Wer in dem schmalen Streifen deutscher Alpen Märchenhaftes und Majestätisches erleben möchte, sollte die Spendierhosen anziehen. Denn zwischen Schlössern, Schluchten und Seen muss die freie Fahrt gelegentlich für eine Handvoll Euro erkauft werden. Völlige Stille! Kein Straßenlärm, keine Nachtschwärmer. Selten so tief und fest geschlafen, lasse ich mir das leckere Frühstück im Alpengasthof Eng im Herzen des Tiroler Karwendels schmecken. Am Ende des von grauen Bergriesen umschlossenen Rißtales steige ich auf meinen Reise-Riesen und rolle staunend durch eine besondere Laune der Natur: In der Abgeschiedenheit des Stichtales wachsen auf der Hochebene Ahornboden unzählige, bis zu 500 Jahre alte Ahornbäume. Nur der Bergahorn kann auf den kargen Böden in über tausend Meter Höhe existieren. Und damit das so bleibt, steht der Baumbestand seit 1972 als Naturdenkmal unter besonderem Schutz. Ich folge dem Rißbach auf einer der landschaftlich schönsten Mautstraßen 25 Kilometer talwärts, passiere das Kassenhäuschen in Hinterriß, quere die deutsche Grenze und erreiche schon bald die nächste kostenpflichtige Straße. Wohl wissend, dass ich auf der heutigen Tour das Portemonnaie noch öfter zücken muss, habe ich es nicht zu tief im Tankrucksack verschwinden lassen. Für eine Handvoll Kleingeld öffnet sich die Schranke und mit einem freundlichen Wink entlässt man mich ins Obere Isartal. Ein schmales, naturbelassenes Teerband führt durch manch blinde Kurve am breiten, von Bäumen gesäumten Flussbett entlang. Die Quellen der Isar sind im Hinterautal des Karwendels zu finden, auf ihrem Weg hierher wird sie durch die Zuflüsse der umliegenden Gebirgsbäche gespeist. In niederschlagsarmen Zeiten rinnen allerdings nur kleinste türkisfarbene Wasseradern zwischen den ausgedehnten Kiesbänken. In Wallgau angekommen, steht mein Urteil fest: Diese wildromantische Etappe ist jeden Cent wert!

Ein Teilstück der Deutschen Alpenstraße, die den Bodensee mit Berchtesgaden verbindet, geleitet mich nach Garmisch-Partenkirchen, den Hauptort des Werdenfelser Landes. Dabei komme ich ganz nahe an den Skisprungschanzen vorbei, die Wettkampfstätten der Olympischen Spiele von 1936 waren. Garmisch-Partenkirchen und das Zugspitz-Panorama gehören zusammen wie die beiden Ortsteile, die bereits ein Jahr vorher vereinigt wurden. Mit der Loisach verlasse ich die ehemalige Olympiastadt, um von Oberau, das an der Westflanke des Estergebirges liegt, schwungvoll den Ettaler Sattel zu erklimmen. Am nicht weit entfernten Benediktinerkloster Ettal ziehe ich den Zündschlüssel und schaue mir die Barock-Basilika und die Rokoko-Sakristei etwas näher an: Glaubt man der Überlieferung, so soll Kaiser Ludwig der Bayer vor fast 700 Jahren als Dank für einen unverletzt überstandenen Feldzug das berühmte Kloster gegründet haben. Allerdings waren damit auch der Ausbau und die Sicherung der umliegenden Wege verbunden, besondere Aufmerksamkeit galt der bedeutenden Handelsverbindung zwischen Augsburg und Verona. Dass Glaube und Gerstensaft im Freistaat eine ähnlich starke Bedeutung haben, wird deutlich, als ich das klostereigene Brauereimuseum erkunde. Kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, das war vor immerhin 400 Jahren, erteilte Herzog Maximilian von Bayern der Ettaler Brauerei das offizielle Braurecht. Noch heute wird hier von den Mönchen edles Helles, prickelndes Weißbier oder dunkler Doppelbock auf Flaschen gezogen oder in Fässer gefüllt. Wieder an meiner geliebten GS angekommen, erkundigt sich ein kirchlicher Kuttenträger nach deren technischen Daten und ermahnt mich freundlich, als er die üppige PS-Zahl hört, doch nicht schneller zu fahren, als mein Schutzengel fliegen kann! Kurz darauf tauche ich in die unverfälschte Waldstrecke zum Naturschutzgebiet Ammergebirge ein und erreiche nach rund fünf Kilometern Schloss Linderhof, in dem sich König Ludwig II. von Bayern gern und häufig aufhielt. Das hölzerne Forsthaus seines verstorbenen Vaters mutierte 1869 binnen weniger Jahre zum prunkvollen Palais mit prächtigem Garten und einer zweiundzwanzig Meter hohen Wasserfontäne. Der exzentrische und verschwenderische Monarch zog sich hier gerne in seine Traumwelten zurück. Eine nur für ihn erbaute Venusgrotte mit künstlichem See und Wasserfall verfügte dank eigenem Elektrizitätswerk über eine Wellenmaschine, Beleuchtung und Heizungsanlage. Im Halbdunkel der perfekt nachgebildeten Tropfsteinhöhle gab sich der Märchenkönig ganz seinen Illusionen hin, wenn ihn seine Bediensteten in einem muschelförmigen Kahn durch die kunstvollen Kulissen ruderten. 

Basilika Kloster Ettal

Welch eine Pracht: Die barocke Basilika des Klosters Ettal zählt zu den schönsten Sakralbauten des Alpenraumes und ist Ziel vieler Wallfahrer.

Füssen
Durch Bayerns höchste Stadt: In Füssen ergießt sich der aus Tirol stammende Lech zwischen Allgäuer und Ammergauer Alpen ins Vorland.
Sylvensteinsee

Wasser hat keine Balken, aber Brücken: Kühn geschwungen führt die B307 über den von der Isar versorgten Sylvensteinspeicher.

Linderhof war des Monarchen Lieblingsschloss und das einzige von dreien, das noch zu Lebzeiten des „Kinis“, wie ihn der Volksmund liebevoll nannte, fertiggestellt wurde. Nachdem ich mir in der weitläufigen Parkanlage ein wenig die Beine vertreten haben, mache ich mich auf den Weg zum Plansee. Schmal und kurvig windet sich die Teerdecke durch den dunklen Wald, dann ein kühner Hüpfer über die Staatsgrenze am Ammersattel (1.082 m) und hinunter nach Tirol. Kein Geringerer als Ludwigs Vater, König Maximilian II. von Bayern, ließ Mitte des 19. Jahrhunderts diese herrliche Nebenstrecke bauen, die selbst erfahrene Alpentourer nicht unberührt lässt. Am östlichen Uferzipfel des Plansees lasse ich mein Motorrad auf dem Parkplatz vor einem rustikalen Kiosk ausrollen. Einen echten Cappuccino sucht man hier vergebens, dafür gibt es aber einen ordentlichen Kaffee mit Aroma und Ausblick, denn gegenüber wachsen die majestätischen Zweitausender der Lechtaler Alpen aus dem Wasser. Das türkisfarbene, fischreiche Gewässer zählt zu den größten Seen Tirols und ist für seine gute Wasserqualität bekannt. Eine mittelstreifenlose Strecke schmiegt sich wie ein lange getragener Handschuh an den nördlichen Uferverlauf, überall bieten sich Plätze zum Parken und Pausieren an. Ich will mir das angenehme Gefühl des entspannten Dahingleitens nicht nehmen lassen und biege noch vor Erreichen des stark frequentierten Verkehrsknotenpunktes Reutte nach Ehenbichel ab. Nun ein Stückchen den Lech stromaufwärts, bei Weißenbach über die Brücke und die B 198, schon liegt die Auffahrt zum Gaichtpass (1.093 m) vor meinem Cockpit. Die Streckenführung dieses oft unterschätzten Hänflings ist optisch wie fahrerisch ein echter Genuss. Der Übergang ins Tannheimer Tal basiert auf einer uralten Nachschub­route der Römer, die später als Saumpfad für Salz- und Weintransporte diente. Ich folge ihr bis zum bildhübschen Haldensee, um von dort aus Kurs auf Füssen zu nehmen. Wieder ist es eine Nebenstrecke, die einen bunten Strauß an Eindrücken für mich bereithält: Himmelwärts schwingender Asphalt, wie zufällig hingestreute Heustadel und freilaufende Rindviecher. Ich umrunde den mächtigen Aggenstein (1.986 m), rolle durch Vils, quere die Fernpassstraße und erreiche mit Füssen Bayerns höchstgelegene Stadt. 

Fallert Achern Team

Des „Märchenkönigs“ Lieblingsort: In keinem seiner drei Schlösser hielt sich Ludwig II. von Bayern häufiger auf, als im schicken Linderhof.

Fallert Achern Team
Fallert Achern Team

Pause am Plansee: Der Kiosk am östlichen Ufer ist gern besuchter Bikertreff und bietet neben Speis’ und Trank eine Helmputzstation.

An der Nahtstelle von Allgäuer und Ammergauer Alpen drängen sich die Wassermassen des Lech durch den Ort zum Forggensee im Alpenvorland. In unmittelbarer Nachbarschaft steht das romantische Schloss Hohenschwangau, Prinz Ludwigs Kinderstube. Das Verhältnis zu seinem Vater ist nicht das beste, nach dessen Tod betritt der gerade achtzehnjährige Ludwig unerfahren den Thron und trifft wenig später auf den Komponisten Richard Wagner. Angeregt durch dessen opu­lente Werke entwickelt der König der Künste große Fantasien, verbunden mit kreativer, ausufernder Baulust. Nach Schloss Herrenchiemsee und Schloss Linderhof gilt das in Sichtweite auf einem bewaldeten Bergrücken thronende weltberühmte Märchenschloss Neuschwanstein als Ludwigs Meisterstück. Mit modernster Technik ausgestattet, bringt der Prunkbau den Staat Bayern aber in eine bedrohliche finanzielle Schieflage. Zum Umdenken und Sparen aufgefordert, erwidert der Kini: Wenn ich nicht mehr bauen kann, will ich nicht mehr leben! Noch vor Vollendung der Bauarbeiten verstarb der tags zuvor entmündigte Monarch am 13. Juni 1886 unter mysteriösen Umständen. Seine Schlösser, die nie ein Fremder betreten sollte, wurden seitdem von mehr als 50 Millionen Menschen besucht. Das Wetter ist zu schön, um durch Säle und Galerien zu schlurfen. Ich treibe meine Maschine am westlichen Ufer des Forggensees entlang nach Roßhaupten. Vom Lech reichlich mit nassem Nachschub versorgt, gilt der Stausee als fünftgrößtes Gewässer Bayerns. Oberhalb der im Sonnenlicht glitzernden Wasserfläche tummeln sich Freizeitkapitäne und Petrijünger, unterhalb wachsen Forellen, Zander und Hechte zu stattlicher Größe heran, bevor sie den Fischern ins Netz gehen. Dank der nördlichen Staumauer kann ich trockenen Fußes den Lech queren und am Illasberg vorbei nach Halblech an der B 17 kurven. 

Wieder einmal auf einem Teilstück der Deutschen Alpenstraße unterwegs, schlage ich in Steingaden den Weg zur weltberühmten Wieskirche ein. Korrekt heißt das im 18. Jahrhundert erbaute Gotteshaus „Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“ und zählt mit den Königsschlössern zu den Touristenmagneten der Region. Von außen eher schlicht anzuschauen, wird man im Inneren von goldenem Rokoko geradezu erschlagen. Nicht umsonst zählt die „Wies“ seit 1983 zum Weltkulturerbe. Auf den Kniefall folgt der Hüftschwung: Griffiger Teer nagt unaufhörlich an meinen Reifenflanken, als ich durch den Schwarzenbacher Wald bis an die Echelsbacher Brücke presche. Hier hat die Ammer eine tiefe Schlucht gefräst, die für Jahrhunderte ein nur schwer überwindbares Hindernis darstellte, bis 1929 eine kühne Bogenbrücke den 76 Meter tiefen Einschnitt überwand. Mit dem Abzweig nach Böbing nimmt die Fahrbahnbreite ab, der Fahrspaß aber nimmt mit dem weiterhin vorhandenen Kurven-Sammelsurium deutlich zu. Bis Uffing an der Nordspitze des Staffelsees gleite ich über sattgrüne Kuppen, die mir immer wieder neue Ausblicke auf die im Gegenlicht schimmernden Bergriesen der Ammergauer Alpen schenken. Nach der zurückliegenden verkehrsarmen Etappe erscheint mir der zwischen Staffelsee und Riegsee gelegene Verkehrsknotenpunkt Murnau wie eine quirlige Weltstadtmetropole. Ich bleibe den Nebenstrecken treu, umrunde die letzten Ausläufer des Estergebirges, taste mich an der parallel verlaufenden A 95 entlang, quere die mir schon bekannte Loisach und treffe auf den Kochelsee. 

Während sein nördlicher Teil in sogenannte Filze, Hochmoore, ragt, ist der südliche schon von Bergen umgeben. Als ich durch Kochel rolle, fällt mir eine heroische Statue auf, die den sagenhaften Sohn des Ortes darstellt. Ein bärenstarker Schmied soll in lange zurückliegenden Kriegen durch tapfere Einsätze besonders aufgefallen sein, aber Belohnungen abgelehnt haben. Im hohen Alter, nur mit einer riesigen, nagelgespickten Keule bewaffnet, fand er im letzten Kampf den Heldentod. Bei der Befahrung des nahen Kesselberges (858 m) wünsche ich mir eine ähnliche Waffe an die Hand, denn die mit einer Vielzahl knackiger Serpentinen gespickte Bergstrecke ist im gesamten Verlauf mit Überholverbot und Tempolimit belegt, was aber einige Lokalmatadoren nicht davon abhält, halsbrecherisch und lebensmüde an mit vorbeizuzischen. Entspannung bringt dann die malerische Uferstraße am Walchensee entlang, der zu den tiefsten und zugleich größten Bergseen Deutschlands zählt. Die Freude am verdienten Pausen-Cappuccino im Café Seestüberl währt nicht lange, macht doch eine dunkle Gewitterwand mit dumpfem Grollen auf sich aufmerksam und mahnt zum Aufbruch. In Einsiedl, am südlichen Zipfel des Walchensees zweigt die zwölf Kilometer lange Mautstraße nach Jachenau ab. Sie ist für Wohnwagengespanne gesperrt, was Gutes verheißt! Das schmale Asphaltband folgt dem Gewässerrand und liefert nach jeder Biegung ein neues Alpenpanorama, bis es bei Niedernach im Wald verschwindet. Kurz vor Jachenau dem finsteren Forst entronnen, kommt der Ort am Anfang eines ebenen Talkessels urbayerisch daher: Zu Füßen der zwiebeltürmigen Pfarrkirche St. Nikolaus wetteifern Gasthäuser mit großformatigen Lüftlmalereien, und während der Dorfladen für das Nötigste sorgt, passt die Freiwillige Feuerwehr auf, dass nichts anbrennt. Kaum habe ich dieses Stückchen heiler Welt verlassen, rücken die Wälder wieder dicht an die mittelstreifenlose Straße heran, die sich langsam und unaufhörlich dem Isartal entgegen senkt. Auf die überbreite, von Bad Tölz heranführende B 13 eingeschwenkt, folge ich dem Fluss stromaufwärts und steige in weiten Bögen zum zerklüfteten Sylvensteinsee auf. Seit den 1950er Jahren wird der Wasserspeicher von der Isar und den weniger bekannten Zuflüssen Dürrach und Walchen gespeist. Bei einem letzten Halt auf dem Panorama-Parkplatz an der mächtigen Staumauer lassen mich die umliegenden Bergrücken glauben, an einem norwegischen Fjord zu stehen. Als jedoch ein stilecht in Lederhose und Dirndl gekleidetes Pärchen aus dem Auto nebenan steigt und mich freundlich mit „Griaß di God“ begrüßt, schwindet die Illusion abrupt. Do legst di nieda!

Text & Fotos: Frank Sachau

Wieskirche

Wer nur von der Wieskirche spricht, meint eigentlich die Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies. Die „Wies“ zählt seit 1983 zum Weltkulturerbe.

Neuschwanstein
Das Märchenschloss: Der „Kini“, wie König Ludwig II. im Volksmund genannte wurde, ließ Neuschwanstein nach seinen Ideen bauen.
Walchensee

Da braut sich was zusammen: Mit mächtig viel Getöse schiebt sich eine Gewitterfront über den Walchensee heran. Es wird Zeit, abzutauchen!