Von Jens Riedel, cen
Jeder Weg ein neues Abenteuer
Bullet, Sherpa, Super Meteor, Hunter, Shotgun und zuletzt Guerrilla: An markigen Namen mangelt es Royal Enfield, im vergangenen Jahr immerhin die Nummer elf in der deutschen Zulassungsstatistik, nicht. Von den sechs genannten Bezeichnungen ist eine kein Modell, sondern ein Motor, und zwar der erste wassergekühlte der Inder überhaupt. Passenderweise hielt der Sherpa dann als erstes auch in die neue Himalayan Einzug. Die 450 löst die 410 ab – und absolute Begeisterung bei Ein-Zylinder-Fans aus. Ihre Herzen schlagen hier sofort höher.
Acht Ösen an den serienmäßigen Tankbügeln erlauben die Befestigung von Gepäck.
Die Sitzhöhe lässt sich in der Höhe durch einfaches Umlegen zweier Fixierstangen reduzieren.
Acht Ösen an den serienmäßigen Tankbügeln erlauben die Befestigung von Gepäck.
Die Sitzhöhe lässt sich in der Höhe durch einfaches Umlegen zweier Fixierstangen reduzieren.
Schon optisch macht die neue Himalayan deutlich, dass Enfield nicht bis in alle Ewigkeit an seiner klassischen Linie festhalten will. Die 450 sieht deutlich schlanker und dynamischer aus als die doch etwas kantig-robust wirkende 410, bleibt aber absolut bodenständig. Beiden gemein ist eigentlich nur der zusätzliche „Entenschnabel“ über dem Vorderradkotflügel. Und ja, auch die Nachfolgerin trägt serienmäßig wieder einen Tankschutzbügel, doch der wirkt deutlich mehr der Linie des Motorrads angepasst als bei der sieben Jahre alten Vorgängerin, wo er fast schon wie ein Fremdkörper wirkte. Nach wie vor lässt sich aber auch bei der neuen „Himi“ zusätzliches Gepäck an der Rohrkonstruktion befestigen, die über sechs Ösen pro Seite verfügt. Nicht nur hier hat sich Enfield den Sinn für praxisgerechte Lösungen bewahrt. Es gibt serienmäßig einen Hauptständer und eine Gepäckbrücke sowie einen heute nicht mehr selbstverständlichen Bordwerkzeug-Satz. Die Sitzhöhe lässt sich bei Bedarf schnell durch einfaches Umlegen der beiden Fixierstangen reduzieren. Ein USB-C-Anschluss ist vorhanden und ermöglicht zudem über die audiofähige Royal-Enfield-App die – laut Hersteller – erste Vollkartennavigation mit Google Maps auf einem digitalen Rundinstrument. Die Instrumentenanzeige wird über einen linksseitigen Joystick gesteuert. Unter anderem lassen sich auch die Motortemperatur und die Batteriespannung abrufen. Die Außentemperatur wird ohnehin im TFT-Cockpit angezeigt, das die Grafikeinstellungen „Analog“ und „Digital“ kennt.
Reiseenduro light: Die Himalayan ist der Beweis, dass es für die große Tour nicht unbedingt zwei oder mehr Zylinder, über 100 PS und über 1000 ccm Hubraum braucht.
Puristisch und auf das Wesentliche reduziert: das Cockpit der Himalayan.
Das runde TFT-Cockpit ist mit Hilfe von Google Maps navigationsfähig.
Rechts am Lenker liegt die Fahrmodi-Taste. Die Himalayan verfügt über die Einstellungen „Performance“ und „Eco“, jeweils wahlweise mit abgeschaltetem Hinterrad-ABS. Die beiden Fahrstufen liegen ausreichend weit auseinander. Ein Wechsel ist allerdings immer nur nach erneutem Einschalten der Zündung möglich. Der Sitz ist gut gepolstert und bietet ausreichend horizontale Beweglichkeit, auch der Soziusplatz fällt recht großzügig aus. Die schmale Scheibe entlastet den Oberkörper ausreichend. Der eher quadratisch ausgelegte Einzylinder legt bei 3.100, 3.200 Umdrehungen in der Minute sein Konstantfahrruckeln ab. Im „Eco“-Betrieb „verlängert“ sich der Gasweg deutlich und können die Getriebestufen bereits bei 3.500 Touren gewechselt werden. Wer mit der Himalayan etwas beherzter auf der Landstraße unterwegs ist, darf gerne bis 5.000 oder 5.500 U/min drehen. Bis Sechseinhalb und 130 auf dem Tacho steht der Sherpa mit kernigem Klang gut im Futter, danach lässt der Dampf naturgemäß etwas nach. Autobahnrichtgeschwindigkeit ist also auch auf Dauer drin. Kurze Gasstöße quittiert der 452-Kubik-Motor mit einem tiefen Bellen. Der rote Bereich offenbart sich erst nach Erreichen der 8.000er-Marke, wenn die Nadel und die grauen Balken des Drehzahlmessers plötzlich ihre Farbe wechseln. Insgesamt ist der Charakter des Triebwerks etwas robuster als beispielsweise bei der recht sanft laufenden Triumph 400, aber die Vibrationen fallen gemäßigt aus und sind nie störend. Für manchen Ein-Zylinder-Fan müssen sie sogar einfach sein. Fast schon ein wenig im Kontrast dazu steht das butterweich zu schaltende Getriebe, bei dem der Leerlauf fast wie von selbst reinflutscht. Auch die außergewöhnlich leichte Kupplung erfordert kaum Kraft. Etwas Mut braucht es allerdings – zumindest beim ersten Mal – die Royal Enfield auf dem etwas zu kurz geratenen Seitenständer so stark zur Seite zu neigen.
Gewohnter Enfield-Purismus an den Lenkerenden. Das TFT-Cockpit lässt sich via Joystick auf der linken Seite bedienen.
Wassergekühlter Einzylinder-Motor, aufgefrischte Optik und überarbeitete Technik – Royal Enfield hebt die Himalayan auf ein neues Level.
Die Enduro ist mit Showa-Federlementen bestückt und erweist sich mit ihren 20 Zentimetern Federweg, dem weiten Lenkeinschlag und 23 Zentimetern Bodenfreiheit als echter Geländegänger. Während der vordere Stopper mit Blick auf die Offroad-Qualitäten eher defensiv ausgelegt ist, begeistert die hintere Bremse mit frühem Ansprechverhalten und feiner Dosierbarkeit. Das Stopplicht ist übrigens mit in die Blinker integriert. Trotz des 21-Zoll-Vorderrads entpuppt sich die Bergsteigerin aber auch als gutmütig agierender Kurvenräuber, der auf der Landstraße ebenfalls viel Freude bereitet. So ist es wohl auch kein Zufall, dass in diesen Tagen mit der Guerrilla 450 noch ein von der Himalayan abgeleiteter Roadster zu den Händlern kommt. Auch hier tut sich eine gewisse Parallele zu Yamahas seeliger XT 500 und der legendären SR 500 auf. Der Bordcomputer meldete als Langzeitwert über mehrere tausend Kilometer einen Durchschnittsdurst von 3,7 Litern. Wer es zeitweilig etwas forscher angeht, schafft kurzfristig auch zwischendurch knapp unter 4,5 Litern. Wir erreichten unterm Strich 3,9 bis 4,0 Liter. War die 410 mit ihren 24 PS doch eher ein Motorrad für kleine Abstecher in die heimische Flora und Fauna, meint es ihre Nachfolgerin mit den Fernweh-Ambitionen deutlich ernster, ohne dabei diejenigen zu vergessen, die doch lieber zuhause auf dem Asphalt bleiben. Nicht nur angesichts der Ausstattung ist die Himalayan 450 preislich ein mehr als faires Motorrad des Weltmarktführers im Bereich von 250 bis 750 Kubik. Wenn es etwas zu bedauern gibt, dann wohl nur, dass der in Sachen Farbkompositionen nicht zögerliche Hersteller mit den britischen Wurzeln die schönen Grafikspielerien der Vorgängerin beim Namensschriftzug nicht übernommen hat. (cen)
Fotos: Jens Riedel & Hersteller
Die neue Himalyan ist in fünf Farben, teils mit Aufpreis, erhältlich. Ganz oben Hanle Black (+300 €), Slate Himalyan Salt (Mitte links, +100 €), Kamet White (Mitte rechts, 600 €), Kaza Brown (unten links, ohne Aufpreis) und Slate Poppy Blue (unten rechts, +100 €).