Von D. Dürrfeld

(K)EINE ECHTE GS

Keine Ahnung, wie es so weit kommen konnte. Fast 25 Jahre fahre ich nun Motorrad, doch in der gesamten Zeit bin ich tatsächlich nicht einen einzigen Kilometer mit einer BMW GS auf der Straße gefahren. Ganz bin ich zwar auch nicht am beliebtesten Motorrad der Deutschen vorbeigekommen – es gab da mal einen Turn auf der Rennstrecke mit der R 1200 GS – aber  erwähnenswerte Erfahrungswerte:  Fehlanzeige. Nun gab es aber das Intensivprogramm. Der Motorradherbst sollte in diesem Jahr mit einem Highlight enden, und es stand Endurofahren in Bosnien auf dem Programm. Um die Anreise etwas interessanter zu gestalten, war schnell klar: statt mit dem Auto oder dem Flugzeug geht es mit dem Motorrad und über Land Richtung Balkan. Als Fahrzeug sollte es aber nicht die neue R 1300 GS sein, sondern die für 2024 ebenfalls komplett überarbeitete F 900 GS.
Auch wenn die Modellbezeichnung GS seit der Einführung der F 650 GS im Jahr 2000 auch bei Nicht-Boxer-Modellen Verwendung findet, ist für viele BMW-Fans klar: eine echte GS gibt es nur mit Boxermotor. Eines wird hierbei aber oft außer Acht gelassen – seinen Ursprung hat das Kürzel zwar in der Boxer-Familie, die Bedeutung bei der R 80 G/S war aber nicht wie heute GeländeStraße, sondern Gelände/Sport. Und davon ist die aktuelle R-GS weit entfernt.

Moto Guzzi Stelvio alt und neu

Mit der F 900 GS hat BMW seit 2024 eine neue Reiseenduro im Mittelklassesegment im Programm. (Foto: BMW)

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Standfest: die Fußrasten der F 900 bieten viel Halt und sind für bessere Offroadtauglichkeit 20 mm nach unten gewandert.

Royal Enfield HImalayan 450

Auch die F 900 GS besitzt die BMW-typische Schaltereinheit mit Wahlrad.

Mutig, sportlich, F 900 GS

Hier kommt die neue F 900 GS ins Spiel. BMW hat mit der Nachfolgerin der F 850 GS ein in allen Belangen neues Motorrad auf die Räder gestellt und setzt den Weg hin zu mehr Mut und Kompromisslosigkeit in der Modellpalette konsequent fort. Wie sehr sich das Motorrad von der Vorgängerin unterscheidet, verrät schon die neue Designsprache der F 900. Das Motorrad wirkt nun deutlich aggressiver, sportlicher und schlanker. Vor allem ist es nun aber optisch ein völlig eigenständiges Motorrad. Wollte die F 850 noch aussehen wie die kleine Schwester der R 1250 GS, geht man beim neuen Modell einen völlig anderen Weg. Schnabel und Doppelscheinwerfer mussten einer LED-Einheit weichen, die nicht nur eine verbesserte Lichtausbeute bietet, sondern auch zur Gewichtsreduktions beiträgt. Allein hier wurden laut BMW 600 Gramm gespart. Zum sportlichen Gesamtauftritt trägt auch die nun deutlich kleinere Seitenverkleidung bei, die den 14,5 Liter fassenden Tank im vorderen Bereich überlappt. Auch das Spritreservoir selbst wurde neu gestaltet, ist nun aus Kunststoff statt Stahl gefertigt und spart so stolze 2,4 Kilogramm Ballast ein. Weitere 2,4 Kilo speckte die F 900 am Heck ab, der neue Akrapovic-Endtopf ist beachtliche 1,7 Kilogramm leichter. In Summe bringt die neue GS nun 219 Kilo fahrfertig ohne Sprit auf die Waage. Damit ist sie zwar 14 Kilogramm leichter als die Vorgängerin, aber immer noch kein Leichtgewicht in ihrer Klasse.
Beim Rangieren und im Stand freut man sich aber über jedes Gramm, das nicht bewegt werden will. Diese Erfahrung werden sicher vor allem diejenigen bestätigen, die nicht ganz so hoch gewachsen sind. Aber selbst mit einer Körpergröße von 1,80 Meter kann das entscheidend sein, besonders dann, wenn das Ergonomiedreieck Richtung Geländeeinsatz gedreht wurde. Denn die BMW platziert Fahrerinnen und Fahrer in luftiger Höhe. Stolze 870 Millimeter beträgt die Sitzhöhe der Standardsitzbank der F 900 und ist damit einen Zentimeter höher als bei der Vorgängerin. Der Lenker ist für bessere Kontrolle beim Fahren im Stehen 15 Millimeter höher positioniert, die neuen Endurofußrasten sind für bessere Geländetauglichkeit 20 Millimeter nach unten gewandert.

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Genusstour: Wie hier in Österreich geht es auf der BMW F 900 GS auch mal beschaulich zu, der Charakter der BMW motiviert aber eher zur flotten Gangart.

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Die Federbasis lässt sicher via Fernversteller justieren.

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Die Gabel der F 900 GS ist auch in der Standardversion voll einstellbar.

Die Reise beginnt

Die erste Etappe von München bis zur Österreichischen Grenze war zwar von Autobahnkilometern statt von Offroadpassagen geprägt, die Ergonomie der F 900 weiß aber auch auf langweiligen Zwischenstücken zu überzeugen. Denn der Kniewinkel ist komfortabel und der Lenker auch mit der zusätzlichen Höherlegung des Enduro-Pro-Pakets noch nicht so hoch platziert, dass man das Gefühl hat, die Arme oben halten zu müssen. Auch der Windschutz der recht schmalen, aber nach vorne gekröpften Scheibe ist erstaunlich gut geraten. Ebenfalls BMW-typisch gelungen: die Armaturen. Die neue F 900 GS kommt serienmäßig mit Traktionskontrolle und zwei Riding Modes (Road und Rain) beim Spielen mit Schaltern, Knöpfen und Elektronik auf der Autobahn zeigte das über das Kontrollrad einfach zu bedienende Menü aber schnell, dass die für die Reise und den Test von BMW Deutschland zur Verfügung gestellte GS auch die aufpreispflichtigen Modi „Dynamic“, „Enduro“ und „Enduro Pro“ an Bord hat.
Da diese sich schlecht auf der BAB testen lassen und wir ja nicht unterwegs sind, um die 1.300 Kilometer ins bosnische Gornji Vakuf-Uskoplje auf dem schnellsten Weg zurückzulegen, wird bei Bad Reichenhall der Blinker gesetzt und die erste Passstraße angesteuert. Schon bevor die ersten Kehren erreicht sind, zieht der komplett überarbeitete Motor die Aufmerksamkeit auf sich. Verhält sich der Zweizylinder auf der Autobahn noch recht unauffällig, zeigt er sich auf den ersten Landstraßenkilometern vor allem in höheren Drehzahlen erstaunlich drehfreudig und kräftig. Diese Eigenschaft verdankt der Reihen-Twin vorranigig einem deutlichen Hubraumzuwachs von 853 auf 895 Kubikzentimeter. Das Drehmoment wuchs zwar nur minimal von 92 auf 93 Newtonmeter bei 6.750 Umdrehungen pro Minuten, die neue GS hat aber nun ganze 10 Pferdchen mehr im Stall und schickt bei 8.500 Umdrehungen 105 PS ans via Kette angetriebene Hinterrad. Der kernige Sound aus dem Edelstahldämpfer trägt unterstreicht das Leistungsempfinden akustisch. Bei niedrigen Drehzahl könnten das Aggregat zwar noch einen Hauch mehr Laufruhe vertragen, störende Vibrationen kennt die GS aber nicht und der etwas rauere Charme passt gut zum sportlichen Charakter. Dieser animiert einen dann auch immer wieder zu einer sportlichen Fahrweise, die direkte Gasannahme im Dynamic-Modus und der sauber arbeitende, aber leider nur optional erhältliche Blipper lassen bei flotter Gangart das Motorradherz höher schlagen.
Richtig Freude kommt auf der F 900 auf, wenn die Radien enger werden. Hier sorgt neben dem Motor dann auch das Handling für mächtig Freude am Fahren. Die Ausrichtung der GS wurde für das Modelljahr 2024 zwar in Richtung Geländeeinsatz optimiert, die sportlichere Ausrichtung animiert aber auch auf der Straße zur zügigen Gangart. Neben der gelungenen Sitzposition und dem kräftigen und drehfreudigen Motor sind es hier auch die spielerisch gelingenden Richtungswechsel, mit denen die BMW zu überzeugen weiß. Alles geht ohne großen Kraftaufwand von der Hand und das Motorrad begeistert mit einem sehr neutralen und ausgewogenen Fahrverhalten.
Das ändert sich etwas, sobald sich die Straßenbedingungen verschlechtern. Macht das Fahrwerk auf perfektem Asphalt einen sehr guten Job, spürt man auf Nebenstraßen geringerer Qualität die straffe Grundausrichtung des Fahrwerks. Auch hier hatte es BMW wieder gut gemeint und das Testmotorrad mit dem Enduro-Paket Pro ausgestattet, zu dem neben einem schwarzen Rohrlenker mit 24 mm Lenkererhöhung und der M-Endurance-Kette auch ein sportlicheres, voll einstellbares Fahrwerk mit Upside-down-Telegabel (43 Millimeter) von Showa und ZF-Federbein gehören. Die Titannitrid-beschichtete Gabel soll zwar ein besseres Ansprechverhalten bieten und grundsätzlich sind die Dämpfer nicht unkomfortabel. In Kombination mit der doch recht straff geratenen Sitzbank sorgt die sportliche Grundabstimmung dafür, dass sich an langen Fahrtagen mit mehreren Stunden im Sattel dann doch irgendwann der Allerwerteste spürbar bemerkbar macht. Wohl dem, der auf kleinen und kleinsten Nebenstraßen unterwegs ist, die im kroatischen Hinterland auch gern mal einspurig, unasphaltiert und sehr schotterlastig ausfallen. Einen besseren Grund, die Fahrt im stehen fortzusetzen, gibt es wohl nicht.

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Die F 900 GS kann auch Offroad, wie hier mit dem Metzeler Karoo 4 sollte aber die passende Geländebereifung montiert sein. Die Aluminium-Schwinge wurde für die F 900 geändert und ist nun 250 Gramm leichter.

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870 Millimeter Sitzhöhe und ein straffes Polster. Die Sitzbank ist auf den sportlichen Einsatz ausgerichtet.

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Öffentliche Straßen in Kroatien: Im Grenzgebiet zu Bosnien geht es auch gern mal gröber zu.

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Die goldene Showa-Gabel mit Titannitrid-Beschichtung  gibt es nur im Enduro-Paket-Pro und ist sportlich abgestimmt.

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Der Akrapovic-Endtopf klingt gut und spart 1,7 kg Gewicht. Die Kofferhalter gibt es als BMW-Zubehör.

Willkommen im Reich der GS

Endet der Asphalt, beginnt der wahre Spaß auf der neuen F 900 GS. Erhebt man sich auf losem Untergrund aus dem Sattel und stellt sich in den supergriffigen Endurorasten, ergeben alle Änderungen an der Ausrichtung sowie die Komponenten des Enduro-Pro-Pakets und des Dynamik-Pakets ein tolles Gesamtkonzept. Auch ohne ausgeprägte Offroad-Erfahrungen fühlt man sich auf der F 900 GS nicht nur der Herr der Lage und sehr gut auf dem Motorrad positioniert, sondern genießt hier maximalen Fahrspaß. Der Lenker liegt perfekt zur Hand, der Tank bietet optimalen Halt und auch im Stehen sind der einstellbare Kupplungs- und Bremshebel gut zu erreichen. Apropos Bremse: die Brembo-Stopper funktionieren On- und Offroad gleichermaßen gut und natürlich lässt sich im Enduro-Modus das ABS am Hinterrad – ebenso wie die Traktionskontrolle – abstellen. So steigern sich auch auf unbekanntem Terrain schnell Vertrauen und Tempo. Voraussetzung ist hier natürlich, dass man auf der richtigen Bereifung unterwegs ist. Kommt die F 900 in der Standardkonfiguration mit eher für den Straßenbetrieb orientierter Bereifung, sollte für den ausgeprägten Mischbetrieb der Haken bei Geländebereifung (+50 Euro) gesetzt worden sein. Ohne Aufpreis gibt es bei BMW die für den Offroad-Einsatz einstellbaren Fußrasten. Während der nun um 5 Millimeter höher positionierte Fußbremshebel für die Fahrt im Stehen zusätzlich über eine klappbare Erhöhung (+20 mm) verfügt, lässt sich der Schalthebel via Exenter in zwei Positionen einstellen. Was für den strammen Geländeeinsatz sicherlich nützlich ist, war auf den unbefestigten Wegen in Kroatien und Bosnien aber nicht notwendig. Einziger Wermutstropfen: Der originale BMW-Tankruck schränkt die Bewegungsfreiheit im Stehen etwas ein.

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Mit der neuen LED-Scheinwerfereinheit und der knappen Seitenverkleidung wirkt die F 900 GS deutlich schlanker als ihre Vorgängerin.

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Das Display der GS ist hervorragend ablesbar, die Modi Dynamic, Enduro und Enduro Pro gibt es im Dynamic-Paket. (Foto: BMW)

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Zügig durchs Wasser? Auch Wasserdurchfahrten machen mit der F 900 GS Spaß.

Die wahre GS

Auch wenn sie keinen Boxer-Motor hat: 44 Jahre nach der ersten G/S kehrt BMW mit der F 900 GS zu den Wurzeln zurück und hat wieder ein Motorrad im Programm, dessen Philosophie eher auf Gelände/Sport denn GeländeStraße ausgerichtet ist. Was für sportlich ambitionierte Motorradfans ein Segen sein kann, mag für Fans des GS-Modelle der letzten 30 Jahre aber auch zu wenig Komfort und zu wenig Reisetauglichkeit bedeuten. Mit einem Vebrauch, der – je nach Strecke und Fahrweise – gut und gern bei fünfeinhalb bis sechs Liter oder sogar darüber liegen kann, ist die F 900 mit ihrem 14,5-Liter-Tank sicher kein Langstreckenmotorrad. Und auch an die sportliche Sitzbank muss man sich auf langen Etappen erst gewöhnen. Dafür bewältigt man mit der F 900 aber auch anspruchsvollere Passagen problemlos und spielerisch. Vorausgesetzt, man hat bei der Konfiguration an den richtigen Stellen den Haken gesetzt. Mit einem Basispreis von 13.750 Euro scheint die BMW noch recht günstig, wer das schicke weiß-blau-rote GS-Trophy-Design (465 €), Zugang zu alle Fahrmodi über das Dynamik-Paket (495 €) und das Enduro-Pro-Paket (1.560 €) mit besserem Fahrwerk und hohem Lenker möchte, liegt inklusive Geländereifen (50 €) sowie Lieferkosten schon bei 16.785 Euro. Ein Tempomat, Motorschutzbügel und Kofferset sind da natürlich noch nicht inkludiert. Ob es sich lohnt, der GS mal eine Chance zu geben? Mit Sicherheit! Alle, die im Wort Reiseenduro die Betonung eher auf Enduro statt auf Reise legen, werden die F 900 GS lieben. Einzige Voraussetzung: die Probefahrt sollte auch über Stock und Stein gehen.
Vereinbare am besten gleich einen Probefahrttermin bei Deinem BMW-Vertragshändler.

Fotos: D. Dürrfeld