Es ist 02:50 Uhr früh. Wir stehen am Flughafen von Isfahan und warten auf unsere Gäste. Wir, das sind Negin, eine junge Fremdenführerin aus Isfahan und ich, langjähriger Veranstalter von Motorradreisen in Indien. Vor einem Jahr haben wir uns zufällig am Maidan-e Naqsh-e Jahan in Isfahan getroffen und wenig später spontan beschlossen, gemeinsam Motorradreisen im Iran durchzuführen. Und nun stehen wir also zu nachtschlafender Zeit am Flughafen und hoffen, dass unsere Gäste bald erscheinen. Es ist nämlich saukalt, und obwohl die Maschine 20 Minuten vor der Zeit gelandet ist, lässt sich schon seit über einer Stunde niemand blicken. Später erfahren wir, was der Grund der Verzögerung war. Jeder einzelne Koffer wurde durchleuchtet, teils auch geöffnet und durchwühlt. Und was haben die eifrigen Zollbeamten gesucht? Alkohol!
Dann endlich erscheinen sie, 10 Bikerinnen und Biker, die trotz aller Schreckensnachrichten und trotz gut gemeinter, jedoch nur auf Vorurteilen fußender Warnungen seitens ihrer Freunde den Entschluss gefasst haben, sich selbst ein Bild zu machen von diesem widersprüchlichen Land, das von einigen als der Inbegriff des Bösen, von anderen, von denen nämlich, die selbst dort waren, als eines der gastfreundlichsten Länder der Welt gesehen und beschrieben wird.
Wasserfall
Den ersten Tag verbringen wir in Isfahan, eine der unbestritten schönsten Städte des Iran. „Kennst Du Isfahan, so kennst Du die halbe Welt“, so besangen Dichter und Poeten aller Zeiten diesen Juwel, der über viele Jahrhunderte Hauptstadt des persischen Reichs war. Viele der prächtigen Bauten, die sich um den Maidan-e Naqsh-e Jahan gruppieren und an zahlreichen anderen Orten der Stadt zu finden sind, stammen aus dieser glorreichen Zeit. Die Lotfallah-Moschee, die Imam-Moschee, der Ali Qapu-Palast, der gedeckte Basar, und, und, und. Mitten durch die Stadt fließt der Zayandeh-Rud, auf Deutsch, „lebensspendender Fluss“. Meist ist er ausgetrocknet, doch wir hatten Glück. Dank starker Regenfälle im Frühjahr konnten die Schleusen geöffnet werden. Ein Spaziergang entlang der Ufer des Zayandeh Rud und über die historischen Brücken gehört zu den Höhepunkten eines Aufenthalts in Isfahan.
Am nächsten Morgen geht es dann endlich auf unsere Bikes. Passende Motorräder zu finden, war eine der großen Herausforderungen bei den Vorbereitungen für diese Tour. Per Gesetz ist es im Iran verboten, Bikes mit mehr als 250 ccm Hubraum zu fahren. Die meisten Iraner sieht man daher auf 125er oder 150er Mopeds, die aber für unsere Zwecke nicht in Frage kamen. Nach langem Suchen sind wir auf 250er Benellis gestoßen und haben 12 Stück gekauft. Benelli ist eine italienische Motorradmarke, die inzwischen in chinesischer Hand ist. Unsere Bedenken hinsichtlich der Qualität haben sich zum Glück als unbegründet herausgestellt. Nachdem wir nun auf zwei großen Touren durch den Iran die ersten 10.000 Kilometer hinter uns gebracht haben, kann ich ohne Einschränkung sagen, dass die Benellis genau das richtige für die Touren in diesem Land sind.
Die nächsten Tage führen uns durch das Zagros Gebirge. Khorramabad, Kermanschah und Hamedan sind die ersten Städte, die wir besuchen. Jede dieser Städte blickt auf Jahrtausende persischer Geschichte zurück. Die Herrscher aller Zeiten haben sich in Form kunstvoller Reliefs und in Felsen geritzter Inschriften, die ihre Macht und Bedeutung bezeugen, für die Nachwelt verewigt. In Bisotun und Taq-e Bostan können wir zwei besonders kunstvolle Beispiele bestaunen. Die Fahrt durch die Berglandschaft des Zagros Gebirges bringt Fahrspaß pur. Die Straßen sind in ausgezeichnetem Zustand. Es geht auf und ab, Kurve folgt auf Kurve, ein Riesenvergnügen.
Fahrt von Zanjan nach Qazvin
In Hamedan erwartet uns ein besonderes Abenteuer. Wir dringen tief ins Innere der Erde ein. In Ali Sadr, nur wenige Kilometer von Hamedan entfernt, befindet sich eine der größten Tropfsteinhöhlen der Welt. Viele Kilometer weit kann man sich per Tretboot und zu Fuß in einer surrealen Traumwelt verlieren. Im Anschluss besuchen wir die Töpferstadt Lalejin. Der Iran blickt auf eine Jahrtausende alte Töpfertradition zurück, die hier wachgehalten wird. In einer kleinen Töpferei dürfen wir uns sogar selbst an der Töpferscheibe versuchen.
Zanjan, unser nächstes Ziel, ist bekannt als die Stadt der Messer und Schwerter. Ein Laden neben dem anderen bietet die scharfe Ware feil, und da kann ich mich nicht zurückhalten und erstehe gleich mehrere der in Handarbeit kunstvoll gefertigten Messer. Doch nicht nur wegen der Messer haben wir Zanjan einen Besuch abgestattet. Am nächsten Morgen brechen wir zu einer Bergtour zur Behestan-Festung auf. Ein solches Bauwerk habe ich noch nie gesehen. Dabei handelt es sich nicht einmal um ein Bauwerk, sondern um einen seltsam geformten Felsen mit kleinen Türmchen, in dem sich natürliche und künstlich angelegte Höhlen befinden, in denen die Burgbewohner gehaust haben. Leider kann man das Ganze nur von außen betrachten.
Teheran
Die Fahrt nach Qazvin gehört zum schönsten, was man sich als Bergstrecke für Motorradfahrer vorstellen kann. Wir bewegen uns nur auf kleinen Nebensträßchen. Die typischen iranischen Dörfer, die wir durchfahren, wecken die Fotografen in uns und nötigen immer wieder zum Anhalten. Doch auch durch die Berglandschaft des Alborz-Gebirges können wir nicht fahren, ohne immer wieder die Kamera zu zücken. Bei jedem Stopp versammeln sich die Menschen um uns, wollen wissen woher wir kommen, wohin wir fahren, wie uns ihr Land gefällt, und nicht selten werden wir eingeladen, zu ihnen nach Hause zu kommen, zum Tee-Trinken, zum Essen und gar zum Übernachten. Leider müssen wir die meisten Einladungen ablehnen. Auf den kleinen Straßen kommen wir nur relativ langsam voran und wir haben noch viele Kilometer vor uns. Wir nutzen Qazvin als Basis für Ausflüge zur Alamut-Festung und nach Teheran, in die Hauptstadt des Iran.
Behestan Castle
Die Fahrt zur Alamut-Festung versetzt uns in einen Kurvenrausch. So geht Bergfahren. Über zwei Stunden nichts als Kurven, Kurven, Kurven. Ganz benommen kommen wir am Ziel an, und nur ein kleines Grüppchen entschließt sich, zur Burg hochzukraxeln. Abgesehen vom Ausblick lohnt sich die Anstrengung auch kaum, denn von der Burg ist so gut wie nichts erhalten.
Ganz anders in Teheran. Hier steht unter anderem ein Besuch der Saadabad-Palastanlage auf dem Programm, und die zahlreichen Palastgebäude sehen zum Teil so aus, als seien der Shah und seine Familie erst gestern ausgezogen. Die schon beinahe perverse Pracht erschlägt uns nahezu. Gold, Spiegel, Seide, Teppiche… wie klein muss das Ego eines Menschen sein, dass er sich mit so viel überflüssigem Tand umgeben muss. Wirklich spannend und lohnend ist das Museum der Gebrüder Omidvar, das in einem der vielen Paläste beheimatet ist. Die beiden sind als erste Iraner im Jahr 1954 zu einer zehnjährigen Umrundung der Erde aufgebrochen, sieben Jahre mit dem Motorrad und dann noch mal drei Jahre mit einer Ente (Citroën 2CV). Herr Omidvar, einer der Brüder, heute ein Herr von über 90 Jahren, ist extra für uns angereist. Er nahm sich viel Zeit, uns durch das Museum zu führen und unsere vielen Fragen zu beantworten.
Nun geht es nach Süden und von Kilometer zu Kilometer spüren wir, wie die Quecksilbersäule steigt. Zunächst machen wir Station in Kashan, bewundern Moscheen, Badehäuser und vor allem die prachtvollen Kaufmannhäuser, besuchen das historische Dorf Abyaneh, in dem die Menschen leben, wie vor hunderten von Jahren, erfreuen uns an einem der schönsten der persischen Gärten, dem Fin-Garten, und brechen dann auf in die Wüste.
Garmeh heißt das kleine Oasendorf. Dank einer ergiebigen Quelle, die am Fuß des hinter der Oase sich erhebenden Berges sprudelt, ist hier, inmitten der heißesten Wüste der Welt, Leben möglich. Jedoch war Garmeh auch ein Opfer der Landflucht und dem sicheren Untergang geweiht, hätte nicht Maziar die Idee gehabt, das 400 Jahre alte Haus seiner Eltern in ein Gästehaus umzuwandeln und seinen Gästen die Möglichkeit zu geben, authentisches Wüstenleben zu erfahren. Dazu gehört auch, dass man mit köstlicher Hausmannkost bewirtet wird und ein Ausflug zu den Sanddünen von Mesr, wo wir einen Bilderbuch Sonnenuntergang erleben konnten.
Auf dem Weg nach Yazd legen wir einen kurzen Stopp in Kharanaq ein. Kharanaq ist eine verlassene Lehmstadt und ein Traum für Fotofreunde. Enge Gassen, niedrige Tunnel, halb verfallene Häuser… stundenlang könnte man hier verweilen und sich in lange vergangene Zeiten zurückversetzen lassen. Aber wir müssen weiter und die letzten 80 Kilometer bis Yazd hinter uns bringen.
Yazd ist meine persönliche Lieblingsstadt. Die ganz aus Lehm gebaute Altstadt ist wunderbar erhalten, aber nicht als Museum, sondern hier leben die Menschen so als seien die letzten Jahrhunderte spurlos an ihnen vorbeigezogen. Auch die vielen Windtürme, für die Yazd Berühmtheit erlangt hat, sind zum großen Teil noch in Betrieb. Ebenso wie einige der Qanate. Diese unterirdischen Wasserkanäle bringen frisches Wasser aus den zum Teil viele Kilometer entfernten Bergen in Städte und Dörfer. Sie verlaufen bis zu 100 Meter unter der Erdoberfläche und kommen ganz ohne Pumpen aus. Eine technische Meisterleistung, die vor mehreren tausend Jahren entwickelt wurde und z.B. als Vorbild für die Falatsche in Oman dienten.
Springbrunnen in Yazd
Wir nähern uns nun dem südlichsten Punkt unserer Reise. Bam wurde am 26. Dezember 2003 von einem verheerenden Erdbeben fast völlig zerstört. Besonders die historische Lehmstadt und die Festung haben gelitten. Von ihr war so gut wie nichts übriggeblieben. Mit gemischten Gefühlen nähern wir uns der mächtigen Stadtmauer. Was erwartet uns dahinter? Mein letzDieter Besuch liegt fast sechs Jahre zurück, und damals hatten die Wiederaufbauarbeiten gerade begonnen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie groß unsere Überraschung war, als wir durch das große Stadttor schritten. Wo vor Jahren nur Schutt und Geröll zu sehen war, ist eine neue Stadt entstanden. Ja, so muss es ausgesehen haben, als das alte Bam noch bewohnt war. Wir können kaum glauben, dass es den internationalen Teams, die hier über Jahre zusammengearbeitet haben und noch arbeiten, gelungen ist, große Teile der Stadt wiederaufzubauen. Wir sind begeistert und froh, den Besuch von Bam in unser Programm aufgenommen zu haben.
Die Fahrt nach Shahdad, unserem nächsten Ziel, führte zunächst über einen der gut ausgebauten iranischen Highways, und wir befürchteten schon, uns auf eine langweilige Fahrt einstellen zu müssen. Doch dann geht es rechts ab in die Berge. Eine spektakuläre Landschaft erwartet uns. Statt Highway finden wir uns auf einer kleinen Bergstraße wieder. Rechts und links säumen bizarre Felsformationen unseren Weg. Mal scharfkantige Hügel inmitten weiter sandiger Ebenen, mal nicht enden wollende, hoch hinauf ragende Felswände, die uns wie einseitig geschlossene Canyons erscheinen. Immer tiefer dringen wir ins Nirgendwo ein, bis wir schließlich den winzigen Ort Shahdad erreichen und uns in unserem Resort breit machen.
Fahrt nach Shahdad
Doch viel Zeit zum Ausruhen bleibt uns nicht. Draußen warten schon die Jeeps auf uns. Die Fahrt mit dem Motorrad ist leider nicht erlaubt, aus Sicherheitsgründen, wie man uns erklärt. Eine wilde Fahrt bringt uns vorbei an alten Karawansereien, versteckten Dörfern, die nur dank der auch hier aktiven Qanate existieren können und einem See, der eigentlich gar nicht existiert, zum „Death Valley von Iran“. Gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang erreichen wir den Gipfel einer Sanddüne, von der wir einen sagenhaften Blick übers Tal und in die untergehende Sonne haben. Bei Tee und Gebäck verbringen wir den Abend und die halbe Nacht und kehren übervoll mit Eindrücken einer wundervollen Welt zurück zu unserem kleinen Resort.
Death Valley of Iran
Nun steht nur noch der Besuch von Shiraz bevor. Wir finden eine sehr schöne Nebenstrecke durch die Berge über Sirjan nach Shiraz. Dort gönnen wir unseren Bikes einen Ruhetag und lassen uns mit unserem Bus nach Persepolis chauffieren. Persepolis ist die wohl bedeutendste Zeitzeugin des ersten großen Perserreichs. Sie wurde von Darius I. ca. 500 v. Chr. erbaut und gut 200 Jahre später von Alexander dem Großen zerstört und dem Erdboden gleich gemacht. So, wie er die Kaiserstadt vor über 2.200 Jahren verlassen hat, können wir sie heute bestaunen. Unsere perfekt Deutsch sprechende Fremdenführerin fasziniert uns mit Geschichten und Fakten und lässt die Stunden wie Minuten verfliegen. Auch der Besuch der Nekropole Naqsh-e Rostam mit ihren beeindruckenden Felsengräbern steht noch auf dem Programm, doch dann reicht es. Wir sind voll, voll mit Eindrücken und Erlebnissen. Unsere Aufnahmefähigkeit hat ihre Grenze erreicht.
Ein Muss, wenn man den Iran bereist: Persepolis.
Wir verbringen noch einen Tag in Shiraz und eilen dann zurück nach Isfahan. Beim letzten gemeinsamen Abendessen lassen wir die Reise Revue passieren. Welch unglaublich schönes Land. Neben Landschaft und Kulturgütern haben uns vor allem die Menschen erstaunt und begeistert. Wer nur mürrisch dreinschauende bärtige Männer und finstere von schwarzen Umhängen verdeckte Frauen erwartet hat, wurde schnell eines Besseren belehrt. Die Menschen sind offen, hilfsbereit und gastfreundlich. Eine größere Diskrepanz zwischen dem bei uns vermittelten Bild des Iran und der Wirklichkeit, die wir erlebt haben, kann man sich kaum vorstellen.
Am nächsten Tag, als alle schon wieder abgereist sind, sitzen Negin und ich zusammen in einem kleinen Cafè am Naqsh-e Jahan. Ja, das war die wohl beste Entscheidung in unserem Leben, diese Reisen in den Iran zu organisieren. Und wir werden weiter machen, neue Routen erschließen, mehr Reisende ins Land holen. IRAN-CRUISE soll zum Synonym werden für Reisen in ein Land, dem wir kulturell viel zu verdanken haben und von dessen Menschen wir einiges lernen können. Im Jahr 2020 bieten wir drei unterschiedliche Touren an.
Vertrieben werden die Reisen von Wheel of India. Auf www.wheelofindia.de findet ihr alle Informationen, die ihr für eure Reiseplanung benötigt.
Günter Schiele, Wheel Of India