg ist wie immer Stau – also ist Stop-and-Go angesagt. Das automatische Abschalten des hinteren Zylinders funktioniert optimal und wird im runden Instrument auch angezeigt. Sobald ich wieder anfahre, schaltet sich der Zylinder wieder zu. Die von mir gefahrene Chief Dark Horse Bobber ist ab 19.990 Euro zu haben. Für diesen Preis gibt’s das schwarze Pferd in den Farben Black Smoke, Titanium Smoke, Sagebrush Smoke. Die günstigste Dark Horse gibt’s in Black Smoke mit schönen matt-glanz Effekten. In der Farbkombi Stealth Gray oder in Alumina Jade Smoke kostet dieses Modell 500 Euro mehr. Die Super Chief Limited mit Windschild, Satteltaschen sowie verchromten Auspuff und Chrom-Oberflächen kommt auf 22.490 Euro ohne Aufpreis für die Farbvarianten Blue Slate Metallic, Black Metallic oder Maroon Metallic. Vielen Dank nochmal an Janosch Duracic von Indian Freiburg (V-Twin Factory) für die unkomplizierte Bereitstellung dieser tollen Jubiläumsmaschine. Eine Probefahrt lohnt sich nach Vereinbarung immer!
Fotos: Guido Schmidt und Indian Motorcycles
Über den AUTOR
Guido Schmidt
Inhaber und Verleger des bmm.
Fährt privat eine Honda CB 1100 RS.
Schreibt überwiegend Reiseberichte, über Regionales, Veranstaltungen und Produkttests.
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