EINMAL ALLES NEU

Die BMW GS, mittlerweile seit gut 30 Jahren ein Mythos der internationalen Motorradgeschichte und zugleich ein Modell, das von BMW immer wieder aufs Neue gehegt, gepflegt und neu erfunden wird. Sie ist und bleibt nun mal die eierlegende Wollmilchsau der Marke, ist Benchmark wie auch technischer Vorreiter in vielen Gebieten und zugleich Blaupause für die Mitbewerber im Segment der Reiseenduros. Aber mal ehrlich, wer hätte vor 100 Jahren gedacht, dass das Boxerprinzip mit seinen ausladenden Formen einmal „DAS“ Motorkonzept bei BMW im Motorradbau werden würde? Wahrscheinlich genauso wenige wie diejenigen, die geglaubt haben, dass dieses Konzept heutzutage 145 PS Spitzenleistung bei 7.750 Umdrehungen und 149 Nm Drehmoment bei 6.500 Umdrehungen auf den Asphalt drückt. Es hat sich viel in der Entwicklung getan und mit modernen Werkstoffen und einer Flüssigkeits-/Luftkühlung sind solche Leistungen auch bei steigenden Umweltauflagen möglich. Dabei ist der komplett neu entwickelte 1300er Motor nun auch wirklich ein echter 1300er. Es gibt keine krummen Hubraumzahlen mehr, wie noch zuvor bei den 1250er Modellen. Die beiden Kolben haben 106,5 Millimeter Durchmesser und ziehen ihre Bahnen auf 73 mm Länge (bei der 1250er waren es 76 mm).
Dabei versprechen nicht nur die nackten Maximalzahlen richtig Dampf im Kessel. BMW hat es mit dem neuen Motor geschafft, auch im mittleren Drehzahlbereich noch einmal zuzulegen. Hier stehen jetzt stehts deutlich spürbar rund 125–130 Nm Drehmoment an. Das zaubert dem Fahrer gerade im kurvig-bergigen Gelände ein breites Grinsen unter den Helm, zumal der Motor die Gasbefehle der rechten Hand über das elektronisch gesteuert Gas so sauber umsetzt, dass sich kein Fahrer vom kraftvollen Antritt der Maschine überfordert fühlt – auch wenn er mal einen Gang zu viel runterschaltet. Das 6-Gang-Getriebe und die Kupplung lassen sich leicht bedienen. Gegen Aufpreis gibts einen bidirektionalen Schaltassistenten (nur zusammen mit dem Dynamik Paket, 1.610 €).

Fallert Achern Team

Mit der Schaltereinheit am linken Lenkerende lässt sich (fast) alles einstellen. 

Fallert Achern Team

Eine komplett neue, erstmal ungewohnte Lampenmaske die polarisiert.

Fallert Achern Team

Ein TFT-Display der Extraklasse. Übrigens: die altbewährte Navigation ist nicht mehr Garmin-basiert – das regelt jetzt ein BMW-eigenes System.

Fallert Achern Team

Optional ist die Sitzbank der 1300er beheizbar, Aufpreis 150 Euro. 

War das Beschleunigen zu Zeiten der letzten Boxergeneration noch mit sattem Boxersound untermalt, so ist es bei der neuen GS ganz anders. Der typisch sonore Klang geht in der Auspuffanlage verloren. Die kommenden gesetzlichen Vorschriften und andere Einschränkungen sorgen sogar dafür, dass selbst mit der verbauten Akrapovic-Anlage (sie ist noch zwei Dezibel leiser als das Original) kein Klangvolumen mehr zu erzeugen ist. Das Thema Motorsound in Verbindung mit Emotionen ist daher für mich persönlich eines der größten Mankos der neuen Maschine. Wobei es mir nicht um ohrenbetäubenden Lärm mit Auspuffklappen geht, sondern einfach um einen guten Sound. Somit halten sich für mich zumindest in diesem Bereich die Emotionen trotz der fulminanten Werte in Grenzen und das „HEYYYYY“-Gefühl fehlt mir leider ein wenig (Anm. d. Red.: Subjektives Empfinden des Autors, wir finden den Sound der Auspuffanlage durchaus ansprechend), auch wenn der Rest des Paketes passt.
Zum Rest des Paketes gehört in dem Fall die Ausstattung. Hier punktet die Bayerin schon mal gleich in Sachen Grundausstattung. Für 19.100 € gehören vier Fahrmodi (Road, Rain, Eco und erstmalig auch Enduro) zum Programm. Weitere Modi gibts gegen Aufpreis. Die Abstimmung ist gelungen, wobei man sich an den ECO-Modus erst einmal gewöhnen sollte, da er beim Beschleunigen Kraft aus dem Antriebsstrang nimmt und somit sparsamer fährt. Mal eben schnell damit überholen, macht im ECO keinen Spaß.
Ergänzt wird die Grundausstattung der R 1300 GS durch die aktualisierte Dynamische Traktionskontrolle (DTC), die bei der Probefahrt nicht einmal muckte, das schräglagenoptimierte ABS Pro, eine Berganfahrhilfe, die echt praktisch ist, den adaptiven Tempomat (Dynamic Cruise Control mit Bremsfunktion), Spurwechsel- und Kollision-Warnassistent (die kleinen Dreiecke in den Spiegeln kennen wir ja bereits von den Autos), Keyless Ride, MSR, RDC, Griffheizung, die polarisierende LED-Ausstattung, das bekannte 6,5 Zoll große Vollfarb-TFT-Display mit Bluetooth Anbindung, Navigation und der bekannten Connectivitiy, USB-Anschluss und 12 V Bordspannungssteckdose, einstellbare Handhebel und intelligenten Notruf.

Fallert Achern Team

Der Serien-Schalldämpfer ist mit 90 dB Standgeräusch tiroltauglich. Im Zubehör gibt’s einen Titan-/Edelstahl-Doppelschalldämpfer von Akrapovič in silber oder schwarz (88 dB). Aufpreis je nach Ausführung 935 oder 1.290 Euro. 

Fallert Achern Team

Die WAD-Federbeine bei der neuen GS stammen aus dem Hause ZF Sachs. 

Wer mehr möchte – ich nehme an, 2/3 der GS-Käufer wollen das – der bekommt es natürlich und so wandert der Preis je nach Ausstattung gen 30.000 €. Bei meiner eigenen Wunsch-Konfiguration landete ich bei knapp 29.000 €, obwohl mir die Pure bereits reichen würde.
Beim Fahrwerk geht BMW keine Kompromisse ein. Die R 1300 GS verfügt ab Werk über ein hochmodernes, elektronisch geregeltes Fahrwerk, Dynamic Suspension Adjustment genannt (DSA, ersetzt das alte ESA). Das Fahrwerk passt in Abhänggkeit von gewählten Fahrmodus, von Fahrbahnzustand und der Fahrweise die Dämpfung und Federrate dynamisch – also fortwährend – an. Das Resultat ist bemerkenswert. Zusätzlich sorgen die neuen EVO-Telelever (Gabel) und EVO-Paralever (Schwinge) für mehr Stabilität und sehr guten Fahrkomfort. Durch das ebenfalls neu entwickelte Rahmenkonzept wirkt die Maschine insgesamt kompakter und in der Seitenansicht nicht mehr so zerklüftet wie ihre Vorgänger. Bei der Entwicklung des neuen Rahmens wurden erstmals zwei unterschiedliche Komponenten miteinander verbunden. Der Blechschalen Hauptrahmen, der in Teilen optisch einem Deltaboxrahmen der 1990er Jahre ähnelt, nimmt vorne den mittragenden Motor und das Frontend auf. Hinten wird er durch einen alles verdeckenden Aludruckgussrahmen ergänzt. Das spart Gewicht, senkt die Produktionskosten und wird manchen wegen der Geschlossenheit gefallen. Andere GSler werden wohl die sichtbare, optisch leichter wirkende Stahlgitterkonstruktion des Vorgängers am Heck vermissen. Mit 237 kg vollgetankt und einer Zuladung von 228 kg kommt die Neue auf das gleiche zulässige Gesamtgewicht wie die 1250er, ist aber insgesamt 12 kg leichter als das alte Modell.
Und leichter ist bekanntlich besser! Gerade auf den engen und zugleich kurvigen Strecken in meinem heimischen Odenwald, mit teils unsauberem Asphalt, spielt die neue GS ihre Stärken aus. Während man als Fahrer den breiten Lenker entspannt bewegt, rollt die Maschine unbeeindruckt über schlechten Belag und gleichzeitig präzise dorthin, wo man sie haben will. Das Wedeln macht dank ihrer Handlichkeit unsagbar viel Spaß. Und auch das satte Drehmoment des Motors hat hier ein Wörtchen mitzureden. Seine kräftige Mitte war auf der Testrunde einfach überzeugend und am Ende erzeugte es das gewisses „MEHR MEHR“ im Kopf.
Bei so viel Vortrieb sei auch noch erwähnt, dass die Bremsanlage der GS ebenfalls sehr gut funktioniert. Die Druckpunkte sind klar definiert und fangen auch nach mehrmaligem starkem Abbremsen bergab nicht zu wandern an. Zusammen mit dem ebenfalls optimierten ABS bietet das System ein hohes Maß an Sicherheit im Kopf und natürlich auch auf der Straße.

Fallert Achern Team

Zweifach verstellbare Scheibe, für 280 Euro gibt’s die Scheibe auch elektrisch und stufenlos verstellbar.

Fallert Achern Team

Der neue Motor mit bewährter Shift-Cam-Technik.

Optik? Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, oder doch? Nennen wir die Abkehr vom klassischen Frontgesicht, mit Karl Dall Blick, hin zur neuen Lichteinheit einfach mal eine provokant polarisierende Veränderung. Eine die gefällt, oder eben nicht. Auf jeden Fall entsteht in Verbindung mit dem steileren Schnabel und dem elektrisch höhenverstellbaren Windschild eine weniger zerstückelte Frontpartie, die zugleich seitlich betrachtet harmonischer in die Tank/Sitzbanklinie übergeht. Designtechnisch praktisch gelöst ist dabei der Übergang von der Sitzbank in den Tank. Man spart sich mit dem auf den Tank fortgeführten Sitzbankbezug ein Tankpad. Wie lange dieser Kunstlederbezug dort hält, wird die Praxis zeigen. Das nicht abschließbare Ablagefach vor dem Tankdeckel ist praktisch zum Unterbringen von kleineren Utensilien und hat einen USB-Anschluss zum Laden eines Smartphones. An der Frontpartie wandern die Blinker von der althergebrachten Position in die Handprotektoren. Wie das im Gelände und bei einem Sturz dann ausgeht wird BMW sicherlich ausgiebig getestet haben – in Internet-Foren ist es schon jetzt ein heiß diskutiertes Thema. Skeptiker bekommen die vorderen Blinker auf Wunsch auch an den klassischen Befestigungspunkten angebracht geliefert.
Auch am Heck wurde Hand angelegt und es regiert neben dem schon erwähnten, jeweils farblich abgestimmten, Aludruckgussrahmen schwarzer Kunststoff. Rücklicht und Blinker bilden am Nummernschildausleger eine Einheit, dazwischen gibt es einen dicken Kunststoffblock. Der wird es schwer machen am Heck der GS groß etwas zu verändern, denn so wie es aussieht, gehört er – wie sein großes schwarzes Gegenstück oberhalb des Scheinwerfers – zum Riding Assistent mit Active Cruise Control (ACC), zur Frontkollisionswarnung (Front Collision Warning FCW) und dem Spurwechselwarnungssystem (SWW), welche laut BMW für noch sicheres und komfortables Motorradfahren sorgen sollen. In Anbetracht dessen, dass gefühlt 2/3 der GS-Maschinen sowieso meistens im Vollkofferbetrieb gefahren werden, fällt das nackte Heck am Ende wohl gar nicht mehr weiter so auf.
Apropos Koffersystem: Vario Koffer und Vario Topcase mit integrierter USB-Lademöglichkeit und Beleuchtung sowie Einbindung in die Funk-Zentralverriegelung für maximalen Komfort sind hier die Neuerungen. Im Hinblick auf Technik und Funktionalität setzt das neue Vario-Gepäcksystem einmal mehr Maßstäbe (sagen die Verantwortlichen). Elektronische Geräte, wie Smartphone, Tablet oder Laptop können jetzt im Gepäckinnenraum des linken Vario-Koffers geladen werden. Dort befindet sich eine USB-A-Buchse, die das Laden über das Bordnetz mit einer Ladeleistung von bis zu 15 W ermöglicht. Ein weiterer USB-A-Anschluss befindet sich im Topcase. Zudem sorgt die integrierte Beleuchtung für bestmöglichen Komfort beim nächtlichen Be- oder Entladen. Durch die zweistufige Volumenverstellung der
Vario Koffer und des Vario Topcases wird insgesamt ein Fassungsvermögen von maximal rund 97 Liter erreicht. Das sollte für ausgedehnte Reisen reichen.

Fallert Achern Team

Auf der Straße oder Offroad – der Fahrspaß ist garantiert.

Fallert Achern Team

Das eine GS komfortabel ist, haben die Vorgängermodelle reichlich bewiesen und auch die Neue hat dieses Gen vererbt bekommen. Die beiden Sitzbankteile sind in der Komfortvariante beheizbar und lassen in Sachen Bequemlichkeit kaum Wünsche offen. Durch die Höhenverstellbarkeit des Sitzes und verschiedene lieferbare Polsterstärken ist die GS zudem großen wie kleineren Fahrern zugänglich. Das adaptiv höhenverstellbare Fahrwerk kommt als neues Feature gegen 500 € Aufpreis (nur zusammen mit dem Dynamik Paket) hinzu und spart so die von Werk aus tiefergelegten Varianten der GS.
Wie üblich wird all die Elektronik über die Lenkerenden bedient. Diese sind auch bei der R 1300 GS vollgepackt mit Schaltern, Bedienwippen und dem BMW typischen Drehrad. Auch wenn all die Funktionen mit der Zeit intuitiv ablaufen werden, bedarf es schon einer gewissen Einarbeitung, bis man wirklich alles herausgefunden hat. Bei der Testrunde war das alles leider so nicht möglich. Allerdings konnte ich neben den tollen Fahreigenschaften feststellen, dass die Frontscheibe den Windstrom sehr gut an meiner Helmabrisskante vorbeigeführt hat und das sogar bei 160 – 170 km/h auf der Autobahn. Die Spiegel mit ihrem aufleuchtenden orangenen Dreieck warnen frühzeitig beim Spurwechsel und auf dem 6,5 Zoll Display hat man stets den Überblick über die Funktionen der Maschine.
Den Benzinverbraucht nach WMTC gibt BMW mit 4,8 Liter je 100 km an. Nach oben und unten ist da bekanntlich immer Luft. Die Wartungsintervalle liegen bei 10.000 km. Neu hinzu kommt laut Wartungsplan allerdings der Tausch der Kardanwelle im Zuge der 80.000er Inspektion. Wie die Zeitschrift MOTORRAD Ende Oktober berichtete, sollen auch bei den R-Modellen mit wassergekühltem Boxer-Motor ab Bj. 2013 die Wellen sicherheitshalber jetzt bei 60.000 km getauscht werden.
Die neue Dreizehnhunderter GS gibt es in vier Modellvarianten. Die Variante Lightwhite uni gibt es ohne Aufpreis. Die Stylevariante Triple Black kostet 805 Euro Aufpreis und die Stylevariante GS Trophy im klassischen blau-weiß-rot-Mix 830 Euro zusätzlich. Die Trophy steht auf Kreuzspeichenrädern, die, wenn man das will, auch für 500 Euro mit Enduroschmiederädern ausgestattet werden kann. Ein GS-Farbnovum bei BMW ist die Style Variante Option 719 Tramuntana in Aurelius green metallic. Diese Variante kostet 2.740 Euro mehr, dabei ist allerdings unter anderem ein edles Frästeile-Paket.

Fallert Achern Team

Die vier Modellvarianten von links nach rechts auf einen Blick: Die Pure in Lightwhite uni, die Option 719 Tramuntana in Aurelius green metallic, die Triple Black in Blackstorm metallic und die Trophy in Racingblue metallic.

Fazit

Die neue BMW R 1300 GS polarisiert und das soll sie auch. Manchmal muss man Altes zerstören, um Neues zu schaffen (wir erinnern uns z.B. an den Sprung von der 2- zur 4-Ventiler GS). Wäre das nicht so, gäbe es wohl längst keine GS und evtl. sogar BMW-Motorrad nicht mehr. Die neue Optik tut dem Fahrspaß keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Der neue Motor ist eine echte Wuchtbrumme. Fahrwerk und Bremsen lassen keinerlei Wünsche offen, ebenso wenig wie die Reisetauglichkeit. Der Grundpreis von 19.100 Euro ist angesichts der Ausstattung und mit Blick auf die Mitbewerber fair.
Bleibt die Frage, ob ich als R 1250 GS Besitzer tauschen und mir stattdessen eine 1300er in die Garage stellen soll? Nun, das hängt natürlich davon ab, was der Geldbeutel hergibt und inwieweit ich mich mit dem neuen Outfit der Maschine identifizieren kann. Eins ist klar: einen Rückschritt in Sachen Technik mache ich mit der Neuen nicht. Fahrt sie am besten selbst mal Probe.

Text: Torsten Thimm • Fotos: BMW