Casgiu
… bedeutet auf korsisch Käse. Der Käse auf Korsika ist so vielfältig, einzigartig und urtümlich wie die Landschaft und die Straßen. Oft werde ich gefragt was mir besser gefällt – Korsika oder Sardinien? Inzwischen muss ich da nicht mehr lange überlegen. Ich bin ein begeisterter Anhänger Sardiniens mit den Traumstraßen SS 125 und SS 126, die aus fahrerischer Sicht kaum eine Steigerung zulassen, doch an Korsika hängt mein Herz doch deutlich mehr. Wer kann diesen Straßen widerstehen. Hier auf Korsika findet man feinsten Teer mit perfekter Linienführung in Kombination mit beeindruckender Landschaft, die man vielfach weitestgehend alleine genießen kann – vorausgesetzt man verkneift sich die Monate Juli und August. Auf dieser Insel ist die Farbe Grün fast das ganze Jahr präsent. Die wüstenartige Trockenheit, die man im Sommer auf Sardinien vermehrt antrifft, ist hier eher die Ausnahme. Die Leidenschaft und Freiheit, die die korsische Flagge symbolisiert, ist ein Wesenszug der „Wilden Schönen“ wie Korsika oft liebevoll genannt wird. Sobald der Kurs ins Landesinnere führt, erlebt man die teils schroffe und bizarre Natur auf eindrucksvollste Weise. Aber beginnen wir wie es sich gehört am Anfang.
Flussbadestellen, sogenannte Gumpen, finden sich auf Korsika zahlreich.
Kurven satt gibt’s auf Korsika.
Cap Corse
Eine beliebte Standardtour, die von vielen Korsika Besuchern als Einstieg eingeschlagen wird, trägt den wohlklingenden Namen „Cap Corse“. Der übliche Weg bringt den geneigten Inselbesucher mit der Fähre nach Bastia. Genau hier beginnt auch diese Runde, die die nördliche Spitze auf einer zunächst eher lieblichen, aber später durch schroffe Felswände gesäumten Straße, umrundet. Es empfiehlt sich den „erhobenen Zeigefinger“ gegen den Uhrzeigersinn zu bewältigen. Somit hat man die See immer rechts, quasi direkt neben der Leitplanke, und einen ungestörten Blick auf die blaugrünen Wellen des tyrrhenischen Meeres. Die Straßenführung wird durch die Küstenlinie bestimmt. Sie folgt dieser mit stoischer Genauigkeit und beschert uns damit Fahrspaß pur. Die halbe Runde verläuft Richtung Norden entlang der Ostküste. Am Umkehrpunkt, dem „Nordkap“, verlassen wir die Land-Wasser-Grenze für kurze Zeit. Wer Lust verspürt den nördlichsten geteerten Punkt der Insel anzufahren, kann bei Ersa noch eine kleine Schlaufe fliegen.
Hängt man dann noch ein paar Schritte zu Fuß dran, eröffnen sich dem Besucher Blicke auf bizarre und teils scharfkantige Felsformationen, die vielfach auch von lokaler Fauna besiedelt werden. Ein Ornithologe wäre sicher sofort in der Lage das Getier zu spezifizieren. Mir bleibt diese Erkenntnis aber leider verborgen. Nachdem die Füße (badisch für Beine) wieder gut durchblutet sind, schwingen wir selbige über den Kunstlederbezug des Sattels und begleiten das Teerband Richtung Süden, der Westküste folgend. Auf teilweise hoch über dem Wasser führender Straße mit martialisch aufgerichteten Felsen, genießen wir Ausblicke der besonderen Art. Die inzwischen tiefer stehende Sonne leuchtet in die links an uns vorbeirauschenden Steinwände und erzeugt eine fast unwirkliche Stimmung. In Fahrtrichtung blickend, erkennt man den Bitumenpfad der irgendwie an die steilen Felswände geklebt wurde und sich um Nadeln und Ecken windet wie ein Bandwurm um die Darmzotten. Wer ohne Vorbuchung unterwegs ist, kann die Reise noch bis zum malerischen Hafenort Saint Florent fortsetzen und sich dort eine Unterkunft suchen. Da unsereins zur Gattung „Sonntagsfahrer“ gehört, haben wir im Vorfeld – Booking.com sei Dank – eine traumhafte Unterkunft bei einer deutschen Dame an der T10 in Höhe von San Guliano gebucht. Unsere großen Reiseenduros haben wir, gar nicht artgerecht, per Anhänger auf die Insel geschafft.
Monika, unsere Vermieterin, lebt schon sehr lange auf Korsika. Sie hat ein Wohnhaus mit angebautem Ferienhaus, das für uns reserviert ist. Eine riesige Wiesenfläche mit Bäumen grenzt an die geräumige Terasse. Am anderen Ende dieser Lichtung findet sich noch ein Holzhäuschen das ebenfalls zur Vermietung steht. Über den Saum der Bäume hat man freien Blick auf das Meer.
Der Plan ist, neun Tage auf diesem Eiland im Mittelmeer zu verbringen, um uns dann einen direkten Vergleich mit Sardinien zu ermöglichen. Die Reise soll im Anschluss dorthin weiter gehen.
Asco und Restonica
Diese Wörter beschreiben kein heimisches Gericht, sondern sind die vielversprechenden Namen zweier atemberaubender Täler. Hier auf Korsika ist es eigentlich gar nicht erwähnenswert, dass eine Straße kurvig ist. Es gibt so gut wie keine geradlinige Verkehrsführung, was unser Blut als Zweiradfetischisten ständig in Wallung hält. Ein lässiges Dahinrollen zum Ausruhen ist kaum möglich. Auch in diesen beiden Tälern gilt also die Prämisse: Swingen statt Singen.
Im Prinzip besteht die Möglichkeit mit jeder Art von Motorrad hier auf (Kurven) Jagd zu gehen, aber eine gewisse „Kurvenwilligkeit“ erhöht den Fahrspaß enorm. Die Radien ändern sich ständig, aber nur selten im Verlauf einer Kurve. Die zwei Abstecher nach links zeigen auf der Karte die beiden Geländeeinschnitte. Oben das Ascotal und der untere Zipfel deutet das Restonicatal an. Dieses Mal können wir leider nicht bis ans Ende der Straße fahren, da Bauarbeiten ein Durchkommen verhindern. Auf ungefähr halbem Weg zum befahrbaren Ende des Ascotals liegt die Ortschaft Asco seitlich am Hang. Es besteht die Möglichkeit den Ortskern mit ein paar Kehren zu umfahren, oder sich durch die Gassen zu zwängen. Direkt am Ortseingang in einer 180 ° Rechtskehre gibt es eine kleine Bar mit Laden, in dem man regionale Produkte erwerben kann. Für uns als Honigliebhaber bedeutet das soviele Gläser zu bunkern, wie das Topcase hergibt.
Das tiefe klare Wasser läd zu einem Tauchgang ein. O.k. man braucht keine Sauerstoffflasche, und richtig weit runter geht es auch nicht, aber sehr erfrischend ist es allemal. Da wir ausserhalb der Hochsaison unterwegs sind, hält sich auch hier in diesen doch eher touristischen Tälern der Andrang in Grenzen. Wir genießen die Ruhe und lassen unsere Gedanken mit dem Wasser treiben. Schade ist es trotzdem, dass diese Idylle, die sich uns bietet, nicht von allen Insulanern auch als solche gesehen und gepflegt wird. Der Eindruck drängt sich immer wieder auf, dass der Umweltschutzgedanke in südlichen Ländern nicht so sehr ausgeprägt ist, wie sich hier auf dem Rückweg an der D 16 kurz vor Zuani zeigt.
Autowrack an der D 16 – der Umweltschutzgedanke ist den südlichen Ländern nicht so ausgeprägt.
Eau d’Orezza: Eine Quelle mitten in den Bergen.
Orezza Quelle
Der Ausflug zur Orezza Quelle ist nur 116 Km lang, beweißt dennoch, dass wenige Kilometer viel Spaß bereiten können. 34 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit lassen erahnen wie die Beschaffenheit mancher Streckenabschnitte ist. Wir sind froh, ein mindestens bedingt Offroad taugliches Gefährt unter dem Hintern zu haben. Auf den Straßenkarten lässt sich hin- und wieder der Begriff „unpaved“ finden. Selbst wenn dieser Begriff im Kartenmaterial nicht verwendet wird, ist noch lange nicht sicher gestellt, dass von ebenem Belag ausgegangen werden kann. Hin und wieder ist mit einem Straßenabbruch zu rechnen, bei dem sich dann die Vorteile eines einspurigen Fahrzeugs klar zeigen. Selbst auf dieser verkleinerten Karte lässt sich das enorme Winkelwerk der Tour erkennen.
Die Route führt vielfach durch Waldgebiete die immer wieder Ausblicke über wasserreiche Täler Richtung Meer frei gibt. Die Mischung aus Fels und Wald ist in dieser Gegend, in meinen Augen, noch imposanter als in den Alpen. Diese Tour sei nur den Piloten empfohlen, die in der Lage sind schnell mal einem Schlagloch oder unverhofft auftauchenden Vierbeinern auszuweichen. Neben herrlich ausgebauten Straßen gibt es in diesem Inselreich auch Straßen dritter und vierter Ordnung. Für einen nächsten Besuch ist eine Erkundung mit kleinen einzylindrigen Wanderenduros geplant, der bestimmt weitere noch schönere Erlebnisse ermöglicht …
Col de Vergio
Gleichermaßen von Fahrradlern und Motorradlern geliebt, bildet der Vergio eine Verbindung zwischen Ost- und Westküste. Von unserem Stützpunkt aus geleiten uns wie immer spaghettiartige Windungen zunächst nach Ponte Leccia. Ein hier recht einsam gelegener Bahnhof ist der Knotenpunkt einer insgesamt 231 Kilometer langen einspurigen Bahnstrecke. Sie führt von Bastia über Ponte Leccia entweder nach Calvi im Norden, oder nach Ajaccio an der Westküste. Straße und Bahntrasse teilen sich hin und wieder Hänge und Täler, und lassen dabei die Einzigartigkeit dieser imposanten Schienenführung erkennen. Dem Le Golo, einem ungezähmt dahin meandernden Fluss folgend, kommen wir zu einem kleinen See mit dem Namen Barrage de Calacuccia. Dieser kann Wahlweise am Nord- oder Südufer umfahren werden. Wir entscheiden uns per Streichholz für die Südseite. Nach dem See touchiert man nochmals kurz den Lauf des Golo, um dann den Anstieg zum Col de Vergio zu erleben. Der tief im Landesinneren liegende Pass bietet über hohe hellgrüne Farne hinweg, bei Kaiserwetter, einen erhabenen Ausblick – oder muss ich jetzt auch noch Kaiserinnenwetter schreiben?
Blick vom Col de Vergio.
Traumhafte Straße zwischen Zonza und Col de Bavella.
Zonza und Col de Bavella
Heute steht die erste von zwei Südtouren auf dem Programm. Auch der Col de St. Eustache oder auf korsisch Bocca Sant Ustasgiu gehört zur Runde, sowie die Stadt Zonza die den südlichsten Punkt bildet. Um ins Landesinnere zu kommen, bedienen wir uns einer kleinen Landstraße die nach Venaco führt. Hier biegen wir im spitzen Winkel gen Süden ab und erreichen nach kurzer Zeit den Col de Sorba. An Ghisoni vorbei treiben wir die Motorräder auf den Col de Verde. Im weiteren Verlauf wartet der Col Eustache auf uns. Nach Zonza surven wir dann über eine der landschaftlich wohl schönsten Straßen Korsikas auf den Col de Bavella. Bei Solenzara treffen wir auf die T 10 die uns nördlich Richtung Unterkunft führt. Bis Aléria ist das wohl die langweiligste Strecke auf ganz Korsika – fast nur gerade. Ich weiß nicht, warum man hier auf einmal soviel Harleys sieht? ?
L’Ile-Rousse – Saint Florent – Bastia
Eine Schnappszahl sollte es werden – genaugenommen 222 km. Auf etwas geänderter Route erreichen wir wieder Ponte Leccia. Ab hier folgen wir für ungefähr 20 km der Eisenbahnlinie Richtung Nordwest. Kurz nachdem uns der Pfad des Stahlrosses nach rechts verlassen hat, erklimmen die zwei Boxer den Col de San Colombano mit einer bescheiden klingenden Passhöhe von 692 Metern. Die Straße ist hervorragend ausgebaut mit einer Aneinanderreihung von schnellen Kurven die Ross und Reiter nur selten aus dem lustvollen Takt bringen. Da wir in anderen Sphären schwebend unseren Swing nicht unterbrechen wollen, lassen wir L’Ile-Rousse nicht sehr schweren Herzens links liegen. Ungefähr zwei Kilometer bevor wir wieder nach rechts ins Landesinnere abbiegen, direkt an der ca. 50 Meter tief abfallenden Steilküste entdecken wir eine an den Klippenrand gebaute Imbissbude. Der Magen scheint sanft am Hebel des rechten Lenkerendes zu ziehen – mit Erfolg. Die Belohnung halten wir alsbald in Händen. Umgekehrt auf einer Bierbank sitzend, die entblößten Füße durch das Geländer gestreckt und im dynamischen Aufwind baumelnd, genießen wir ein umwerfendes Käsesandwich mit viel Knoblauch – leben wie Gott in Frankreich.
Auf der weiteren Route nach Saint Florent wären wir gerne auf die Sandpiste zum Saleccia Strand abgebogen. So vielseitig unsere Motorräder auch sind, hat der nächtliche Regen, das nicht zu verachtende Gewicht (natürlich das der Motorräder) und unser dazu umgekehrt proportionales Können in weichem Sand, die Entscheidung maßgeblich beeinflusst, diese Strecke irgendwann mit leichteren Maschinen zu befahren. Der Rest ist schnell erzählt. Quer über das „Fingergelenk“ nach Bastia rüber und auf der T 10 runter zu unserer immer sehr netten Monika.
Damit muss man auf Korsika ständig rechnen: Pferde und andere freilaufende Tiere auf der Straße – hier auf dem Weg zum Colombano.
Im Gegensatz zur vorangegangenen Nacht können wir am Col einen fast wolkenlosen Himmel genießen.
Last but not least – Tour de Bonifacio
Einmal wollten wir auch mit den Motorrädern bis ganz in den Süden rollen. Dazu nehmen wir bis Petreto-Bicchisano annähernd die gleiche Route wie die Anfahrt zum Bavella. Ab da haben wir – wie kann es auch anders sein – mal wieder eine extrem kurvenreiche Strecke über Propriano, Sartène bis an die Südküste, die uns mit dem Strand von Mucchiu Biancu begrüßt.
Wir streifen die nördliche Gemarkung von Bonifacio, um mit einem sanften Linksknick die flotte T10 über Porto Vecchio nach San Giuliano zu bemühen.
Die T 10 an der Ostküste kann zur schnellen Überbrückung einer Distanz genutzt werden. Fahrerisch hat sie tatsächlich nicht sehr viel Interessantes zu bieten. Die Stadt Bonifacio haben wir bewusst ausgeklammert, da wir am Folgetag mit dem Gespann in den dortigen Hafen unterwegs sein werden, um den Urlaub auf Sardinien fortzusetzen. Aber das soll vielleicht mal eine andere Geschichte sein.
Im Folgejahr hat es uns tatsächlich nochmals auf die Ile de Corse verschlagen. Wir wollten doch schließlich unbedingt die Callanche, also die D 81 zwischen Porto und Piana erfahren. Auch diese Zeit kann ein andermal erzählt werden. Ich habe in diesem Reisebericht bewusst vermieden Wikipedia, Google und Co. zu bemühen. Es sollte einfach nur eine lockere Erzählung aus eigener Erkenntnis eines wunderbaren Urlaubs werden, um die Winterzeit und die momentan allgegenwärtige Corona-Bedrohung etwas erträglicher und kurzweiliger zu gestalten.
Diese Spezies ist auf den Straßen Korsikas allgegenwärtig …
… diese auch.
Eine Liebeserklärung an Korsika.
Wer die Touren auf Google Earth oder Garmin BaseCamp nachvollziehen will, dem stehen hier die Tour-Daten als GPX- und KML-Files bereit. Eine Datei mit den meisten Pässen als GPX ist dort ebenfalls zu finden.
Die Insel sei jedem empfohlen, der keine Angst vor unzähligen Kurven hat. Sie stellt ein traumhaftes Paradies für unsere Spezies dar. Es besteht die Möglichkeit sie auf unsere bequeme Art, oder auch nur mit dem Motorrad, vielleicht sogar mit Zelt zu erkunden. Auf unseren Fahrten haben wir im Vorbeifahren einige Campingplätze entdeckt die recht einladend die Pforten offen hatten. Der bisweilen schroffe, felsige Eindruck übt seinen ganz besonderen Reiz aus, dem wir vermutlich noch einige Male erliegen werden.
Reisedaten:
Reisezeit vom 25.05. bis 02.06. 2017.
Ankunft mit der Fähre in Bastia aus Genua kommend.
Abfahrt von Bonifacio nach Santa Teresa Gallura auf Sardinien.
Text und Fotos: Harald Kowatschewitsch; Titelfoto: Adobe Stock
Die GPX-Files zum Download (ZIP-Datei)
Zum Nachfahren gibt es hier alle GPX- und KML-Dateien zum Download.