Harz einmal anders – fürchterlich schön

Wenn der Harz an Wochenenden vor lauter Motorrädern aus den Nähten zu platzen droht, lohnt sich ein Abstecher ins nördliche Vorland mit seinen historischen Städten, uralten Burgen und betagten Windmühlen. Die sonnige Südseite des höchsten norddeutschen Mittelgebirges präsentiert der häufig unterschätzte Unterharz mit seinen kurvigen Nebenstrecken abseits ausgetretener Touristenpfade. 

Von Frank Sachau

Dem Sommer geht die Puste aus, die Felder sind längst abgeerntet und das matte Laub wartet ungeduldig auf den ersten Herbststurm. Dann wird sich der Harz mit Sicherheit in mystischen Nebel hüllen. Also schnell ein paar Klamotten eingepackt und los! Denn was wäre eine zünftige Harztour ohne einen Blick auf den sagenumwobenen Gipfel? Im verschlafen wirkenden Friedrichsbrunn weist ein unscheinbares Schild auf den klitzeklein am Horizont zu erspähenden Brocken (1.142 m) hin. Kein Geringerer als Friedrich der Große soll hier Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Familien als Kolonisten angesiedelt haben. Ein paar Kilometer weiter, der Nordhang des Harzes ist noch zum Greifen nahe, rücken die markanten Türme Quedlinburgs ins Bild. Doch ich folge vorerst den bizarren Felsfingern der Teufelsmauer. Die geheimnisvolle Sandsteinformation verläuft auf etwa 20 km Länge zwischen Ballenstedt und Blankenburg, wo das hoch über dem Ort aufragende Schloss in der Morgensonne leuchtet und unübersehbar meinen Abbiegepunkt ins nördliche Vorland markiert. Die B 81 geleitet mich ins nicht weit entfernte Halberstadt. Der ganze Stolz des historischen Zentrums sind drei imposante Gotteshäuser: Die Liebfrauenkirche mit ihren Gewölbegängen, die Martinikirche mit zwei unterschiedlich hohen Türmen und der Dom St. Stephanus und St. Sixtus mit einem der wertvollsten Domschätze Europas.

Fallert Achern Team

Die Millionenfrage: Wer im Fernsehquiz gewinnen will, sollte schon wissen, wer der berühmte Namensgeber des Harzortes Friedrichsbrunn war.

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Quedlinburgs Wahrzeichen: Auf einem Sandsteinfelsen thront die mehr als tausendjährige romanische Stiftskirche über dem Ort.

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Wo einst Rüstungen rasselten: Burg Zilly sicherte im Mittelalter den wichtigen Handelsweg zwischen Halberstadt und Osterwieck.  

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Am antiimperialistische Schutzwall: In Hötensleben konnte ein Großteil der ehemaligen innerdeutschen Grenze erhalten werden.

Nur ein paar Schaltvorgänge später erreiche ich Kloster Huysburg, das sich inmitten eines dichten Laubwalds hinter einer mächtigen Mauer versteckt. Der Forst überzieht den immerhin 315 Meter aufragenden Höhenzug Huy. An ihm entlang taste ich mich auf schmaler, aber landschaftlich wunderschöner Nebenstrecke nach Badersleben. Dort zweigt eine fantastische Motorradstrecke nach Athenstadt ab, ein Kurvenparadies, das denen im Harz ebenbürtig ist. Kurz darauf im Burgendreieck angekommen, heißt mich weites, sanft gewelltes Land willkommen, Wiesen, Felder und ab und zu mal ein Gehölz sorgen für Abwechslung. Technikfreaks mit dem Hang zu extremen Eigenbauten und monströsen Maschinen werden in der Harzer Bikeschmiede glücklich. Wer es ruhiger liebt, kehrt in der gegenüberliegenden Burg Zilly ein, deren hoher Bergfried aus den umstehenden Bäumen hervorragt. Kaum habe ich das nächste wehrhafte Gemäuer, die Burg Hessen besucht, fahre ich schnurstracks zum Wasserschloss Westerburg, ein Viersternehotel, dessen Fundamente über tausend Jahre alt sind. Aufzeichnungen belegen, dass man dort nicht immer zimperlich mit den Gästen umging, zur Zeit der Hexenprozesse wurden mehrere Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Anschließend passiere ich auf der Erlebnisstraße der deutschen Einheit den Großen Bruch, eine von vielen Wasserarmen durchzogene Niederung, die heute die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Niedersachsen voneinander trennt. Vor gut 30 Jahren verlief hier die innerdeutsche Grenze, auf deren Öffnung im Dezember 1989 ein nicht zu übersehendes Schild hinweist. Vor Jerxheim muss ich einen Gang runterschalten, weil bergan zwei herrlich geschwungene S-Kurven nur langsam durchfahren werden dürfen. Ebenso langsam, aber unaufhörlich, haben sich bei Schöningen mächtige Tagebau-Bagger auf der Suche nach Braunkohle tief unter die Erdoberfläche gegraben. Vor meinen Pseudo-Stollenreifen, am Rande einer grässlich großen Grube, steht ein ausrangierter Schaufelradbagger, der an einen prähistorischen Saurier erinnert. Der fossile Brennstoff reicht bis dicht an die ehemaligen Grenzsicherungsanlagen der DDR in Hötensleben heran.

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Nicht zu übersehen: Der mächtige Halberstädter Dom St. Stephanus und St. Sixtus wurde im 13. Jahrhundert in gotischer Bauweise errichtet.

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Glücksache: Von Friedrichsbrunn lässt sich bei guter Sicht der 30 Kilometer entfernte Brocken, höchster Gipfel des Harzes, erkennen.

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Unheimliches unter Tage: Abergläubische Bergleute vermuteten in den dunklen Gruben des Harzes ihnen wohlgesonnene Zwerge.

Die Straße führt mitten durch den einstigen Todesstreifen hindurch und transportiert mich nach Ausleben, dort begegne ich gleich zwei betagten Windmühlen, die schon vor Jahrhunderten im Einklang mit der Natur betrieben wurden. Ein verkehrsarmes Asphaltband windet sich über den Höhenzug Hohes Holz und den Weiler Seehausen zum Motopark Oschersleben. Mit der Stille ist es dort vorbei, von höchsten Drehzahlen gepeinigte Rennmotoren röhren um die Wette. Zusammen mit der Bode, die wie ich aus dem Harz kommt, bummel ich wenig später nach Egeln. Die dortige, mittlerweile 1000 Jahre alte Wasserburg hatte einst die Aufgabe, die nahe Heer- und Handelsstraße zwischen Magdeburg und Goslar zu schützen, die eine Furt in der Bode nutzte. Die langweilige B 81 zieht schnurgerade durch ausgedehnte Agrarflächen nach Kroppenstedt. Allzu gern setze ich den Blinker und schwenke auf die mit knackigen Kurven gespickte Chaussee nach Quedlinburg ein. Der mit reichlich Fahrspaß gewürzte Teer lässt mich über Hügel und Kuppen springen und meinem Zwischenziel rasch näher kommen. Im fahlen Gegenlicht erkenne ich nicht nur den Brocken, den 1.141 Meter hohen Harzgipfel, sondern auch die von spitzen Türmen geprägte Silhouette Quedlinburgs. Historische Pflastersteine und enge Einbahnstraßen bilden einen Hindernisparcours, der mich aber nicht abhält, bis ins Zentrum vorzudringen. Mit seiner Fülle an Kirchen und Klöstern, Giebeln und Gassen gehört der Stadtkern nicht umsonst zum UNESCO-Welterbe. Beim Verlassen der ehemaligen Königspfalz stolpere ich ein letztes Mal über die Bode und steuere das vor meinen Pneus aufragende Mittelgebirge an. Schon bald erwacht die Vorfreude auf die einladende Terrasse des Harzhotels in Güntersberge, ein leckeres Abendessen und ein oder zwei Bier.

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Dumm gelaufen: Als der Autor, wie immer knapp bei Kasse, die Zeche prellen wollte, wurde er vor der Wasserburg Egeln an den Pranger gestellt.

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Ausrangierte Arbeitstiere: Diese bärenstarken Elektroloks holten die abgebaute Braunkohle aus den Niederungen des Tagebaus Schöningen.

Keine zwölf Stunden ist es her, dass das Abendrot verblasste und sich über mir ein Sternenzelt auftat und im Biergarten ein kühles Blondes vor mir stand. Durch ausgedehnte Mischwälder folge ich den betagten Gleisen der Selketalbahn, schraube mich dabei langsam in die Höhe und erreiche schon bald das prächtige Harzgeroder Fachwerk-Rathaus, dessen Brunnen von einem Bergmann, einem Zwerg und einem Frosch kunstvoll verziert wird. Nach einem Bummel durch den hübschen Ort, die Bedeutung der drei Bronzefiguren bleibt mir ein Rätsel, schwenke ich auf die B 242 ein, um mich kurz darauf von einer verheißungsvollen Nebenstrecke nach Wippra locken zu lassen. Zwei wohlgeformte Serpentinen geleiten mich hinunter an die Wipper, die weit im Westen entspringt, die gleichnamige Talsperre speist, durchs nahe Mansfelder Bergland fließt und später im Osten bei Bernburg in die Saale mündet. Auf meinem Weg nach Grillenberg strebe ich durch zahlreiche Kurven einem echten Pass entgegen, auf dessen Scheitelpunkt die geschichtsträchtige Kohlenstraße kreuzt. Seit dem frühen Mittelalter florierte der Harzer Bergbau und die Verhüttung der gewonnenen Erze verschlang riesige Mengen Holzkohle. Die dichten Buchenwälder fielen dem Kahlschlag zum Opfer, das daraus erzeugte Brennmaterial wurde mit Pferden quer durch das Mittelgebirge zu den profitablen Mansfelder Kupferhütten transportiert. Kaum bin ich in das Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz eingedrungen, senkt sich die nach Sangerhausen führende Trasse ins flache Thüringer Becken. Magerer Teer geleitet mich zum alten Röhrigschacht in Wettelrode, wo ich Montanwesen zum Mitmachen erlebe: 300 Meter unter meinen staubigen Stiefeln wurde einst Kupfer abgebaut. Im nahen Questenberg reift der Entschluss, in die Höhenlagen zurückzukehren. Durch geschmeidig fahrbare Kurven und ausgedehnte Waldgebiete treibe ich die GS wieselflink den großen Auerberg hinauf.

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Ganzjährige Saison: Die überdimensionale Weihnachtspyramide in Zorge verbreitet selbst im Hochsommer festliche Gefühle.

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Viel Arbeit für den Müller: Die historische Bockwindmühle in Ottleben hat durch zahlreiche Stürme ordentlich Federn lassen müssen.

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Wegweiser in Wettelrode: Unübersehbar macht diese ausrangierte Seilscheibe auf das Besucherbergwerk aufmerksam.

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Das offene Tor täuscht: Die von zwei Bodearmen umschlossene Burg in Egeln vertraute ihrem Wassergraben und den mächtigen Mauern.

Deutlich zurückhaltender bewege ich mich kurz darauf in den engen Gassen der idyllischen Fachwerkstadt Stolberg. Die durch den Bergbau reich gewordene, denkmalgeschützte „Perle des Südharz“ wird vom einem schneeweißen Schloss überragt, das gepflegte Gärten und tolle Aussichten für mich bereit hält. Mit Verlassen des Thyratals in Rottleberode verlasse ich auch das Biosphärenreservat und Sachsen-Anhalt, doch schon nimmt mich der thüringische Teil des Naturparks mit offenen Armen auf und breitet einen abwechslungsreichen Feldwaldundwiesenmix vor meinen Rädern aus. Mein Streifzug durch das Dreiländereck endet mit Erreichen des Klosters Walkenried, das sich in der äußersten Ecke des Bundeslandes Niedersachsen versteckt. Gut 500 Jahre wirkten hier die Zisterzienser, bis ein Bauernheer unter Thomas Müntzer im Mai 1525 das Kloster plünderte und verwüstete. Den Rest besorgten dann die protestantischen Lehren Martin Luthers. Und wieder strebe ich aus den flachen Randgebieten des Mittelgebirges bergwärts. Gegen den Lauf der Zorge erreiche ich den gleichnamigen Weiler, dessen ganzjährige, riesige Weihnachtspyramide bei dem heute vorherrschenden Spätsommerwetter keine Festtagsfantasien aufkommen lässt. Realität sind dagegen die schönen runden Bögen, die mich in Nullkommanix nach Hohegeiß hinauf katapultieren. Dort stoße ich auf eine unscheinbare Nebenstrecke, die mich „rüber machen“, also die ehemalige innerdeutsche Grenze überwinden lässt und uns am Ostdeutschen Fahrzeug- und Technikmuseum in Benneckenstein abliefert. Neben zahlreichen Motorrädern gibt es auch monströses Kriegsgerät zu bestaunen, sogar ein U-Boot ist hier für immer vor Anker gegangen. Auf die Frage, was den Unterharz vom Oberharz trennt, fällt mir spontan die Harzhochstraße ein: Die B 242 von Seesen im Westen nach Mansfeld im Osten entpuppt sich als wahres Kurvenwunder. Dunkle Waldpassagen werden immer wieder durch lichte Weideflächen unterbrochen, schöne Gelegenheiten, meine Augen über die abwechslungsreiche Mittelgebirgsregion schweifen zu lassen. Als es mal wieder Zeit wird, den Coffeinspiegel aufzubessern, steuere ich die am Ortsrand von Hasselfelde gelegene Westernstadt Pullmann City an. Vor der dortigen Biker Ranch steige ich aus dem Sattel meines Stahlrosses, ordere ganz cool heißen Kaffee und zücke statt des Revolvers brav das Portmonee. Zurück auf der B 242, brauche ich nur noch den Gleisen der Selketalbahn, der ältesten dampfbetriebenen Schmalspurbahn des Harzes durch Stiege bis zum Hotel in Güntersberge zu folgen. Ende gut, alles gut!

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Für Freunde grober Schweißnähte: Schrauber mit einem Hang zu Oldtimern und Eigenbauten werden in der Bikeschmiede Zilly glücklich.

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Auch bei ausländischen Gästen beliebt: Echte Asphalt-Cowboys steigen auf der Pullman City Biker Ranch gern vom Stahlross ab.

Reiseinfos

Das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands ist im Dreiländereck Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu finden. Ein Nationalpark, mehrere Naturparks und ein Biosphärenreservat schützen Fauna und Flora. Die Region profitierte vom mittelalterlichen Bergbau und kann auf eine abwechslungsreiche Geschichte zurückschauen. Wenn an Wochenenden und Feiertagen der Harz überlaufen ist, lohnt es sich, die malerischen Altstädte Halberstadts und Quedlinburgs zu Fuß zu durchstreifen, oder die zahlreiche Burgen und Schlösser entlang der Strecke zu erkunden. Ein dichtes Netz von ursprünglichen Haupt- und Nebenstrecken steigt in Höhenlagen zwischen 400 und 600 Metern auf. Mit höherem Verkehrsaufkommen ist nur in größeren Orten und an Verkehrsknotenpunkten zu rechnen.

Übernachtungstipp

Harzhotel Güntersberge
Das mitten im Harz gelegene Landhotel bietet sich für Ausfahrten in alle Himmelsrichtungen an. Gemütliche Zimmer, ein gepflegtes Restaurant und die große Außenterrasse sorgen fürs Wohlbefinden. Eine Sauna steht auch zur Verfügung.
06493 Harzgerode OT Güntersberge  |  Tel. 039488 79240  |  www.harzhotel-guentersberge.de

Über den AUTOR

Frank Sachau

Seit mehr als 30 Jahren ist Frank auf BMW GS-Modellen unterwegs zwischen Dänemark im Norden, der Toskana im Süden, den Pyrenäen im Westen und Polen im Osten. Zwischendurch führten die Reisen immer wieder in die Alpen: Zwischen Wien und Nizza blieb kein namhafter Pass unberührt. Und selbstverständlich kamen auch Deutschlands schönste Flecken unter die Räder.  

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