STILLE MITTE

Das wenig bekannte Eichsfeld kommt unaufgeregt daher und bietet jede Menge Fahrspaß rund um den bundesdeutschen Bauchnabel. Und um den legendären Kyffhäuser, den kleinen Bruder des Harzes, ranken sich mittelalterliche Geschichten. Unterm Strich zwei äußerst reizvolle Mittelgebirgsregionen, deren kurvenreiche Straßen zu Kaisern und Königen, Bier und Burgen führen.

Harz! Harz! Harz! Auf meine ernstgemeinte Frage wohin, antworten meine Motorradkumpels unisono. Das an Wochenenden bei norddeutschen Bikern beliebte Mittelgebirge habe ich wegen Überfüllung verschmäht und als reizvolle Alternativen das Eichsfeld und den Kyffhäuser auserkoren. Kaum habe ich Osterode verlassen, bitten wohlgerundete Kurven zum Tanz, flirten Kuppen mit meinen Pneus. Weiter so, denke ich mir und treibe meinen Bayern-Boxer freudig zur Wilhelm-Busch-Mühle in Ebergötzen. Der bekannte Zeichner und Humorist verlebte hier einen Teil seiner Kindheit und freundete sich mit dem Sohn des Müllers an. Daraus entstand später Buschs Bildergeschichte „Max und Moritz“. Die beiden Lausbuben begrüßen mich vor der Mühle und verzichten hoffentlich auf derbe Streiche, während ich mir die betagte Technik im Inneren anschaue. Im nur 500 Meter entfernten Europäischen Brotmuseum wird mir anschließend der Weg „Vom Korn zum Brot“ appetitlich erklärt. Die dann folgende Etappe geleitet mich kurvenreich über die zahmen Höhenzüge des Untereichsfeldes bis nach Duderstadt im südlichsten Zipfel Niedersachsens. Beim Wechsel nach Thüringen lande ich vor den Toren des Grenzlandmuseums in Teistungen. Hier wird nicht nur die Tragik der Teilung von BRD und DDR anschaulich dargestellt, sondern auch die perfide Technik gezeigt, die den angeblich antifaschistischen Schutzwall unüberwindlich machte.

Fallert Achern Team

Streiche aushecken: Echte Lausbuben treffen sich an der Wilhelm Busch Mühle in Ebergötzen zum Erfahrungsaustausch.

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Die Erinnerung wach halten: Das Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen konnte jüngst sein 25-jähriges Bestehen feiern.

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Übergabepunkt: Früher wurden morgens volle Milchkannen auf eine Milchbank gestellt, wo sie vom Molkerei-LKW abgeholt wurden.

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Kurzer Abstecher: In Wanfried treffe ich auf die Werra und gönne mir ein paar Kilometer durchs Bundesland Hessen.

Ich verlasse die Bundesstraße und schlängele mich entspannt auf einer Etappe der Deutschen Alleenstraße über sanfte Hügel und Kuppen nach Heiligenstadt, am nördlichen Rand des 1990 gegründeten Naturparks Eichsfeld-Hainich-Werratal. Während das idyllisch im Leinetal gelegene Heilbad auf eine tausendjährige Geschichte zurückblicken kann, gibt es die nur zwei Kilometer lange, aber international bekannte Iberg-Rennstrecke erst seit 1924. Einmal im Jahr röhren hier PS-Boliden die anspruchsvolle L 2022 (Holzweg) hinauf, der Schnellste schaffte die Etappe in nur 52 Sekunden, Respekt! Ich habe meine rechte Hand unter Kontrolle und lande wenig später in Küllstedt, mit seiner für die Eichsfelddörfer typischen Milchbank. Früher stellten die umliegenden Bauern die gefüllten Milchkannen morgens auf eine hölzerne Plattform am Straßenrand, wo sie vom Molkerei-LKW abgeholt und am Nachmittag leer zurück gebracht wurden. Am linken Lenkerende erhebt sich dann der Höhenzug Goburg mit dem 543 Meter messenden Gipfel des Eichsfeldes, gen Osten genieße ich die freie Sicht über das Thüringer Becken. Auf die B 249 eingeschwenkt, gönne ich mir ein paar Kilometer durchs Bundesland Hessen. In Wanfried treffe ich erstmals auf die Werra, der ich bis ins thüringische Treffurt folge. Oberhalb des Ortes klebt die romanische Burg Normannstein wie ein Schwalbennest am Hang, sie kontrollierte einst die strategisch wichtige Werrafurt. Ich wechsele aufs westliche Ufer und lasse meine Pneus auf einem kurzen Teilstück der Deutschen Fachwerkstraße nach Creuzburg mit seiner mittelalterlichen Höhenburg rollen.

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Werrawächter: Oberhalb von Treffurt thront die Burg Normannstein, sie kontrollierte einst die strategisch wichtige Furt durch den Fluss.

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Asyl in Eisenach: Der im 16. Jahrhundert von Kaiser und Papst verfolgte Martin Luther fand auf der Wartburg sicheren Unterschlupf.

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Kinderstube: Westlich von Kefferhausen entspringt die Unstrut und mündet nach rund 200 Kilometern bei Naumburg in die Saale.
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Mahnmal: Bei Bartolfelde erinnert bis heute ein verbliebener DDR-Wachturm an die ehemalige innerdeutsche Grenze im Eichsfeld.

Eine kurzweilige Landstraße schmiegt sich dicht an das Bett der mäandernden Werra und entführt mich ins nahe Mihla, das mit zwei Schlössern auftrumpfen kann. Eine Ritterfamilie erwarb um 1500 die alte Wasserburg, ließ die Gräben zuschütten und das Gemäuer repräsentativ herrichten – es entstand das graue Schloss. Wenig später wurde in der Nachbarschaft das rote im Fachwerkstil errichtet. Nach meinem Ritt über den Mihlaer Berg schiebt sich die von Weitem sichtbare Wartburg in mein Blickfeld. Der im 16. Jahrhundert von Kaiser und Papst verfolgte Martin Luther fand in der Burg oberhalb von Eisenach sicheren Unterschlupf und übersetzte in nur zehn Wochen das Neue Testament in die deutsche Sprache. Der Reformator, die Burg und die Lutherstube sind seit dem weltbekannt.  Der etwas unübersichtlichen Stadtdurchfahrt entkommen, strebe ich am südlichen Rand des für seine alten Buchenwälder bekannten Nationalparks Hainich entlang. Eine unscheinbare Asphaltader lockt mich hinein und entlässt mich kurz darauf auf die Chaussee nach Niederdorla, seit 1990 Mittelpunkt Gesamtdeutschlands. Bis zur Wende lag das Zentrum der Bonner Republik bei Rennerod im Westerwald und im Arbeiter- und Bauernstaat bei Belzig im Fläming. Als es um die Ermittlung der neuen deutschen Mitte ging, beanspruchten, je nach Messmethode, gleich fünf Orte den Titel. Niederdorla gewann. Der Blick auf die Straßenkarte offeriert einen verheißungsvollen Umweg über die bewaldeten Höhen des Hainichs. Von Steuereintreibern unbehelligt, passiere ich dabei das uralte Grenzhaus in Heyerode. Früher wurde hier Zoll verlangt, heute Konzentration, denn der enge Torbogen erfordert die Beachtung des Gegenverkehrs. Ein paar Minuten später komme ich an der beeindruckenden Mühlhausener Stadtmauer vorbei, hinter der einst Berühmtheiten wie der Revoluzzer Thomas Müntzer und der Kirchenmusiker Johann Sebastian Bach lebten und wirkten. Statt mich auf der breiten B 247 im Unstruttal zu langweilen, biege ich nach Dachrieden ab und bleibe dem Wasserlauf dicht auf den Fersen. Selbstverständlich besuche ich noch die Unstrutquelle in Kefferhausen, bevor der Bayern-Twin mich schwungvoll über den Höhenzug Dün und die östlichen Ausläufer des Ohmgebirges in Richtung Harz transportiert. Das Eichsfeld scheint zum Abschluss nochmal alles zu geben, verkehrsarme Strecken, verschlafene Dörfer und grüne Buckel. Bis sich plötzlich hinter einer Kurve bei Bartolfelde die jüngere deutsche Geschichte in Form eines Wachturms der ehemaligen innerdeutschen Grenze mahnend in Erinnerung ruft. Der Blick auf die Uhr macht klar, dass ich verdammt spät dran bin, da kommt die mehrspurige B 243 nach Osterode gerade recht.

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Aus besonderem Holz geschnitzt: Otto I. aus Wallhausen und war 962 erster Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

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Gern gesehene Gäste: Der Kyffhäuser, der kleine Bruder des Harzes, ist an schönen Tagen fest in den Händen der Motorradfahrer.

Auch am folgenden Tag mache ich mich erneut allein auf die Socken und finde mich schon früh auf der B 243 wieder. Diesmal Richtung Südosten. Meine heiteren Gedanken an den gestrigen feucht-fröhlichen Abend mit den Kumpels verschwinden prompt mit Erreichen des ehemaligen Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Zwischen 1943 und 1945 verlagerten die braunen Machthaber kriegswichtige Fertigungsanlagen bombensicher unter Tage. Im Kohnstein bei Nordhausen trieben Zwangsarbeiter umfangreiche Stollensysteme in den Harz, Tausende fanden dabei den Tod. Nach dem Besuch des Lagers brauche ich etwas Erhellendes: Allzu gern bekenne mich zur Landstraßenliebe und streife durch die Goldene Aue. Eine fruchtbare Gegend, von Südharz und Kyffhäuser umringt, und von der Helme durchflossen. Durch den Talgrund zwängen sich leider auch Schienenstrang und Autobahn, aber zu meinem Glück auch eine ganz normale Asphaltader. Bis zum Abzweig in Wallhausen klebt die markante Silhouette des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf dem bewaldeten Kyffhäuser am rechten Zylinderkopf. Dass man ständig hinzulernt, erfahre ich bei einem zufälligen Stopp an einer handwerklich meisterhaft gemachten Holzskulptur, die das Königspaar Heinrich I. und Mathilde, sowie deren Sohn Otto I. zeigt und auf die Bedeutung des historischen Könighofs zu Wallhausen hinweist. Sohnemann war 962 erster Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Wallhausen bedeutendes politisches Zentrum. Nach einem kurzen Sprint durch ausgedehnte Agrarflächen schaue ich mir die ehemalige Kaiserpfalz Tilleda an, die im Mittelalter in der Region weilenden Monarchen als repräsentative und zugleich wehrhafte Residenz am Fuße des Kyffhäusers zur Verfügung stand. Am Beginn der steilen Nordrampe mache ich Rast am Imbiss „Biker-Oase Café 36“, ein idealer Ort, dem Treiben der Motorradgemeinde zuzuschauen. Übergroße Warnschilder mahnen zur Vernunft, was die vorbeipreschenden Lokalmatadore jedoch wenig kümmert. Die stark gewundene Auffahrt wurde zwar mit Tempolimit, Überholverboten und Schwellen entschärft, verlangt aber noch immer vollen Einsatz und erhöhte Aufmerksamkeit. Oben angekommen, folge ich der Ausschilderung zur Kyffhäuserburg.

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Klare Hierarchie: Am monumentalen Kyffhäuserdenkmal thront Kaiser Wilhelm I. über dem Stauferkaiser Friedrich I., Barbarossa.

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Nach verlorenem Kampf: Thomas Müntzer, der Anführer des Bauernheeres, wurde in der Wasserburg Heldrungen eingekerkert.

Von der im 11. Jahrhundert errichteten Anlage sind noch sehenswerte Reste vorhanden, die zu den größten mittelalterlichen Burgen Deutschlands zählen. Rund 800 Jahre später wurde das von weitem sichtbare, 81 Meter hohe Sandsteindenkmal erbaut. Das Reiterstandbild zeigt Kaiser Wilhelm I. und darunter Stauferkaiser Friedrich I., der seinen Beinamen Barbarossa wegen seines rotschimmernden Bartes erhielt. Etwas außer Atem trete ich vor die monumentalen Kaiser, die dicken Stiefel und der steile Aufstieg sind schuld. Der Panoramablick aus 460 Meter Höhe reicht über den Landstrich Goldene Aue, das Thüringer Becken und bei guter Sicht sogar bis zum Brocken im Harz. Ein paar kurvenreiche Motorradkilometer entfernt, erinnert in Bad Frankenhausen ein imposantes Denkmal an die Entscheidungsschlacht des deutschen Bauernkrieges und die Gefangennahme Thomas Müntzers im Jahre 1525. Müntzer stammte aus Stolberg im Südharz, begeisterte sich als Priester anfangs für die friedlichen Thesen des aufstrebenden Reformators Martin Luther, schlug dann aber einen gewaltbereiten Weg ein. Als Rädelsführer aufgegriffen, wurde er in der der nahen Wasserburg Heldrungen eingekerkert und kurz darauf vor den Toren der thüringischen Stadt Mühlhausen öffentlich hingerichtet. Das Mittelalter, die tausendjährige dunkle Epoche zwischen Antike und Neuzeit, wurde 1156 durch Kaiser Barbarossa erhellt, als er die Herstellung und den Vertrieb des beliebten Gerstensaftes gesetzlich regelte und verkündete: „Wenn ein Bierschenker schlechtes Bier macht oder ungerechtes Maß gibt, soll er gestraft werden…“.
Das nicht weit entfernte Weißensee setzte noch einen obenauf und erließ rund drei Jahrhunderte später die „Statuta thaberna“, in der das korrekte Benehmen in Wirtshäusern beschrieben wird. Zur gleichen Zeit trafen sich dort talentierte Minnesänger häufig zum Wettstreit.

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Stein des Anstoßes: Bis 1989 verlief der eiserne Vorhang durch das Eichsfeld und trennte Thüringen von Niedersachsen und Hessen.

Sie folgten der Einladung ihres Mäzens Landgraf Hermann I., sein bekanntester Gastsänger war Walther von der Vogelweide. An ihr Wirken erinnert eine Skulptur auf dem Marktplatz des im Zentrum des Thüringer Beckens gelegenen Ortes. Die Kreuzung wichtiger Heer- und Handelsstraßen ließ hier zur gleichen Zeit die Runneburg entstehen, die ich auf dem Rückweg zum Kyffhäuser buchstäblich links liegen lasse. Gegen den Lauf der Helbe und abseits der breiten B 4 pfeile ich nordwestwärts bis Otterstedt, um von dort aus in den Naturpark Kyffhäuser zu gelangen. Der von nun an verwinkelte Weg führt mich vorerst in den bis zu 400 Meter aufragenden Höhenzug Hainleite und danach durch das enge Tal der Wipper hindurch an den Rand des Kyffhäusergebirges. Leichtfüßig schwinge ich himmelwärts, bis sich auf dem Scheitelpunkt der Bergstrecke ein wunderschöner Blick auf die glitzernde Wasseroberfläche der Talsperre Kelbra öffnet. Die wird nach wenigen Schaltvorgängen in meinen Rückspiegeln immer kleiner, als ich die kurzweilige Waldetappe über den Bergrücken Windleite in Angriff nehme. In Sondershausen, der Kreisstadt des Kyffhäuserkreises, biege ich auf die gut ausgebaute, aber leider viel befahrene B 4 ab. In weiten, aussichtsreichen Schwüngen senkt sie sich nach Nordhausen am Rande des Südharzes hinab. Wieder einmal habe ich mich von reizvollen Strecken, besonderen Landschaften und ihrer Geschichte in den Bann ziehen lassen und dabei völlig die Zeit aus den Augen verloren. Wie gut, dass die B 243 in der Nähe ist!

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Gut bewacht: Weißensees Lage an der Kreuzung wichtiger Heer- und Handelsstraßen ließ im 12. Jahrhundert die Runneburg entstehen.

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Hutschachtel: Das Bauernkriegsdenkmal in Bad Frankenhausen zeigt ein riesiges Wandgemälde mit Szenen der Schlacht von 1525.

Reiseinformationen

Allgemeines: Wenn der Harz an Wochenenden von Motorrädern nur so wimmelt, empfiehlt sich die Flucht ins wenig bekannte Eichsfeld, das sich die Bundesländer Hessen, Niedersachsen und Thüringen teilen. Die Fahrt um und über den Kyffhäuser führt über weite Teile durch das Thüringer Becken, das im Norden durch den Harz, im Osten die Finne, im Süden den Thüringer Wald und im Westen durch den Hainich umschlossen wird. Verkehrsarme, kurvenreiche und gut ausgeschilderte Nebenstrecken entführen nicht nur in Mittelgebirge, deren Gipfel schon die 500-Meter-Marke erreichen, sondern auch an den Mittelpunkt Deutschlands. Mit höherem Verkehrsaufkommen ist nur in größeren Orten und an Verkehrsknotenpunkten zu rechnen. Nichts für Anfänger, denn das Motorrad sollte sicher beherrscht werden.
Streckenlänge: Rund 600 Kilometer
Informationen:
HVE Eichsfeld Touristik e.V. • Conrad-Hentrich-Platz 1 • 37327 Leinefelde-Worbis • www.eichsfeld.de
Thüringer Tourismus GmbH • Willy-Brandt-Platz 1 • 99084 Erfurt • www.thueringen-entdecken.de
Unterkunft:
Hotel Sauerbrey • Friedrich-Ebert-Straße 129 • 37520 Osterode-Lerbach • Tel. 05522-50930 • www.hotel-sauerbrey.de
Das Team um Fritz Sauerbrey gibt sich nicht mit dem Üblichen wie Essen und Unterkunft zufrieden. Man punktet mit vielen Motorrad-Aktivitäten und hält mit dem hauseigenen Testride Center stets die neuesten BMW-Modelle bereit. Geführte Touren, Kartenmaterial, Schwimmbad, Sauna, Garage und Schrauberecke runden das unschlagbare Paket ab.