Eine Klasse für sich.
2021, Corona ist noch immer in unser aller Munde und stellt auch die Motorradindustrie vor ganz neue Aufgaben. Eine davon ist zum Beispiel die Organisation von Presseevents für die neuen Modelle. Aus diesem Grund treffen wir die Verantwortlichen von Suzuki auch nicht im warmen Süden Spaniens, sondern praktischerweise direkt vor der Haustür im heimischen Bensheim. Eine unserer Ansicht nach sehr gute Wahl. Denn der vor uns liegende Odenwald bietet all die Streckenprofile, welche die neue GSX-S1000 in unseren Breiten können sollte, um fahrtechnisch bei der Kundschaft und gegen die Mitbewerber zu bestehen.
Die GSX-S1000
Bei der der Ankunft im Hotel stehen die „Probanden“ schon abfahrbereit vor der Eingangstür und lassen bereits im Stand jede Menge Fahrspaß erahnen. Das neue, nun erheblich kantigere Design ist dabei eine klare Abkehr von den runden Formen der Vorgängerin und drückt zugleich einen neuen Zeitgeist bei Suzuki aus. Man traut sich endlich wieder etwas, die Designs werden schärfer, kantiger und ganz bewusst jünger. Dabei wirkt die Front trotz der kleinen Lampenmaske mit ihren drei übereinander angeordneten LED-Leuchten massiv. Zwei davon sind ultrahelle Mono Fokus Typen für Fahr- und Aufblendlicht, die oberste fungiert als Standlicht. Die Helligkeit ist sensationell und erhöht dadurch zugleich die passive Sicherheit auf der Straße. Doch gehen wir noch einmal einen Schritt zurück und werfen unseren Blick auf die massige Front. Die in Gold eloxierte, voll einstellbare 43er Kayaba USD-Gabel ist neben der Maske ein weiterer Blickfang. Denn ihre dicken Standrohre lugen rechts und links an der Lampenmaske vorbei und füllen dabei den Bereich um den Lenkkopf nahezu voll aus, bevor die kantige und mit Winglets bestückte Frontverkleidung in den Mittelpunkt rückt. Seitlich betrachtet zieht sich dadurch eine markante Designlinie bis hoch zum Tank. Wobei die seitlichen angebrachten Kühlerverkleidungen wie ein nach unten gerichtetes Katana-Schwert wirken. Der Tank hat mit jetzt 19 Litern Fassungsvermögen zwei Liter mehr als bei der alten GSX-S und bietet selbst groß gewachsenen Fahrern genug Beinfreiheit an seinen Flanken. Der Kniewinkel passt ebenfalls und die 5,3 Liter auf 100 Kilometer, die Suzuki als Verbrauch angibt, kommen der Verbrauchsanzeige im Cockpit bei unserer Testrunde sehr nahe (5,5 Liter). Vorbei sind endlich auch die Zeiten von langweiligen Kunststoffoberflächen, eintönig schwarzen Motorgehäusedeckeln und schnöde verlegten Schläuchen und Leitungen. In diesen Bereichen sieht der Betrachter nun haptisch und zugleich optisch wertige Kunststoffe, sowie Camouflage-Oberflächen mit Suzuki Schriftzug. Dafür gibt es einen dicken Daumen nach oben! Genauso aufgeräumt geht es auch über den neu gestalteten und zugleich sehr bequemen Fahrersitz weiter zum Heck. Hier geht Suzuki den Trend der anderen Hersteller ganz bewusst nicht mit und platziert das Nummernschild dort, wo es hingehört, nämlich „oben“. Sicherlich gibt es auch hier noch Spielraum für Individualisierung, die Zusammenstellung mit den schicken LED-Blinkern passt aber optisch grundsätzlich schon einmal sehr gut. Doch auch wenn sich das Heck zum rundlich wirkenden Heck der Vorgängerin sichtbar unterscheidet, hätten wir uns ähnlich wie an der Frontpartie noch etwas mehr Mut im Design gewünscht.
Fallert Achern Team

Vorne wie hinten alles modernste LED-Technik.

Fallert Achern Team

Kompakter Vorbau mit breitem und weiter nach hinten gezogenem Lenker.

Herzstück Motor – Never touch a running System
Kurzgesagt, der Motor ist eine Wucht, wenn auch vom Kurbelgehäuse her noch immer der alte K5 Langhuber aus der seligen GSX-R. Allerdings blieb auch hier im inneren nichts beim Alten, denn er wurde über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelt. In der jüngsten Variante merkt man daher schon auf den ersten Metern seine bisher einzigartige Performance über das komplette Drehzahlband. Mit satten 152 PS bei 11.000 Umdrehungen hat er, im Vergleich zur Vorgängerin zwei PS mehr Leistung und bietet mit 106 Nm bei 9.250 Umdrehungen ordentlich Vortrieb für alle Lebenslagen. Der Vortrieb wird Euro- 5-Konform ziemlich aggressiv vom überarbeiteten Ansaug- und Abgastrakt klanglich untermalt; womit man sich vor vergleichbaren Modellen der Mitbewerber nicht verstecken muss (96 dB Standgeräuch). Und wo wir schon einmal von Mitbewerbern reden, vom Datenblatt her liegt die neue GSX S-1000 in der Topklasse der Hyper-Nakeds, sowohl mit ihrer Ausstattung wie auch mit ihrer Leistung am unteren Ende. Doch zugleich liegt sie damit auch eindeutig über den Mittelkasse-Nakeds der anderen Hersteller. Bewusst oder unbewusst eröffnet Hamamatsu mit diesem Schachzug eine neue Klasse zwischen den Klassen und platziert die GSX S-1000 ganz einfach frech dazwischen. Ob sich das auszahlt, wird man sehen, jedoch sprechen Preis und Leistung neben dem eigenständigen Design klar dafür.
Serienmäßige Ausstattung
Nicht nur das äußere Kleid wurde überarbeitet. Neu ist auch die Traktionskontrolle STCS (Suzuki Traction Control System), die nun fünffach verstellbar und bei Bedarf abschaltbar ist. Außerdem ist jetzt der SDMS genannte (Suzuki Drive Mode Selector) mit an Bord, der es dem Fahrer erlaubt aus drei Motor Mappings auswählen zu können. Wobei keiner der Modis die vollen 152 PS Leistung kappt. Die Leistungsentfaltung wird bei jedem Step von A nach B nach C einfach deutlich sanfter, was technisch gesehen erst mit dem Neuen 100 % elektronisch arbeitenden Ride-by-Wire-System möglich war. Ergänzt werden die Features mit dem bereits bekannten Easy-Start-System (den Startknopf antippen reicht, um die Maschine zu starten) und dem ebenfalls bekannten Low RPM Assistent, der die Leerlaufdrehzahl anhebt, wenn man die Kupplung kommen lässt. Zur weiteren Unterstützung sorgt der Suzuki-Clutch-Assistent spürbar für eine verringerte Handkraft am – leider nicht einstellbaren Kupplungshebel – sowie für eine weniger starke Motorbremse beim Runterschalten. Das funktioniert ausgezeichnet, ebenso wie der serienmäßig montierte und abschaltbare Schaltassistent mit Blipperfunktion. Er arbeitet auch bei niedrigen Drehzahlen in beide Richtungen perfekt. „Respekt hierfür“.
Ergonomie und Cockpit
Durch das Zusammenspiel des neu gestalteten Fahrersitzes, mit dem breiteren und weiter nach hinten gezogenen Lenker ist die gesamte Sitzpostition entspannter. Die Lenkerarmaturen sind übersichtlich angeordnet und außerdem leicht zu erreichen. Einzig die Position des Fernlichtschalters ist unserer Meinung nach überdenkenswert. Warum? Wenn man nicht aufpasst, betätigt man das Teil unbewusst beim Kuppeln mit dem Handschuh und das nervt auf Dauer etwas. Dafür ist die Schaltwippe an der linken Armatur, die das LCD-Cockpit bedient selbsterklärend und funktional. Das LCD bietet im Grunde alle nötigen Funktionen, kann aber leider in Sachen Ablesbarkeit (gerade auch im Regen) und mit dem modernen Design der Maschine nicht mithalten. Soll heißen, ein schönes gestaltetes TFT-Farbdisplay hätte der GSX-S1000 einfach besser gestanden.
Fallert Achern Team

Die radialen Brembos im Bug sorgen für gute Verzögerung.

Fallert Achern Team

Am Heck ist eine stabile Aluschwingen verbaut.

Fallert Achern Team

Der Fahrer sitzt gut und bequem, der Sozius muss Nehmerqualitäten haben.

Rahmen und Fahrwerk
Beide Bauteile und ihre einzelnen Komponenten können in Sachen Perfomance locker mit dem Motor mithalten. Der Alurahmen baut kompakt und ist steif, was die Agilität der Maschine fördert. Der neue Heckrahmen ergänzt ihn hierbei ebenso, wie die stabile Aluschwinge am Heck. In Verbindung mit der oben schon genannten USD-Gabel und dem ebenfalls voll einstellbaren Mono-Federbein, ergibt sich so ein Gesamtkonzept, dass für jedes Gusto eine adäquate Lösung bereit hält. Wir waren bei unserer Testtour mit dem Standardsetup unterwegs und das bot einen sehr guten Kompromiss für die gewählten Strecken. Denn selbst bei pickeligem Asphalt, den nachmittags (sehr) nassen Straßen und in den engen Kurven des Odenwaldes performte die „Gixxe“ superb. Dementsprechend gut ist auch die Brembo-Monoblock-Anlage mit 310er-Doppelscheibe und einem gut regelnden ABS-System ausgelegt. Sie verzögert kontrolliert mit geringer Handkraft, sodass selbst unerfahrene Fahrer keine Angst haben müssen, sie könne zu aggressiv zubeißen.
Fahrerlebnis und Fazit
Suzuki hat mit der neuen GSX-S1000 ein markantes und eigenständiges Bike auf den Markt gebracht, dass sich von der Masse und den Klassen abhebt … „gut so“. Das gefällt natürlich nicht jedem, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Man spürte bei den Gesprächen mit den Verantwortlichen und während der Tour jedoch deutlich den Aufwind, bei den Menschen der Marke. Und gerade diese positive Stimmung ist für die Zukunft von Suzuki ein gutes Zeichen. An der neuen GSX-S1000 gefiel uns neben der radikalen Optik, vor allem auch die Performance von Motor und Fahrwerk sehr gut. Auch die Bequemlichkeit auf dem Sitz in 810 mm Höhe und das Abfahrgewicht von 214 kg gehen in Ordnung. Daher ist das Gesamtpaket bis auf kleine Abstriche, für die aufgerufenen 12.900 Euro plus Nebenkosten absolut stimmig. Bei unserer Testtour hatten wir, außer den schönen Strecken im Odenwald, auch alle möglichen Fahrzustände inklusive dickem Dauerregen am Nachmittag. Somit also beste Testbedingungen in einem Gebiet das für die „Suzi“ wie gemacht ist.
Die GSX-S1000 GT
Der Pitch mit der GSX-S1000 ist noch nicht lange vorbei, als erneut eine Nachricht in unserm Mailpostfach von Suzuki erscheint. Dieses Mal mit einem Treffpunkt in Heidelberg und einem Bike, das bis dahin streng geheim zu halten ist. Die Überraschung glückt, denn als sich der Vorhang über den beiden Maschinen im Hotelsaal hebt, sind einige sehr überrascht. Angelehnt an die Optik der nackten Variante zeigt Suzuki den neuen Sporttourer GSX-S1000GT. Dieser kommt ebenfalls höchst kantig und mit aggressivem Charm daher. Die Scheinwerfer sitzen allerdings neben und nicht übereinander. Die Verkleidung ist extrem Windkanal-optimiert und sogar Flaps wie bei der Moto GP sind strömungsoptimierend integriert. Das Fahrwerk ist natürlich voll einstellbar, unterscheidet sich aber gegenüber der Nackten durch den verstärkten Heckrahmen. Der trägt das Gewicht des aufpreispflichtigen Koffersystems (mit Gleichschließung) und das eines möglichen Beifahrers. Dabei wiesen uns die Verantwortlichen darauf hin, dass alle Teile an der GT, die der Fahrer oder Beifahrer in irgendeiner Form berührt durch Gummilagerungen vibrationsfrei entkoppelt sind, um höchsten Fahrkomfort zu gewährleisten. Eine weitere Neuerung betrifft das 6,5 Zoll TFT-Farbdisplay, welches anders als das einfache LCD Cockpit der nackten GSX volle Konnektivität bietet. Die dafür notwendig MySpin-App ist in den jeweiligen App-Stores für Apple und Android herunterzuladen. On-Board- Navigation und vieles mehr wird damit möglich. Damit und mit der restlichen umfangreichen Gesamtausstattung macht Suzuki die GSX-S1000GT genau zu dem Grand-Tourer, der mit seinem 19 Liter fassenden Tank, seiner modernen LED-Lichttechnik und nicht zuletzt auch durch seinen fulminanten Motor ein neues Zeichen setzt. Und natürlich sind auch alle elektronischen Helferlein der GSX-S1000 mit an Bord. Die GT ist ab 15.250 Euro zuzüglich  Überführungskosten zu bekommen. Ohne Koffer liegt der Preis bei 14.450 Euro, was aber in Anbetracht der Größe der Koffer und der dazugehörenden Montageteile, die man nachkaufen müsste, um sie später zu montieren, nicht wirklich Sinn macht. Neben so vielen positiven Punkten an der Maschine hatten wir eigentlich nur drei Punkte, die uns nicht ganz so gut gefielen.
Fallert Achern Team

Auch bei der GT ist vorne wie hinten alles LED-Technik. Der bmm-Redaktion gefällt das Heck der GT allerdings besser.

1. Leider ist es aufgrund des Auspuffdesigns nicht möglich ein Hauptständer zu montieren.
2. Das Windschild ist nicht höhenverstellbar, aber laut Suzuki sehr gut hinterlüftet. Das werden die Testfahrten zeigen.
3. Es gibt für einen Sporttourer etwas ungewöhnlich kein lieferbares Topcase vom Hersteller, obschon der Heckrahmen es zulässt.
Alles in allem passt aber das Konzept und wird somit ein sehr starker Gegner im bisher noch überschaubaren Sporttouring Markt werden.
Zu guter Letzt: Zubehör
Und vergesst nicht jedes Bike lässt sich mittlerweile individualisieren. Suzuki bietet hierfür sehr wertige bei Gilles Tooling gefertigte Bauteile, Taschen von SW-Motech und vieles mehr an, was die GSX-S1000 und auch die GT zu einem – ja, Deinem – ganz persönlichen Bike werden lässt.
In diesem Sinne, Suzuki ist mit neuem Elan zurück, auch wenn man nie wirklich weg war und das ist gut so. Die nackte 1000er steht bei Euren Suzukihändlern zur Probefahrt bereit ; die GT soll ab Dezember in den Showrooms stehen.
Text: Torsten Thimm; Fotos: Suzuki

Über den AUTOR

TORSTEN THIMM

Freier Mitarbeiter.
Betreibt einen Motorrad-Blog, in dem er von ihm getestete Motorräder, Zubehör und Bekleidung vorstellt.

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