Kristallklare Seen, einladende Biergärten, imposante Kirchen, stille Klöster, Lüftlmalereien an Hausfassaden und am Horizont die Alpen – das ist oberbayerische Vielfalt auf tadellosen Nebenstrecken zwischen den Strömen von Lech und Loisach.
Gehören zusammen wie PS und Drehzahl: Der mit ansehnlichen Kirchenbauten gespickte Pfaffenwinkel und das bei Wassersportlern beliebte Fünfseenland. Der Fährbetrieb auf dem Ammersee war einst ein Privileg der Fischer, nur sie durften die Pilger von und nach Kloster Andechs übersetzen. Bei vollem Kahn wurden die Zurückbleibenden mit dem Ruf „Wart‘s a Weil“ bis zum Eintreffen des nächsten Bootes vertröstet. So kam das Dörfchen Wartaweil am östlichen Ufer zu seinem ungewöhnlichen Namen. Wir warten nicht und preschen südwärts ins Alpenvorland, die Berge am Horizont fest im Blick. Lange vor Telefon, Funk und Fernsehen sorgten Priester in den zahlreichen Gotteshäusern für gute Verbindungen nach „oben“. Mit Beginn der Raumfahrt wurden 1964 in Raisting riesige Parabolantennen errichtet, um die Kommunikation mit Nachrichtensatelliten zu ermöglichen. Das nicht zu übersehende weiße Radom der Erdfunkstelle gleicht einem überdimensionierten Champignon, unter dessen Hülle sich eine Schüssel mit 25 Metern Durchmesser verbirgt. Zur Jahrtausendwende wurde das Ohr ins All deaktiviert und unter Denkmalschutz gestellt.
Auf unserem Weg in den Pfaffenwinkel queren wir mehrmals die Ammer, die den nördlich gelegenen See mit reichlich Wasser versorgt. Nach den unspektakulären Ortsdurchfahrten von Weilheim und Peißenberg geht es hin-aus ins sanft gewellte Land, wo das Teerband schmaler und die Blicke weiter werden. Nur wenige Dörfer verlangen nach dem Einsatz der Bremsen, auch die Ammerschlucht bei Rottenbuch stellt kein Hindernis dar. Die sich anschließende Etappe nach Staltannen an der B 17 ist genau so schön geschwungen wie die zwiebelförmigen Hauben der passierten Kirchen. Als dann die wuchtigen Türme des ehemaligen Klosters in Steingaden auftauchen, heißt es rechts nach Lechbruck abzubiegen. Die Herkunft des Namens dieser heiligen Landschaft lässt sich nicht genau bestimmen, vermutlich wurde das lateinische „Anguli Monachorum“ mit „Ecke der Mönche“ übersetzt und fand im 18. Jahrhundert als Pfaffenwinkel Einzug in den Sprachschatz der einfachen Leute. Hier trifft man auf die höchste Dichte an Sakralbauten in ganz Deutschland. Auf unserer Tour werden wir noch den Klöstern Wessobrunn, Dießen, Bernried und Andechs begegnen.
Weltraumohren: In Raisting ermöglichen seit 1964 riesige Parabolantennen die Kommunikation mit Nachrichtensatelliten im All.
Die Jakobsmuschel verrät es: Über den Peißenberg führt eine Pilgerroute aus der Landeshauptstadt München zum Bodensee.
Der aus Tirol stammende Lech verlässt bei Füssen die Alpen, strebt mehrfach aufgestaut nordwärts der Donau entgegen und bildet bis Landsberg die Region Lechrain, einen breiten Landstrich, der einst das Schwäbische vom Bayerischen trennte und heute als westliche Grenze des Pfaffenwinkels gilt. Widerstandslos ergeben wir uns dem Reiz der Nebenstrecke und folgen dem Lech in respektvollem Abstand über Bernbeuren stromabwärts. In Hohenfurch treffen wir erneut auf die B 17, die wir aber ganz schnell wieder verlassen, um den wunderschönen Lechblick in Kinsau zu genießen. Wer genau hinschaut, entdeckt von einer Anhöhe aus nicht nur die nahen Kirchen von Kinsau und Apfeldorf, sondern am Horizont auch die von Ludenhausen. Große Entfernungen waren für die Legionen des römischen Imperiums kein Problem. Die kampferprobten Armeen zogen über Alpenpässe, folgten Flussläufen und bauten bedeutende Heer- und Handelsstraßen. Zwischen Augsburg und Italien verlief vor rund zweitausend Jahren die bedeutende Via Claudia Augusta. Den Abschnitt entlang des Lechs hatten die Legionäre des „Oppidum Abodiacum“, wie das nahe Epfach damals hieß, zu sichern, denn hier kreuzte eine nicht minder wichtige Verbindung von Bregenz nach Salzburg. Salve! Am Eingang des in einer Flussschleife gelegenen Ortes grüßt uns die Büste eines speertragenden Römers und im Zentrum wartet das zum schmucken Museum umgewandelte Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr. Gern klappen wir hier die Seitenständer aus, um uns ein Bild über das Leben und Wirken der ehemaligen Invasoren zu verschaffen.
Unter den wachsamen Augen eines steinernen Brückenheiligen rollen wir wenig später aufs Ostufer hinüber, um von Reichling aus den Lechrain diesmal stromaufwärts zu erkunden. Wer im Weiler Apfeldorf der Ausschilderung „Birkland“ folgt, wird nicht enttäuscht: Griffiger Teer, der keinen Mittelstreifen kennt, windet sich durch Wiesen, schlängelt sich durch Wäldchen, lässt uns über Hügel hüpfen und versprüht dabei jede Menge Fahrspaß. Schon von weitem erkennen wir unser nächstes Ziel, den fast tausend Meter aufragenden Hohen Peißenberg. Leicht fahrbare Serpentinen lassen uns dem weiß-blauen Himmel schnell näher kommen. Das Gipfelplateau teilen sich Gasthaus, Observatorium und die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt, deren Grundmauern aus dem 16. Jahrhundert stammen. Obwohl deutlich jünger, gilt das Meteorologische Observatorium als die älteste Bergwetterstation weltweit, denn schon seit 1781 werden hier Wetterbeobachtungen durchgeführt und Messwerte festgehalten. Und im benachbarten Wirtshaus lässt sich bei einem Weißbier vortrefflich über den Klimawandel streiten. Unstrittig ist das phantastische Panorama: Während im Süden der Blick vom Estergebirge über die Ammergauer Alpen bis zu den Tannheimer Bergen reicht, lässt sich im Nordosten der Ammersee erahnen.
Himmel auf Erden: Das Dießener Marienmünster, eine der großartigsten Barockkirchen Süddeutschlands, protzt mit feinsten Deckenmalereien.
Der Mann mit dem goldenen Fisch: „Der Diez“ trägt seinen kapitalen Fang aus dem Ammersee ins Zentrum des Fischerortes Dießen.
Salve Motorradfahrer! Nahe Epfach sicherten vor rund 2000 Jahren Legionäre des Oppidum Abodiacum zwei bedeutende Römerstraßen.
Wir umrunden den Berg im Uhrzeigersinn und finden uns, kaum dass wir nach Sankt Leonhard abgebogen sind, auf einer verkehrsarmen Kreisstraße wieder. Der Asphalt geizt mit Breite, protzt aber mit Biegungen aller Güteklassen und trägt uns wie auf grünen Wogen durch eine traumhafte Modelleisenbahnlandschaft. Kurz vor Zellsee dann der Rücksturz in die Realität: In einer stockdunklen Waldpassage lassen mit Rollsplitt verunreinigte Kurven das ABS rattern und den Adrenalinspiegel urplötzlich in die Höhe schnellen. Herrlich beruhigend wirkt das stille Kloster Wessobrunn, das wir kurz darauf erreichen. Von der ursprünglichen Bausubstanz der im 8. Jahrhundert gegründeten Anlage blieb nur der wuchtige Glockenturm erhalten, der sich überdeutlich von der eher filigranen Pfarrkirche St. Johannes Baptist abhebt. Kein Wunder, denn der mit dem Spitznamen „Grauer Herzog“ versehene Turm besteht aus mächtigen Steinquadern und sollte den Anwohnern bei Gefahr Schutz bieten. Hier war es scheinbar so sicher und friedlich, dass eines der ältesten in deutscher Sprache auf Pergament verfassten Gedichte im Verborgenen überdauern konnte, das sogenannte Wessobrunner Gebet. Im Ort soll es einen Felsblock geben, auf dem das über 1.200 Jahre alte Werk eingemeißelt in Althochdeutsch zu lesen ist. Mehrmals fahren wir die Dorfstraße auf und ab, bis wir den mannshohen Granitblock gut versteckt im Schatten eines Baumes vor dem Gasthof zur Post finden.
Nach ein paar Schaltvorgängen setzen wir in Rott den Blinker und biegen nach Dießen ab. Die rund zwölf Kilometer lange Verbindung zum Ammersee entpuppt sich als echtes Schmankerl und versprüht reichlich Fahrfreude ohne böse Überraschungen. Mit den ersten begeisternden Blicken auf den langgestreckten See verlassen wir den Pfaffenwinkel und wechseln ins Fünfseenland. Was nicht heißen soll, dass es dort an Kirchen, Klöstern und Kruzifixen mangelt. Da wäre das von weitem sichtbare Dießener Marienmünster, das wir nach ein paar Schlenkern abwärts erreichen. Es ist eine der großartigsten Barockkirchen Süddeutschlands, bekannt durch prachtvolle Deckenmalereien, dem sogenannten „Dießener Himmel“. Szenenwechsel! An das harte und entbehrungsreiche Leben der einfachen Leute erinnert am Untermüllerplatz „Der Diez“: Die auf einem hohen Pfahl stehende Statue zeigt einen Fischer, der stolz seinen kapitalen Fang vom See zum Markt trägt. Der Platz am Ende der Mühlstraße bietet gleich drei Restaurants – je nach Lust und Laune können wir zwischen urbayerisch, original italienisch oder international wählen. Unsere geliebten Maschinen stehen währenddessen in Sichtweite auf kostenlosen Bikeparkplätzen. Und nach dem Essen einen Espresso mit Blick auf den See genießen? Kein Problem! Einfach ein paar Schritte unter den Bahngleisen hindurch zur Dampferanlegestelle – dort wartet schon der Seekiosk mit allerlei Kaffeespezialitäten.
Das Westufer des Ammersees kann getrost als nett, aber unspektakulär bezeichnet werden, fahrerisch wenig anspruchsvoll, knausert es auch mit Aussichten auf das Gewässer. Mit dem Abbiegen auf die parallel zur Autobahn führende Straße nach Inning befahren wir wieder einmal historischen Boden. Wo heute die A 96 München mit dem Bodensee verbindet, verlief einst ein wichtiger Handelsweg, auf dem Salz, das weiße Gold, transportiert wurde. Nicht an die Ware, sondern an einen gekrönten Reisenden und sein riesiges Heer erinnert das beeindruckende Wandgemälde am „Kaiserhaus“: Vor rund tausend Jahren zog Kaiser Heinrich II., der Heilige, mit 60.000 Mann durch Inning nach Italien, wobei er hier über Nacht blieb. Wir sind noch hellwach und die Tanks noch gut gefüllt. Die sich anschließenden Höhen von Breitbrunn überraschen mit ganz großem Kino – der nahe Ammersee zeigt sich in bayrisch blau, die weit entfernten Alpengipfel kleiden sich mit weißen Mützen. Im quirligen Herrsching angekommen, biegen wir auch schon zum Pilsensee ab, der sich aber, wohl wegen seiner geringen Größe, schüchtern hinter einer dichten Blätterwand verbirgt. Als Entschädigung entführt uns eine nette Nebenstrecke im Uhrzeigersinn um den benachbarten Wörthsee, der mit einer einladenden Badestelle punkten kann. Während wir uns auf der Liegewiese im Halbschatten rekeln, parken unsere Maschinen in Kirschkernspuckweite auf gebührenfreien Stellplätzen. Um den kleinsten Vertreter unserer Fünf-Seen-Fahrt auf der Straßenkarte zu entdecken, müssen wir schon genauer hinschauen, denn der Weßlinger See ist kaum größer als ein Swimmingpool. Was ihm an Weite fehlt, machen die umliegenden Straßen durch reichlich Fahrspaß wieder wett: Von der Wasserfläche geleitet uns eine reizvolle Trasse windungsreich hinauf nach Unering, um von dort über etliche Kurven steil nach Seefeld hinab zu stürzen, bevor der Anstieg zum Widdersberg zu bewältigen ist. Nach diesem vergnüglichen Auf und Ab ist entspanntes Touren im hohen Gang nach Starnberg an der nördlichen Spitze des gleichnamigen Sees angesagt. Doch die schön runden Kurven um Söcking geraten schnell in Vergessenheit, als wir kurz darauf im zähfließenden Verkehr dahin schleichen – halb München scheint Ruhe und Erholung am größten der fünf Seen zu suchen.
Sicher ist sicher: Bei drohender Gefahr sollte der wuchtige Turm den Bewohnern des Wessobrunner Klosters Schutz bieten.
Historische Nord-Süd-Verbindung: Schon vor tausend Jahren passierten Italienreisende das beschauliche Inning am Ammersee.
Ein ewiges Rätsel: Die überdimensionierte Krone im Kreisverkehr von Berg erinnert an den mysteriösen Tod des Märchenkönigs Ludwig II.
Steckerlfisch, ein bayerischer Klassiker: Ausgenommen, aufgespießt, mariniert und gegrillt – Saiblinge und Forellen als leckerer Snack.
Dem Tohuwabohu entronnen, weist kurz darauf eine überdimensionierte Krone im Kreisverkehr von Berg auf eine traurige Begebenheit hin: Die unstillbare Bauwut des Märchenkönigs Ludwig II. brachte Bayern an den Rand des finanziellen Ruins. Entmündigt und entmachtet, zog man den Monarchen und seinen Arzt im Sommer 1886 am nahen Ufer tot aus dem Wasser. Mord oder Selbstmord – die mysteriösen Umstände blieben bis heute ungeklärt. Kein Wunder, hatte der blaublütige Exzentriker noch zu Lebzeiten verkündet: „Ein ewig Rätsel will ich bleiben, mir und anderen“. Völlig klar ist, dass die Seestraße entlang des Ostufers für den Durchgangsverkehr gesperrt ist, denn ein übergroßes Verbotsschild verlangt, über Münsing an den südlichen Zipfel des langgestreckten Gewässers zu cruisen, wo weiße Segeldreiecke die glitzernde Wasserfläche verzieren. Als ebenbürtiges Pendant zum Märchenkönig wartet Possenhofen am westlichen Ufer mit „Sisi“ auf, der späteren österreichischen Kaiserin, die im hiesigen Schloss ihre Kindheit verbrachte. Vielleicht hat sie ja in den Sommermonaten an der Badestelle Possenhofener Paradies Erfrischung gesucht und nebenbei das tolle Seepanorama und den grandiosen Alpenblick genossen. Wir erleben trotz des vielversprechenden Namens rustikalen Service, aber den bayerischen Klassiker Steckerlfisch: Saiblinge und Forellen, ausgenommen, aufgespießt, mariniert und gegrillt – oberlecker! Weil wir mitgezählt haben, machen wir uns mit der Gewissheit, alle Gewässer des Fünf-Seen-Landes angefahren zu haben, auf den Rückweg. Unsere Pläne für den Folgetag sind schnell skizziert: Vormittags eine Ammerseerundfahrt an Bord des historischen Raddampfers Dießen. Am Nachmittag eine Wanderung durch das idyllische Kiental hinauf zum berühmten Kloster Andechs. Auf dem heiligen Berg werden wir den Kulturteil schnell abarbeiten, den kulinarischen bei Klosterbier und Schweinshaxe stundenlang genießen. Eben bayrisch guad!
Petri Heil, Mast- und Schotbruch: Die weiten Wasserflächen von Ammersee und Starnberger See sind beliebte Segel-, Bade- und Angelreviere.
Reiseinfos Pfaffenwinkel und Fünfseenland
Der Pfaffenwinkel präsentiert sich zwischen dem Lech im Westen, der Linie Landsberg-Starnberg im Norden, der Loisach im Osten und den Alpen im Süden. Ein interessanter Mix von Wiesen und Wäldern, Seen und Wasserläufen gestaltet diese sanft gewellte Landschaft. Der aussichtsreiche Hohe Peißenberg kratzt an der Tausendmetermarke und ist ein beliebter Motorradtreff. Keine andere Region Deutschlands hat mehr Kirchen, Klöster und Kruzifixe vorzuweisen. Zwischen dem Ammersee (47 km2 Fläche, bis zu 82 m tief) und dem Starnberger See (57 km2 Fläche, bis zu 127 m tief) liegen drei kleinere Gewässer, die zusammen das oberbayerische Fünf-Seen-Land bilden. Das Angebot an Einkehrmöglichkeiten ist vielfältig, das Straßennetz dicht und sehr gut in Schuss.
Über den AUTOR
Frank Sachau
Seit mehr als 30 Jahren ist Frank auf BMW GS-Modellen unterwegs zwischen Dänemark im Norden, der Toskana im Süden, den Pyrenäen im Westen und Polen im Osten. Zwischendurch führten die Reisen immer wieder in die Alpen: Zwischen Wien und Nizza blieb kein namhafter Pass unberührt. Und selbstverständlich kamen auch Deutschlands schönste Flecken unter die Räder.