Dreiländergiro

Zu einer perfekten Alpentour gehören Pässe und malerische Ortschaften. Der hier beschriebene „Dreiländergiro“ führt von Italien in die Schweiz und endet mit einem kurzen Streifzug durch Österreich wieder in Italien. Umbrail & Foscagno – zwei Pässe, die landschaftlich begeistern und jeweils locker die 2.000-Meter-Marke knacken, gehören ebenso zum Pflichtprogramm wie die beiden Ortschaften Bormio und Livigno.

Anfang Juli, eigentlich eine gute Reisezeit für einen Streifzug durch das obere Veltlin in Italien mit seinen beiden bekannten Ortschaften Bormio und dem zollfreien Livigno, dem Unterengadin in der Schweiz mit Scuol und Zernez, dem schweizerischen Zollausschlussgebiet Samnaun und schließlich Nauders in Österreich unweit des Reschensees.
Eigentlich – das Wetter mit satten Regenschauern und einstelligen Temperaturen macht mir allerdings hier und da einen gehörigen Strich durch die Rechnung und so widme ich mich manchen Point of Interests etwas weniger intensiv.
Mein Startpunkt ist das MoHo-Hotel am Reschensee in Reschen. Noch keine zehn Kilometer gefahren, halte ich für den ersten Fotostopp an. Bei der kleinen Ortschaft Graun steht der berühmte, denkmalgeschützte Glockenturm der alten Pfarrkirche St. Katharina im Wasser des Reschensees. Der Glockenturm erinnert an das alte, im See versunkene Graun, welches Anfang der 50er Jahre nach und nach im sich langsam füllenden Reschensee unterging. Der Kirchturm aus dem 14. Jahrhundert ist ein stiller Zeitzeuge einer rücksichtslosen See-Stauung. Der Reschensee selbst ist heute mit seinen 120 Millionen Kubikmeter Fassungsvermögen der größte See Südtirols (wenn auch künstlich angelegt) und liefert durch die im Stauwerk installierten zwei Turbinen jährlich rund 250 Gigawattstunden Strom.

Fallert Achern Team

Mahnmal und Attraktion zugleich: der Glockenturm der alten Pfarrkirche St. Katharina ragt aus dem Reschensee.

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Vom Ossarium an der Reschenpassstraße bietet sich ein herrlicher Blick auf das Kloster Marienberg.

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In Laatsch kurz vor der Schweizer Grenze geht es unter der Chiesa di San Leonhard hindurch. 

Ich fahre durch mehrere Galerien mit ziemlich schlechtem Straßenbelag. Vorbei am kleineren Haidersee erreiche ich Mals. Die vorletzte Kehre des Reschenpasses bietet einen hervorragenden Blick auf das Kloster Marienberg. An dieser Kehre befindet sich das kreisförmige Ossarium (Beinhaus) mit Urnengräbern von angeblich gefallenen Soldaten des ersten Weltkrieges. Die hier befindlichen Gebeine stammen aber vielmehr von unterschiedlichen, teils weiter entfernten Soldatenfriedhöfen. Auch sterbliche Überreste der österreichisch-ungarischen Streitkräfte sind dort beigesetzt. 2011 wurden, um Irritationen auszuschließen, erklärende Tafeln angebracht. Ein Stopp direkt vor dem Ossarium ist gut zu meistern. Den Blinker früh genug setzen, denn hier wird in der Regel zügig gefahren. Der „Parkplatz“ ist nicht asphaltiert.
Vor der bevorstehenden Einreise in die Schweiz tanke ich das Motorrad nochmal voll. Am Ortseingang von Mals befindet sich eine relativ günstige Tankstelle. An der angegliederten Restauration gibt es zudem den letzten echt italienischen Cappuccino vor der Grenze. Bis zur italienisch-schweizerischen Grenze sind es noch rund 10 Kilometer. Die Zollstation ist nicht besetzt. Somit erfolgt die Einreise in die „italienische“ Schweiz ohne jegliche Kontrolle.
Kaum in der Schweiz angekommen beginnt es zu regnen. Ausgerechnet jetzt, wo ich eigentlich den Umbrailpass bei schönem Wetter erleben will. Aber das Wetter kann man sich halt nicht aussuchen. Also ziehe ich meine Regenklamotten an und mache mich auf den Weg, die an sich wunderschöne Passstraße zu fahren. In Santa Maria im Münstertal zweigt scharf links die mit Serpentinen gespickte Passstraße zum Umbrail ab. Der Umbrailpass ist er Grenzpass zwischen der Schweiz und Italien.

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Die Umbrailpasshöhe empfängt mich leider bei Regen …

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… und das attraktive Bormio auch.

Die umliegenden Berggipfel und die an sich sattgrüne Landschaft verbergen sich hinter dem wolkenverhangenen Himmel. Auf der Passhöhe des Umbrail auf 2.503 Metern ist es bitterkalt – lediglich 6 Grad zeigt das Thermometer an. Also nur ein kurzes Passfoto und gleich weiter Richtung Bormio, in der Hoffnung, dass es dort trocken und wärmer ist. Bei schönem Wetter wäre auch noch ein kurzer Abstecher zum Passo dello Stelvio denkbar. Da ich dort schon öfter war und wegen des schlechten Wetters, spare ich mir die Auffahrt zum Stilfserjoch. Meine Hoffnung auf besseres Wetter in Bormio zerschlägt sich: In Bormio regnet es noch ergiebiger. Laut Regenradar soll sich der Regen aber bald verziehen oder zumindest weniger werden.
Am Stadthaus mit seinem vorgelagerten Gefallenendenkmal finde ich etwas Schutz unter einem Baum. Eine etwas längere Besichtigungstour durch Bormio verschiebe ich auf einen unbestimmten Zeitraum. Zum Aufwärmen wäre jetzt ein Besuch der Bormio Therme erste Wahl. Leider fehlt mir hierzu die Zeit und Badesachen habe ich natürlich auch nicht im Gepäck.

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Der Passo Foscagno liegt zwischen Bormio und Livigno.

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Im Skifahrer-Hotspot Livigno kann man zollfrei einkaufen und günstig tanken. 

Die Prognose des Regenradars bewahrheitet sich. Zwar zeigt sich der Himmel immer noch grau in grau, aber zumindest von oben ist es trocken. Das nächste größere Ziel ist das zollfreie Livigno – ebenso wie Bormio eine sehr bekannte Destination, wenn es um den Skizirkus im Winter geht. Zwischen Bormio und Livigno bäumen sich die zügig zu fahrenden Pässe Foscagno und d’Eira auf. Auf der Passhöhe des Foscagno auf 2.291 Metern lege ich nochmal einen kurzen Stopp ein und genieße die Aussicht, denn ein wenig blauer Himmel blitzt durch die sonst geschlossene Wolkendecke. Auf dem Passo d’Eira auf 2.208 Metern beginnt es wieder zu nieseln. Das bleibt auch so, bis ich nach ein paar Spitzkehren Livigno erreiche.
Der langgezogene Ort, der quasi ein Ausläufer des Lago de Livigno ist, ist zollfrei. Mit rund 7.000 Einwohnern ein eher beschaulicher Ort – außer im Winter, wenn die Wintersportler in den Ort einfallen. Auch wenn ich noch genug Sprit im Tank habe, nutze ich doch die Möglichkeit des zollfreien Tankens: ein Liter Senza Piombo kostet grade mal 1,36 Euro. Heute morgen in Mals wurden 1,80 Euro für einen Liter Sprit aufgerufen.
Es liegt nun eine sehr schöne Strecke vor mir. Entlang des Lago de Livigno fahre ich rund 10 Kilometer bis zum Grenztunnel Munt la Schera, über den ich wieder in die Schweiz komme. Der Tunnel verbindet das Engadin mit der italienischen Provinz Sondrio. Die Durchfahrt ist kostenpflichtig, bezahlt wird hier kontaktlos mit elf Schweizer Franken. Direkt an der Mautstation auf der riesigen Staumauer des Livignosees verläuft die italienisch-schweizerische Grenze. Der Tunnel ist nur einspurig zu befahren und durch einen Ampelschaltung geregelt. Wenn die Ampel gerade auf Rot geschaltet hat, muss man mit bis zu fünfzehn Minuten Wartezeit bis zur nächsten Grünphase rechnen. Schnurgerade geht es anschließend 3,4 Kilometer unter dem Berg Munt la Schera hindurch. Der Tunnel wurde Mitte der 60er Jahre durch den Berg getrieben, ist sehr gut ausgebaut und hell beleuchtet. Er diente damals zum Transport von Baumaterialien für die Bogenstaumauer am Südportal.

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Von Livigno geht’s bis zur Schweizer Grenze immer linksseitig am ruhigen Livignosee entlang.

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Der Tunnel Munt La Schera liegt schon in der Schweiz ist aber quasi der Verbindungstunnel zwischen Iatlien und der Schweiz. Die Durchfahrt kostet 11 Scheizer Franken.

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Susch: schöne kleine Ortschaft im Unterengadin.

Nach der Ausfahrt des Tunnels am Nordportal kann man rechts zum Ofenpass fahren oder links nach Zernez. Ich biege links ab und erreiche auf dem Weg nach Zernez den Ova Spin (1.850 m) nach ein paar Kilometern. Ein weiterer großer Stausee, der Lai dad Ova Spin, befindet sich in unmittelbarer Nähe. In dem kleinen Gasthaus „Ova Spin – die Perle am Ofenpass“ lege ich eine kurze Rast ein. Das Wetter hat sich einigermaßen beruhigt, sonnige Abschnitte wechseln sich mit dichten Wolken ab. Die vor mir liegende Strecke durchs Unterengadin mit ihren sanft geschwungenen Kurven besticht durch eine wundervolle Landschaft mit vielen kleineren Ortschaften im typischen engadiner Flair. Es gibt auf den rund 50 Kilometern allerdings auch mehrere Baustellen mit Ampelregelung. Wann die Bau- und Sanierungsarbeiten auf der Route 27 beendet sind, ist nicht absehbar. Bei meiner letzten Tour durch das Unterengadin vor fünf Jahren waren die Baustellen, wenngleich an anderen Stellen, auch schon da.
In Zernez gesellt sich der Inn der Strecke hinzu und begleitet mich rechtsseitig bis zum Ende der Route 27 in Martina. Der Inn führt für diese Jahreszeit außerordentlich viel schlammgrünes Wasser durch die ergiebigen Regenfälle der letzten Wochen.
Nach gut einer Stunde Fahrtzeit erreiche ich Martina, die Grenzstadt zwischen der Schweiz und Österreich. Von dort geht es über die Norbertshöhe nach Nauders in Österreich. Aber erst später, denn ich fahre vorher noch über die Schweizer Seite in die nächste zollfreie Region, genauer nach Samnaun.
Samnaun hat rund 800 Einwohner und den Status eines Zollausschlussgebietes schon seit 1892. Hier gibt es allerlei Konsumgüter, Schokolade, Parfum, Spirituosen, Tabakwaren etc. zollfrei und entsprechend günstig zu kaufen. Als Nicht-Schweizer darf man gekaufte Ware zollfrei ausführen. Schweizer selbst müssen ihre Einkäufe aus Samnaun, die die Freimenge überschreiten, am Zoll in Martina verzollen.

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Eine weitere zollfreie Zone: das Städtchen Samnaun liegt in der Schweiz.

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Das Schloss Naudersberg ist das Wahrzeichen von Nauders und thront von weit her sichtbar auf einem Gipfel.

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Auf der Norbertshöhe lohnt sich ein Stopp.

Ich betreibe ein wenig Grenzhopping: Über die Spisser Landstraße, vorbei am Laufkraftwerk Spissermühle, erreiche ich wieder Österreich. Bei Schalkl geht’s wieder in die Schweiz und in Martina wieder nach Österreich.
In Martina fahre ich ohne jegliche Zollkon-trolle über die Norbertshöhe nach Nauders.  Die Norbertshöhe schraubt sich über 11 numerierte Kehren auf 1.405 Meter nach oben. Die Norbertshöhe ist die Verbindungsstraße vom Unterengadin, Schweiz,  nach Tirol, Österreich. Auf der Passhöhe bietet sich ein herrlicher Blick auf Nauders und die Umgebung. Kleiner Tipp: Unbedingt anhalten und die Aussicht genießen. Hier trifft man oft Gleichgesinnte für einen kleinen Plausch.
Nauders ist ein klassischer Wintersportort, der aber auch in den Sommermonaten von Wanderern, Fahrrad- und Motorradfahrern gut besucht ist. Die rund 4.200 Gästebetten sprechen hier eine deutliche Sprache, wenn man bedenkt, dass Nauders knapp 1.600 Einwohner zählt. Über dem Ort thront auf einem kleinen Gipfel das Schloss Naudersberg. Die ehemalige Gerichtsburg wurde Anfang des 14. Jahrhunderts erbaut, 1499 niedergebrannt, danach wieder aufgebaut und ständig erweitert. Nach dem Wiederaufbau wurde das Schloss Naudersberg als Gerichtsgebäude und Gefängnis genutzt. Heute befindet sich das Schloss in Privatbesitz und beherbergt neben zwei Ferienwohnungen eine Gastronomie und ein Museum.
Hier in Nauders ist meine Tour fast zu Ende. Es sind nur noch wenige Kilometer bis zum Reschenpass und zum Hotel. Trotz den teils widrigen Wetterverhältnissen war die Rundtour ein Erlebnis mit drei Ländern an einem Tag.     

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Die Route durch drei Länder bin ich im Uhrzeigersinn gefahren.

Fakten zur Tour

Länge: 230 Kilometer
Kalkulierte Fahrtzeit ohne Pausen und Besichtigungen: 4,5 Stunden
Calimoto-Kurvenlevel: 114
Tankstellen-Infrastruktur: Sehr gut, sehr günstiger Sprit in Livigno und Samnaun
Kioske und Wirtshäuser: Gasthaus Alpenrose bei der Auffahrt zum Umbrail; Ristoro Fopel an der Westseite des Lago di Livigno; Ova Spin – die Perle des Ofenpasses zwischen Munt la Schera Tunnel und Zernez sowie in den meisten belebten Orten.
Empfohlene Reisezeit: Anfang Juli – Ende September

Fotos: Guido Schmidt

Die bmm-Hotelempfehlung

Hotel am Reschensee
Hauptstrasse 14 • I-39027 Reschen

MoHo-Motorradhotel direkt am Reschensee mit einem Top-Angebot für Motorradfahrer. MoHo-klassifiziert mit der höchsten Kategorie. Übernachtung mit reichhaltigem Frühstücksbuffet für einen optimalen Start in den Tag und optionaler, landestypischer Halbpension. Modern eingerichtete Zimmer mit Balkon und weitläufigem Ausblick auf den Reschensee. Rooftop mit Saunalandschaft und einzigartigem Ausblick. Überdachter Motorrad-Abstellplatz hinter dem Haus.
www.hotel-reschensee.com        moho.info  

Hotel Traube Post
Claudia-Augusta-Straße 10 • I-39027 Graun

Inhabergeführtes MoHo-Motorradhotel unweit des berühmten Kirchturms im Wasser des Reschensees. MoHo-klassifiziert mit 4 Helmen. Übernachtung mit ausgiebigem Frühstücksbuffet und optionaler Gourmet-Halbpension. Modern eingerichtete Zimmer mit Balkon. Großes Spa für die Entspannung nach der Tour. Kostenloser Garagenplatz für Motorrad und/oder Anhänger.
www.traube-post.it        moho.info  

MoHo-Tourenkarte inklusive Merchandising bei Buchung über MoHo gibt es bei beiden Hotel dazu.

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Über den AUTOR

Guido Schmidt

Inhaber und Verleger des bmm.
Fährt privat eine Honda CB 1100 RS und eine Triumph Rocket 3.
Schreibt überwiegend Reiseberichte, über Regionales, Veranstaltungen und Produkttests.

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