Blauer und Weißer Rauch über dem Wutachtal
Für technikbegeisterte Biker hätte ich einen echten Doppelgeheimtipp: Technik von Vorgestern und Technik von Gestern an einem Ort – in der „Black Forest Town“ BLUMBERG. Beginnen wir mit Vorgestern. Im Krieg 1870/71 hatte es sich gezeigt, dass der schnelle Transport von Truppen und Kanonen mit der Eisenbahn kriegsentscheidend war. Also beschloss die kaiserliche Militärführung eine „Strategische Bahn“, eine Verbindung vom Rheintal in das Donautal bauen zu lassen. Das erste Teilstück von Lauchringen nach Weizen war schnell und einfach realisiert. In fast gerade Linie folgten die Bahngleise dem Flusslauf der Wutach. Dann jedoch wurde es schwierig. Sehr schwierig sogar! Da die Oberste Heeresleitung forderte, auch die allerschwersten Geschütze auf dieser Strecke transportieren zu können, durfte die gesamte Strecke nirgends mehr als 1 % Steigung aufweisen. Mehr schafften auch die allerstärksten Dampflokomotiven jener einfach Zeit nicht. Der von Weizen aus zu erreichende Zielbahnhof Blumberg war zwar – Luftlinie nur 9 km weit entfernt, lag aber gut 230 Meter höher. Die Ingenieure mussten also den Schienenstrang durch viele Schleifen und Talquerungen gehörig in die Länge ziehen, was unzählige spektakuläre Kunstbauten wie Brücken ,Tunnel und Viadukte erforderte. Normalerweise baut man einen Tunnel ja nur wenn es gilt einen „Im Weg stehenden“ Berg zu queren.

Hier jedoch wurde, allein um Höhe zu gewinnen, der einzige Kehrtunnel Deutschlands gebaut. In einem perfekten Kreisbogen mit 700 Meter Durchmesser und fast 2 Kilometer Länge schraubt sich die „Kanonenbahn“ in der Stockhalde in die Höhe. Außerdem verlangte das Militär alle acht Kilometer einen Bahnhof mit sehr langen Ausweichgeleisen zu bauen, um einen reibungslosen Begegnungsverkehr abwickeln zu können. Dies sollte jedoch nur eine kurzfristige Zwischenlösung sein. Alsbald – dies war bereits fest beschlossen – sollte die gesamte Strecke zweigleisig ausgebaut werden. Zu diesem Zweck wurden die umfangreichen Brücken, Tunnel, Viadukte und kilometerlang aufgeschütteten Bahndämme von Anfang an doppelt breit gebaut! Obwohl die gesamten Baumaßnahmen damit quasi doppelt so aufwändig wurden, wurde der Bau in Rekordzeit realisiert. Heutzutage schier unvorstellbar, dass dieses gewaltige Projekt in nur DREI Jahren verwirklicht wurde! Man muss sich ja immer vor Augen halten, dass dies alles auch die gewaltigen Erdbewegungen für kilometerlange Dämme praktisch dies alles mit reiner Muskelkraft, Manpower realisiert werden musste. Es gab ja 1890 als die Strecke für den allgemeinen Zugverkehr freigegeben wurde, weder Bagger, LKW, oder Planierraupen! Bei ähnlichen Großprojekten lassen wir uns in Deutschland heutzutage wesentlich mehr Zeit, obwohl den Baufirmen inzwischen doch einiges an technischen Fortschritt das Leben erleichtert. Diese inzwischen ganz offiziell zum „Historischen Wahrzeichen der Ingenieursbaukunst in Deutschland“ geadelte Bahnstrecke hieß und heißt bis heute im Volksmund, wesentlich bescheidener, einfach „Sauschwänzlebahn“. Sie windet und dreht sich nämlich wie das Ringelschwänzchen einer Sau! Man kann sie in den Sommermonaten bei einer spektakulären Fahrt im historischen Dampfzug der Museumsbahn „erfahren“, was ein äußerst empfehlenswertes Erlebnis ist! Hochinteressant ist auch das angeschlossene Bahnmuseum beim Bahnhof Blumberg. Gerade als ich dort bei dessen Wahrzeichen, dem historischen Reiterstellwerk angekommen stilvoll zur Begrüßung einige wohlduftende blaue Rauch Grüße meines Hercules Mopeds aussende, verlässt der Museumszug unter heftigem Schnaufen, Keuchen und Prusten, dicke weiße Rauch- und Dampfwolken ausstoßend, den Bahnhof. Von dort aus kann ich ein zweites hochinteressantes Museum bereits sehen. Es ist, vollgestopft mit Technik von Gestern, die „Moped, Technikwelt Blumberg.“ Nach langem Corona Lockdown ist heute am 3. Juli endlich die langersehnte Wiedereröffnung möglich, was mit einem zünftigen Museumsfest verbunden wurde. Herzstück der Sammlung sind natürlich die ca. 200 Mopeds. Dort entdeckt man von Achilles bis Zündapp einen sehenswerten Querschnitt durch die Moped Herrlichkeit von einst. Unglaublich wie viele verschiedene Hersteller es in der Wirtschaftswunderzeit einst gab! Aber nicht nur Mopeds kann man bewundern, sondern auch Gebrauchsgüter welche die Nachkriegsjahre prägten: Radios, Näh- und Schreibmaschinen bis hin zu Kochgeräten und Bügeleisen werden präsentiert. Vielleicht ist auch manch Museumsbesucher, der seine neue Hi-Tech-Küche nur mit den hochpreisigsten Miele-Geräten „equipped“ hat sehr erstaunt, dass man in Gütersloh einst nicht nur Fahrräder und Mopeds sondern auch – isn‘t it shocking, quasi nach Kuhmist riechende Miele Melkmaschinen baute.
Text und Fotos: Dr. Werner Stoll
Über den AUTOR

Dr. Werner Stoll
Schreibt über regionale Themen mit historischem Touch und besucht gerne besondere Museen.
Fährt selbst Klassiker- und Oldtimermotorräder.