Im Bann der Insel

Road Racing zählt zweifelsohne zum Aufregendsten, was man als Racing-Fan erleben kann. Auch wenn die wahrscheinlich gefährlichste Form des Motorsports nicht ganz so bekannt ist wie Superbike-WM oder MotoGP, gibt es in Deutschland und im angrenzenden Ausland einige Möglichkeiten, Rennen auf öffentlichen Straßen live zu erleben. So werden zum Beispiel im Rahmen der International Road Racing Championship unter anderem im belgischen Chimay, in Schleiz und in Frohburg sowie in Horˇice in Tschechien echte Straßenrennen ausgetragen. Es gibt aber eine Veranstaltung, die man einmal in seinem Leben besucht haben MUSS: die Tourist Trophy auf der Isle of Man.

Steueroase und Rennsport-Mekka

In der Irischen See, ungefähr zwischen Liverpool in England und Belfast in Nordirland gelegen, ist die Insel bei Normalsterblichen so unbekannt, dass selbst das Sicherheits- und Servicepersonal am Flughafen bei der Hinreise fragen musste, was eigentlich diese Isle of Man ist und weshalb man dahin will. Einzig dem Geldadel ist das Eiland vermutlich ein Begriff, da es als autonomer Kronbesitz weder zu Großbritannien noch zur EU gehört und so reichen Privatpersonen und Unternehmen als Steueroase dient. Wer nicht gerade seine finanziellen Schäfchen ins Trockene bringen möchte, kann auf der beschaulichen Insel auch einen entschleunigenden Wanderurlaub machen. Die meisten Touristen reisen aber an, um das älteste noch existierende Motorradrennen live zu erleben.
Seit 1907 findet hier mit der Tourist Trophy die wohl spektakulärste Rennveranstaltung überhaupt statt. Seit 1911 werden die Rennen auf dem gut 60 Kilometer langen Snaefell-Mountain-Kurs ausgetragen, der Streckenverlauf ist seither unverändert. Die Besonderheit: Die Rennen finden auf öffentlichen Straßen statt, die auch während der zweiwöchigen TT nur kurz für die Trainings, Qualifyings und Rennen gesperrt werden.
War bei den ersten Rennen noch das Mitführen von Werkzeug vorgeschrieben, treten die Piloten heute in den Hauptrennen auf Motorrädern mit Superbike-Spezifikation an, die Geschwindigkeiten sind entsprechend. Der aktuelle Rundenrekord von Peter Hickman liegt bei 16:36,115 Minuten, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von wahnwitzigen 219,4 km/h entspricht.

Fallert Achern Team

„Milky“ Quaile betreut die Newcomer. Während der Rennwoche erklärt er auch Laien, worauf es bei der Tourist Trophy ankommt.

Fallert Achern Team

Gestartet wird bei der TT im 10-Sekunden-Takt. Die Spannung ist auch für Außenstehende greifbar.

360 Kilometer Vollgas

So atemberaubend die zugehörigen Aufnahmen sind – wie verrückt das tatsächlich ist, realisiert man erst, wenn man selbst vor Ort ist. Schon die Fahrt mit dem Auto und bei normalem Tempo über die Start/Ziel-Gerade lässt einen nur mit dem Kopf schütteln, so wellig ist hier der Asphalt. Kaum vorzustellen, wie sich das im Rennen und bei weit über 200 km/h anfühlt.
Einen ungefähren Eindruck davon, was auf dem Motorrad im Renntempo passiert, weiß Richard Quaile zu vermitteln. Heute im normalen Leben Busfahrer auf der Insel, konnte der Manxman, den alle nur „Milky“ nennen, bei der TT selbst vier Siege einfahren, bis ihn ein Sturz im Jahr 2003 fast aus dem Leben riss und seiner aktiven Karriere im Rennsport ein jähes Ende setzte. Doch auch nach seinem Unfall ist er der TT verbunden geblieben und betreut heute die Newcomer bei der Tourist Trophy.
Im Rahmenprogramm der Rennwoche kann man ihn immer wieder dabei erleben, wie er eine On-Board-Runde auf dem TT-Kurs moderiert. Wobei man hier eher von einer Performance sprechen muss. Mit vollem Körpereinsatz nimmt er sein Publikum mit auf eine Runde um den Mountain Course und beschreibt fast ohne Luft zu holen, was es von Fahrbahneigenschaften, Motorradverhalten, Licht- und Windverhältnissen sowie Körperposition alles zu beachten gibt.
Was Milky schon als Trockenübung außer Atem bringt, erwartet die Fahrer bei der Senior-TT sechsmal in Folge. Die einzige Verschnaufpause im Rennen über sechs Runden und mehr als 360 Kilometer bieten zwei kurze Boxenstopps, um nach jeweils zwei Runden die 24-Liter-Tanks wieder zu befüllen und die Reifen zu wechseln.
Wie intensiv sich die Teilnehmenden auf den ersten Einsatz auf der Insel vorbereiten müssen, weiß auch der Österreicher Julian Trummer, aktuell schnellster nicht-englischsprachiger Pilot auf dem Kurs: „Mein erstes Rennen bin ich auf dem Mountain Course nicht bei der TT, sondern beim Manx Grand Prix gefahren. Die Veranstaltung findet im Spätsommer statt und ist eine Art Einsteiger-Event für die TT. Ich habe immer davon geträumt, auf der Isle of Man zu fahren, bin aber vorher nie bei einem Straßenrennen gestartet. Daher habe ich sogar Rennergebnisse gefälscht, die man vorweisen muss, um hier starten zu können. Heute geht das zum Glück nicht mehr. Um mich bestmöglich vorzubereiten, habe ich hunderte Stunden damit zugebracht, Onboard- und Videoaufnahmen zu studieren. Am Ende war ich bester Newcomer und habe so den Sprung zur Tourist Trophy geschafft.“
Dass auch erfahrene Piloten auf dem herausfordernden Kurs nicht vor Stürzen gefeit sind, mussten sowohl der Deutsche David Datzer als auch der 14-fache TT-Sieger Peter Hickman in diesem Jahr erfahren. Beide Piloten gingen während der Rennen zu Boden, kamen aber mit dem Schrecken davon.

Fallert Achern Team

Joey Dunlop bekam auf der Insel seine eigene Statue. Seit diesem Jahr ist sein Neffe Michael der neue König am Berg.

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Julian Trummer fuhr sein erstes Straßenrennen auf der Isle of Man und ist aktuell der schnellste nicht-englischsprachige Fahrer.

Das Wetter entscheidet mit

Neben Fahrfehlern, technischen Problemen und der Strecke selbst hat auch das Wetter einen immensen Einfluss auf die Veranstaltung. Während die TT im vergangenen Jahr sowohl in der Trainings- als auch in der Rennwoche von perfekten Bedingungen geprägt war, herrschte 2024 wieder typisches Inselwetter mit vielen Schauern und starkem Wind. Letztgenannter ist auf der Insel so typisch, dass es mit „Windy Corner“ sogar einen entsprechend benannten Streckenabschnitt gibt.
Sind die Böen noch ein verkraftbares Übel, verursacht der Regen regelmäßig Abbrüche von Training und Rennen, da bei der TT ausschließlich auf Slicks oder minimal profilierten Rennreifen gestartet wird. Aufgrund der Länge des Kurses kommt es dabei nicht selten vor, dass es in der Inselhauptstadt Douglas sonnig, im Bereich des höchsten Streckenteils um den Snaefell-Mountain aber wolkenverhangen und nass ist.
Aus Zuschauersicht erstaunlich ist, dass die Verschiebungen und Ausfälle eigentlich keinen Einfluss auf die Stimmung haben. In den zwei Tagen vor Ort fanden drei der vier angesetzten Rennen nicht statt, dennoch hatte man nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Zu intensiv und vielfältig sind die Eindrücke. Anders verhält sich die emotionale Belastung natürlich bei Teams und Fahrern. Selbst vor den Warm-Up-Runden ist die Anspannung am Vorstart so groß, dass man sie fast greifen kann.

Für immer mit der Insel verbunden

Ist die Tourist Trophy für jeden vor Ort ein außergewöhnliches Erlebnis, gab es eine Person, für die die 2024er TT im wahrsten Sinne des Wortes von historischer Bedeutung war: Michael Dunlop. Seit über 40 Jahren prägt die Familie Dunlop die Geschehnisse bei der TT. Michaels Bruder William fuhr mehrfach aufs Podium, sein Vater Robert konnte hier Siege feiern, sein Onkel Joey war mit insgesamt 26 Siegen über zwei Jahrzehnte der unangefochtene „King of the Mountain“. Das änderte sich aber im Metzeler-SuperTwin-Rennen. Schon im ersten Supersport-Rennen konnte Michael Dunlop mit seinem bereits im Jahr 2000 verstorbenen Onkel gleichziehen, im anschließenden RST-Superbike-Rennen vereitelte aber ein loses Visier den 27. Sieg.
Das erste SuperTwin-Rennen musste aufgrund nasser Strecke von Dienstag auf Mittwoch verschoben werden, und auch am Ersatztermin waren die Bedingungen mit nur knapp zweistelligen Temperaturen und stürmischem Wind alles andere als optimal. Michael Dunlop ließ sich davon aber nicht beirren. Während der böige Wind an unserem Streckenabschnitt „Bungalow“ Stühle durch die Gegend wehte und Mützen von Köpfen riss, distanzierte Dunlop den aktuellen Rundenrekordhalter Peter Hickman um über 20 Sekunden und krönte sich mit dem Sieg zum neuen King of the Mountain. Der 35-Jährige konnte anschließend auch das zweite Supersport- und SuperTwin-Rennen für sich entscheiden und ist nun mit 29 TT-Siegen vor seinem Onkel Joey und John McGuinness (23 Siege) die unangefochtene Nummer eins.

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Peter Hickman ist auch nach der TT 2024 der schnellste Mann auf der Isle of Man.

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Die Anreise auf die Insel ist auch mit dem Motorrad möglich. Die Strecke kann zwischen den Rennen befahren werden.

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Nostalgisch: Das Victory Café ist nicht nur bei schlechtem Wetter einen Besuch wert.

Eine neue Generation

Aber auch die folgende Generation zeigte bei der 2024er TT, dass sie die Zukunft mitgestalten will. So beendete der 28-jährige Brite Davey Todd, der 2018 seine TT-Premiere feierte, mit seinem ersten Sieg im Superstock-Rennen die seit 2019 währende Siegesserie von Peter Hickman in der Stock-Klasse. Mit seinem souveränen Sieg beim Abschlussrennen, der Senior-TT, legte er am letzten Tag noch mal nach. Auch wenn Todd schon in seinem Debütjahr eine große Karriere vorausgesagt wurde, hat er doch fünf Jahre benötigt, um auf dem anspruchsvollen Kurs ein Rennen zu gewinnen. Es bedarf hier einfach viel Erfahrung und Zeit, um die Tourist Trophy mit all ihren Besonderheiten zu erfassen.
Das gilt auch aus Zuschauerperspektive. Wer in das Erlebnis Isle of Man eintauchen und alle Facetten der TT erleben will, muss mehr als einmal dort gewesen sein. Der erste Besuch vermittelt eine Ahnung davon, was die Veranstaltung ausmacht und weshalb es seit 117 Jahren Fans und Teilnehmende anzieht. Das große Ganze versteht man dann aber noch nicht und wer einmal dort war, will auf jeden Fall wieder hin.

Text: D. Dürrfeld; Fotos: Jonathan Cole, David Maginnis, D. Dürrfeld