Auch 2020 bin ich wieder der Faszination extrem leistungsstarker Motorräder erlegen. Da waren die für ein Naked Bike brutalen 208 PS der Ducati Streetfighter, die gewaltigen 190 Newtonmeter Drehmoment der ZERO SR/S und einen neuen Rekord gab es mit der Fahrt auf einer 234 PS starken Rennstrecken-Panigale auch. So stark, so spektakulär. In Sachen Fahrspaß war die immense Leistung aber nicht immer gerade ein Nutzenmaximierer. Im Gegenteil. So sind die 208 PS der Streetfighter zwar aufregend, aber auch stressig. Das liegt aber nicht etwa an ehrfurchterregender oder gar unkontrollierbarer Leistungsentfaltung. Die ist dank der Fülle an Assistenzsystemen kein Problem. Aber man kann die Leistung nicht nutzen. Viel zu schnell bewegt man sich in Bereichen, die weit jenseits der StVO liegen, hat dabei den Gasgriff aber kaum gedreht und den Schaltfuß nur einmal betätigt. Das verhält sich in der neuen Mitte anders. Motorräder wie Yamahas MT-09 SP oder die Triumph Street Triple RS sind zwar nur die kleinen Geschwister weitaus potenterer Big-Bikes, stehen aber mit ihren edlen Komponenten in Punkto Ausstattung der ersten Garde in nichts nach. Sie erlauben es aber viel mehr, das Material auszuquetschen und generieren so enorm viel Fahrspaß. Auch KTM hat seit 2020 ein Edel-Modell in der Mittelklasse – oder besser Leistungsmittelklasse – im Programm und versucht mit der 890 Duke R die große Lücke zwischen der 790 und der 1290 Superduke zu schließen.
Aufgebohrt
Als im Jahr 2017 ihre Vorgängerin, die 790 Duke, das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, schürte die Kommunikation große Hoffnungen. Vom „Skalpell“ war da die Rede und die Bilder und Videos ließen eine ultrapräzise und biestige Fahrmaschine erwarten. Ist man von Marketing-Abteilungen ja vollmundige Versprechungen gewöhnt, blieb in diesem Fall die Realität doch deutlicher als sonst hinter den geweckten Erwartungen zurück. Der 799 Kubikzentimeter große Reihenzweizylinder hätte etwas mehr Schmackes vertragen können, die Sitzposition sportlicher und die Komponenten hochwertiger ausfallen dürfen. Von der Farbwahl einmal abgesehen gleicht die 890 der Vorgängerin auf den ersten Blick zwar wie ein Ei dem anderen, unter den knappen Verkleidungsteilen blieb technisch aber kaum ein Stein auf dem anderen. Wie die Modellbezeichnung direkt verrät, spendierte man der 2020er Duke R mehr Hubraum. Im Gegensatz zur älteren Schwester, die trotz 799 Kubikzentimeter beim Namen eher Understatement übt, sorgen nun eine größere Bohrung und mehr Hub dafür, dass bei der 890 auch tatsächlich drin steckt, was drauf steht. Aber nicht nur am Brennraum wurde nachgearbeitet. Darüber hinaus besitzt die 890 leichtere Kolben, einen neuen Zylinderkopf inklusiv schärferer Nockenwelle mit mehr Hub und jeweils um einen Millimeter größere Ein- und Auslassventile. Zusätzlich wurde die Verdichtung auf 13,5:1 erhöht. Laut KTM hat die 890 dank dieser Änderungen mit 121 PS nicht nur 15 Ponys mehr im Stall als ihr Zwilling, sondern drückt nun auch stolze 99 Newtonmeter Drehmoment in den Asphalt. Und die neue Duke soll jetzt auch in Sachen Manieren ihrem Adelstitel gerecht werden. Hierfür bekam die 890er nicht nur eine neue Kurbelwelle mit 20 Prozent mehr rotierender Masse, um die Motorcharakteristik zu verbessern, man pflanzte ihr zusätzlich auch noch eine Ausgleichswelle ein. Für besseres und vor allem schnelleres Ansprechverhalten wurde der Ansaugtrakt verkürzt, die Drosselklappenkörper überarbeitet und die Einspritzung erhielt neue Sensoren.
Für das beachtliche Leistungsplus wurde nicht nur der Hubraum vergrößert, sondern der ganze Motor weitreichend überarbeitet.
Eigenwillig: Beim Design der Schwinge geht KTM schon lange eigene Wege und auch die Reifenwahl fällt mit dem kompromisslosen Michelin Power Cup 2 aus der Reihe.
Angepasst
Von all den Änderungen an den Innereien merkt man beim ersten Sitzkontakt noch nichts, wohl aber von der überarbeiteten Ergonomie. Um der Duke R die sportliche Note zu verpassen, die man eigentlich schon nach der Ankündigung der 790 erwartet hatte, wurden alle Kontaktpunkte zwischen Fahrer und Motorrad angepasst. Man wird auf der Duke R jetzt nicht nur 15 Millimeter höher, sondern durch den niedrigeren und weiter vorne positionierten Lenker auch deutlich Vorderrad-orientierter platziert. In Kombination mit den ebenfalls höher und weiter vorne angeschlagenen Fußrasten entsteht eine Sitzposition, die schon im Stand Fahrspaß pur verspricht. Höchste Zeit also, die Duke zum Leben zu erwecken. Mit dem Drücken das Startknöpfchens gehen dann zwangsläufig auch schon das erste Mal die Mundwinkel nach oben. Denn der Reihenzweizylinder der Duke erwacht nicht nur spielend leicht zum Leben, sondern überzeugt auch schon im Standgas mit frechem aber nicht zu aufdringlichem Sound. Das macht direkt Lust auf mehr. Schnell die erste Fahrstufe einlegen und ab Richtung Hausstrecke. Doch bereits auf den ersten Metern durch den Stadtverkehr folgt die nächste, sehr angenehme Überraschung. Die kleine R erweist sich nämlich direkt als vertrauenserweckender Wirbelwind. Die Sitzposition ist trotz der sportlicheren Ausrichtung im Vergleich zur 790 noch aufrecht genug für den vollen Überblick, fällt aber so direkt und agil aus, dass man jede noch so kleine Lücke nutzen möchte, um im Ampelstau nach vorne zu wuseln. Fast hat man hier das Gefühl, man könne wie mit einem 50er Roller auch den wenigen Platz zwischen den Autos in der Schlange nutzen, um einfach die Seite zu wechseln. Zwar ist die 890er mit 166 Kilogramm Leergewicht gut drei Kilogramm leichter als ihre kleine Schwester, das Rushhour-taugliche Fahrverhalten liegt aber sicher fast zu hundert Prozent an der hervorragenden Ergonomie. Vom erstarkten Aggregat spürt man hier noch nicht so viel, wohl aber von seinem ruhigeren Charakter. Die Gasannahme ist auch im untertourigen Bereich direkt aber sanft, es gibt keine auffälligen oder gar unangenehmen Vibrationen.
Abgehoben
Dass sie aber hauptsächlich für den engagierten Landstraßenritt und nicht für den Stadtverkehr gemacht wurde, beweist die Duke umgehend nach dem passieren des Ortsschilds. Bevor es ans Eingemachte geht, wird aber noch schnell die Elektronik nachjustiert. Dabei fällt direkt die gute Ablesbarkeit des TFT-Farbdisplays auf, vor allem aber die einfache und intuitive Menüführung des KTM-Bordcomputers. Zum einen lässt sich über die Schaltereinheit am linken Lenkerende spielend durch die Optionen springen, zum anderen ist die Menüführung so simpel, dass man sich den Blick ins Handbuch getrost sparen kann. Und das, obwohl die 890 in Sachen Ausstattung einem R-Modell mehr als würdig ist. Standardmäßig mit den drei Fahrmodi Rain, Street und Sport sowie einem kurvenfähigen ABS und Traktionskontrolle ausgestattet, die dank neuer Sensorik nicht nur perfekten Vortrieb, sondern sogar Drifts erlauben soll, besitzt das Pressebike auch die optionale Motorschleppmomentregelung (MSR) und den Fahrmodus „Track“, der ebenfalls nur gegen Aufpreis erhältlich ist. Während die MSR die Antihopping-Kupplung unterstützt und beim Herunterschalten bei schlechten Gripverhältnissen ein Blockieren des Hinterrades verhindert, bringt der Track-Modus eine Launch-Control und zusätzliche Einstellmöglichkeiten mit. So lässt sich hier eine noch sensiblere Gasannahme wählen, die Wheelie-Control komplett abschalten und der mögliche Hinterradschlupf in neuen Stufen einstellen. Zeit, auf „scharf“ zu stellen. Schon auf den ersten Metern beweist die Duke im Track-Modus, was für ein Potential im Motor steckt. Ist die Leistungsabgabe im Fahrmodus Street als handzahm zu bezeichnen, legt die 890 jetzt richtig los und springt beim beherzteren Drehen am elektronischen Gasgriff direkt aufs Hinterrad. Hui, was für ein Spaß! Damit die Reise auch ordentlich vorwärts und nicht nur nach oben geht, schnell die nächste Fahrstufe eingelegt. Das geht dank Schaltassistent sogar ohne Kupplung und ohne Unterbrechung des Vortriebs. So kann man bis zum Bremspunkt spielend durch die Gänge steppen und einfach die Kraftentwicklung und vor allem den Sound der Duke genießen. Ist es dann an der Zeit, Bewegungsenergie in Wärme zu verwandeln und den Richtungswechsel einzuleiten, ist der Spaß aber nicht vorbei. Im Gegenteil. War die Bremsanlage der 790 eher als durchschnittlich zu bezeichnen, werkelt an der 890 R feinstes Brembo-Material. Highlight sind hier sicher die neuen Stylema Bremssättel, die sich bei Bedarf mit äußerstem Nachdruck in 320er Scheiben verbeißen und Ross und Reiter mit brutaler Vehemenz verzögern. Wer sich beim Kauf auch noch für den optional erhältlichen Blipper entschieden hat, kann auch in der Verzögerungsphase ohne Kupplungsunterstützung durchs Getriebe skippen. Aber auch ohne Blipper erfolgt das Zurückschalten dank neuer Kupplungsfedern und kürzerer Schaltwege einfach, schnell und präzise. Einfach, schnell und präzise – damit lassen sich auch Handling und Fahrverhalten der Duke beschreiben. Minimalster Körpereinsatz reicht und die Duke verlässt die Mittellage und fällt spielerisch in Richtung Kurveninnenseite. Einmal auf der angepeilten Linie angekommen, zieht sie für so ein leichtes Motorrad überraschend stabil ihre Bahn, die auf Wunsch auch kinderleicht über die breite Lenkstange nachjustiert werden kann. Richtungswechsel gehen ebenfalls spielerisch von der Hand.
Das Gesicht ist unverwechselbar Duke.
Feine Sache: Das Heck der Duke ist zwar kurz, dank der Verbreiterung am Kennzeichenhalter gibt es doch Spritzschutz für den Soziusplatz.
Der Bordcomputer der Duke weiß zu überzeugen. Schlicht, informativ, gut ablesbar und leicht zu bedienen. So soll das sein.
Das Design des Tanks ist gewöhnungsbedürftig, der Knieschluss aber sehr gelungen.
Die Federelemente der APEX Serie stammen aus dem Hause WP, der Fahrwerkstochter von KTM.
Die APEX sind sowohl an der Gabel als auch am Federbein volleinstellbar.
Ausgefeilt
So führt die Kombination aus potentem Motor, forderndem Sound, angriffslustiger Sitzposition und superben Handling dazu, dass man doch die ein oder andere Ecke engagierter nimmt, als man eigentlich dürfte und dass man sich wünscht, die Straße würde zur Rennstrecke. Das Gesamtpaket würde passen und auch das Fahrwerk sollte mit dem Rundkurs problemlos zurechtkommen. Die APEX Gabel sowie das Federbein der gleichen Serie stammen vom KTM-hausinternen Fahrwerkshersteller WP und beide Elemente sind voll einstellbar. Dass das Fahrwerk auch für den Einsatz auf dem Rundkurs gedacht ist, verraten hier zwei Details. Am Federbein lässt sich die Dämpfung nicht nur einstellen, sondern sogar in den Bereichen für High- und Low-Speed justieren. An der Gabel gibt es ab Werk einen roten Ring als Federwegmarkierung. Hilfsmittel, die man eigentlich nur bei ganz harter Gangart auf der Rennstrecke braucht. Dabei ist die 890 Duke R aber alles andere als radikal auf Racing geeicht. Das Fahrwerk ist zwar straff, macht aber auch auf schlechtem Geläuf einen guten Job und auch die optische Ausrichtung mit fehlenden Soziusrasten und ohne zweites Sitzkissen suggerieren nur auf den ersten Blick Kompromisslosigkeit. Beides gibt es beim Kauf direkt mit dazu und ist ruckzuck montiert beziehungsweise getauscht. Wie viel Alltagstauglichkeit tatsächlich in der 890 steckt, zeigt ein weiteres, ausgefeiltes Detail. Wie bei vielen anderen Modellen mit kurzem Heck, setzt die auch die Duke auf einen schlanken, aber ausladend langen Kennzeichenhalter. Damit bei nassen Straßen die Sitzbank oder gar die Begleitung nicht durch Spritzwasser und Dreck vom Hinterrad verziert werden, besitzt der Kennzeichenhalter der Duke eine Schmutzfänger-artige Verbreiterung, die auch noch einigermaßen ansehnlich designt ist. Apropos nasse und vor allem kalte Straßen: an einem Punkt hätte die 890 R doch einen Tick weniger sportlich ausfallen können – bei der Bereifung. Der ab Werk montiert Michelin Power Cup 2 sieht nicht nur aus wie ein Rennreifen, er hat auch deren Eigenschaften. Bei der Testphase im November herrschten der Jahreszeit entsprechende Bedingungen und bei Temperaturen von maximal 10 bis 15 Grad bringt man den Cup 2 bei einigermaßen StVO-konformer Fahrweise kaum noch auf Arbeitstemperatur. Über das Thema Nassgrip braucht man bei dieser Ausrichtung und diesem Negativprofilanteil gar nicht erst sprechen. In den Sommermonaten und auch für den gelegentlichen Besuch mit der Duke auf dem Rundkurs ist der Power Cup 2 sicher hervorragend geeignet, für den engagierten Straßenfahrer, der sein Motorrad nicht nur auf der Hausstrecke bewegt, gibt es aber bessere Alternativen.
Angekommen
Mit der neuen Mittelklasse Duke ist KTM endlich da angekommen, wo man sie sich bereits vor drei Jahren erhofft hat. Die 890 Duke R bringt alles mit, was man von einem Spaßgerät für die Landstraße erwartet. Einen Motor, der nicht nur ausreichend Leistung, sondern auch Charakter hat, die passende Ergonomie, die in der Stadt und auf der Hausstrecke gleichermaßen zu überzeugen weiß sowie Komponenten und ein Ausstattungspaket, mit dem man auf der Landstraße extrem sicher und auf der Rennstrecke sehr schnell fahren kann. Mehr geht fast nicht. Das Beste daran: das Ganze gibt es schon ab gut 12.000 Euro. Wenn KTM hier noch den Blipper und den Trackmodus mit dazugeben würde, wäre die 890 R die wahre Super-Duke.
Fotos: KTM
Über den AUTOR
Michael Praschak
Freier Mitarbeiter.
Schreibt über aktuelle Motorräder, die er vorher auf diversen Strecken ausgiebig getestet hat.
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