Das Département Gard im Süden Frankreichs in der wohlklingenden Region Okzitanien ist ein wahres Motorrad-Eldorado – und nicht nur das. Es gibt viel zu entdecken: verschlafene Dörfer, in denen die Zeit scheinbar still steht, gut erhaltene Burgen, kulinarische Freuden, pulsierende Städte und natürlich haufenweise Kurven in den Cévennen – dem südöstlichsten Teil des Massif Central.

Sonntag, 6. Juni. Mein Motorrad ist bepackt mit allerlei Utensilien für sieben Tage Südfrankreich. Die knapp 700 km von zu Hause zum ersten Etappenziel in Anduze lege ich fast komplett auf der Autobahn zurück. Kilometerfressen ist also angesagt. In Le Pouzin, gehört noch zum Département Ardèche, verlasse ich die Autobahn, um die letzten gut 100 km über Land zu fahren. Auf dieser Route bekomme ich zum einen schon den ersten Einblick, was mich die nächsten Tage landschaftlich erwartet, zum anderen kann ich auch die Motorradreifen wieder etwas abrunden. Ich komme am späten Nachmittag in Anduze an und checke im Hotel du Garage des Cévennes ein. Dieses Gebäude war lange Jahre geschlossen, ehe Nicolas Pigeyre das Gebäude von Grund auf restaurierte. Nicolas betreibt im hinteren Teil des Gebäudes seine Werkstatt, in der er individuelle Motorrad-Customizeteile herstellt. Seine Firma EMD (Esteves Motorcycle Design) versendet Customparts für Harley Davidson und Triumph in die ganze Welt. Nach dem Abendessen gewährt mir Nicolas einen Einblick in seine Arbeitsweise und ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Seine CNC-Fräsmaschine beherrscht er aus dem FF. Viele mit Hingabe umgebaute Maschinen stehen einträchtig nebeneinander überall im Gebäude und bilden so ein kleines Customize-Museum. Wer als Motorradfahrer in Anduze übernachten möchte, für den ist diese Location ein absolutes Muss! Buchen funktioniert über die Website des Hotels. Die Website ist allerdings nur in französisch und es besteht keine Möglichkeit, die Sprache umzuswitchen. Im Hotel selbst kommt man aber mit englisch sehr gut durch. Noch am Abend treffe ich Sandra Olivet von Cévennes Tourisme, um an einer Führung durch Anduze teilzunehmen. Anduze, die Kleinstadt mit knapp 3.500 Einwohnern, taucht in den Geschichtsbüchern zum ersten Mal im 10. Jahrhundert auf und gilt als die Wiege der Seidenproduktion. Die Serikulutur wird mir Tage später noch einmal begegnen, dazu aber später mehr. Anduze hat einiges an Sehenswürdigkeiten zu bieten. Ich spaziere zuerst durch enge Gassen in Richtung Place du Marché. Hier bestimmt das Savoir Vivre das Geschehen. Dank den auch in Frankreich eingeführten Lockerungen nach mehreren langen, harten Lockdowns mit strengsten Ausgangsbeschränkungen spüre ich förmlich die Freude am Wiedererhalt des „normalen“ Lebens. Auf dem Place du Marché steht präsent der Place Couverte aus dem Jahre 1457 – der frühere Kastanienmarkt – und der Pagodenbrunnen (Fontaine Pagode) aus dem Jahre 1649, der damals ein Geschenk zweier Handelsleute war, die mit dem Oströmischen Reich Handel trieben. Vorbei am Place Notre Dame erreiche ich die Kirche Saint-Etienne, die 1688 erbaut wurde. Der Glockenturm selbst ist älter und wurde 1588 erbaut. Aus Zeitgründen spare ich mir eine Besichtigung des Inneren der Kirche und begebe mich direkt zu meinem persönlichen Highlight: dem Tour de L’Horloge. Der Turm ist ein ehemaliger Wachturm aus dem Jahre 1320. Nach der Zerstörung der Stadtmauern Anduzes Anfang des 17. Jahrhunderts blieb dieser von der Zerstörung verschont. Eine Uhr wurde 1569 installiert und ist bis heute die städtische Uhr. Im Inneren des Turms führt mich eine steile Wendeltreppe nach oben. Von dort habe ich einen herrlichen Ausblick auf das kleine Anduze und auf den weiter unten fließenden Gardon. Aus den Steinen des Gardon wurden in früheren Zeiten manche Gebäude in Anduze gebaut, was man beim aufmerksamen Hinsehen in der Altstadt noch gut erkennen kann. Das Entnehmen der Steine aus dem Gardon für den Gebäudebau wurde aber schon vor längerer Zeit strengstens untersagt. 

Fallert Achern Team

Der Place du Marché in Anduze mit dem ehemaligen Kastanienmarkt, Place Couverte aus dem Jahre 1457.

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Der Tour de l’Horloge aus dem Jahre 1320, von hier oben hat man einen schönen Blick auf Anduze.

Am nächsten Morgen bepacke ich wieder mein Motorrad und fahre direkt zur wenige Kilometer entfernten Bambouseraie en Cévennes in Générargues – einem rund 15 Hektar großen Bambusgarten. Die Sonne zeigt schon morgens was sie kann, aber es ist schön kühl unter den bis zu 15 Meter hohen, eng beisammen stehenden Bambuspflanzen. Im Bambusgarten finden sich mehr als 250 Arten dieser Süßgräser und einige mächtig gewachsene Bäume. Bambus futternde Pandabären habe ich allerdings keine gesehen. Die Anlage ist wunderschön angelegt und lädt zum Verweilen ein. Ein aus Bambus erbautes laotisches Dorf und der „japanische Garten“ sind die Top-Attraktionen für mich. Der Park ist vom 19. Mai bis 14. November durchgehend an jedem Tag geöffnet. In der „Bamboutique“ kann man auch noch das ein oder andere Souvenir erwerben. Ich könnte mich im Bambusgarten den ganzen Tag aufhalten, aber mein nächstes Ziel ruft: in Saint-Martin-de-Valgalgues befindet sich der Pôle Mécanique d’Alès – eine Rennstrecke, die in der Region ihresgleichen sucht. 

Ich treffe mich mit Jérémy Marin-Cudraz – dem Geschäftsführer des Rings – einem jungen, umtriebigen, rennsportbegeisterten Mann. Der ganze Ring selbst besteht aus vier anspruchsvollen Kursen für Karts, Motorräder, Rennwagen sowie Rallyeautos – in jeder Kategorie kann man sich austoben. Auf dem Hauptring mit 2,5 bis 3,3 km Streckenlänge trainieren an diesem Tag diverse Motorradteams. Selbst Motorradprofis wie der zweimalige Moto2-Champion und aktuelle MotoGP-Pilot Johann Zarco aus Frankreich trainieren zuweilen dort. Johann Zarco hält auch den Streckenrekord auf dem Circuit Vitesse, also dem Hauptring. Kurz nach Beginn der Mittagspause ist es mir auch möglich, drei Runden auf dem Hauptring zu drehen. Mit meiner vollbepackten Honda versuche ich, den Streckenrekord von Johann Zarco zu brechen, scheitere aber kläglich. Zum Mittagessen wird allerlei cévennische Kulinarik aufgetischt: unter anderem der allgegenwärtige Picodon (ein französischer Ziegenmilchkäse) und Schinken vom Duroc-Schwein (Baron des Cévennes). Diese Schweine mit einer rotbraunen Färbung werden im Freien aufgezogen und können sich frei im Gelände unter Eichen- und Kastanienbäumen bewegen. Pôle Mécanique bietet neben den klassischen Renntrainings auch Touristikfahrten, ähnlich dem Nürburg- bzw. Hockenheimring, an. Wer also gerne mal ein wenig Rennsport-Feeling sucht, wird bei Pôle Mécanique fündig. Obwohl in Frankreich die Lärmdebatte nicht hochgekocht wird wie hierzulande, gilt auf dem Ring eine dB-Begrenzung von 100 dB(A) unter der Woche; am Wochenende gar nur 95 dB(A). Termine und weitere Infos gibt’s auf der Homepage. 

Gegen 14 Uhr mache ich mich auf den Weg zur nächsten Attraktion: dem Maison du Mineur in La Grand-Combe. Hier wurde bis zur Schließung 1978 das für die damalige Zeit wertvolle Anthrazit (Steinkohle) gewonnen. Heute sind die Gebäude und der Fördertrum ein historisches Denkmal und ein extrem interessanter „lost place“. Im integrierten Museum kann man sogleich in die damalige Zeit eintauchen und sich genau vorstellen, wie knochenhart die Arbeit für die „Kumpel“ war. Damals stiegen die Bergleute in den installierten Käfigen, eigentlich Fahrstühle, auf bis zu 800 m hinab, um dort unten die Steinkohle zu fördern. Meist nur mit Stirnlampe und mit bis zu 15 kg schweren Presslufthammern ausgerüstet, wurde in Schichten durchgehend gearbeitet. Die originalen Geräte und Werkzeug können im Museum besichtigt werden. Geöffnet hat die Anlage mit Museum von Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen. Für Gruppen ist eine vorige Reservierung empfehlens- und wünschenswert. Weiter geht meine Fahrt durch kleine, kurvenreiche Landstraßen bis nach Concoules. Teilweise über sehr groben Asphalt. Bei solchem Straßenbelag muss jederzeit mit Rollsplit gerechnet werden. In einer Linkskurve rutsche ich auf eben diesem Rollsplit mit dem Hinterrad aus, kann die Honda aber zum Glück gut abfangen. Durch das Licht-Schatten-Spiel und dem rauen Asphalt ist besondere Vorsicht geboten. Auf dem Weg nach Concoules lege ich noch einen Stopp beim Château de Portes ein. Die Burg stammt aus dem 13. Jahrhundert und hat wegen ihrer Form, die einem Schiffsbug gleicht, den Spitznamen „un vaisseau en Cévennes“, was übersetzt „ein Schiff in den Cevennen“ bedeutet. Die Burg wurde durch die dort betriebenen Kohlebergwerke Anfang des 20. Jahrhunderts stark beschädigt, da der Untergund absackte. 1929 musste sie evakuiert werden. In den 60er Jahren wurde der Untergrund der Burg stabilisiert und 1969 ein Verein zum Erhalt der Burg gegründet. 1984 erhielt die restaurierte und mittlerweile sehr gut erhaltene Burg den Titel „historisches Denkmal“. 

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Das Chateau de Ports aus dem 13. Jahrhundert.

In Concoules besuche ich den Titusgarten. In dieser besonderen Gärtnerei werden über 250 Arten von Wasserlilien, fleischfressende Pflanzen und diverse Wasserpflanzen gezüchtet. Mathieu Edijio führt mich durch seinen Garten und erklärt die Bedeutung von Naturgärten und deren Biodiversität in perfektem US-Englisch. Die „Fütterung“ einer Venusfliegenfalle erlebe ich hautnah mit und bin erstaunt, wie blitzschnell diese besondere Pflanze zuschnappt. Einen Tee im „Atelier Titus Tea Garden“ kann ich aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr kosten. Wer aber genügend Zeit mitbringt, dem sei dies wärmstens, im wahren Sinn des Wortes, empfohlen. Mathieu hat jede Menge raffinierte Tee-Essenzen im Angebot. Gekühlte Getränke sind bei solch heißen Außentemperaturen nicht für Jedermann/-frau zu empfehlen – das kann schnell auf den Magen schlagen. Alle Pflanzen können über die Website bestellt werden und werden sicher und gut geschützt versandt. Die aktuelle Verfügbarkeit kann sofort abgefragt werden. Der Tag ist schon etwas fortgeschritten. Ich verabschiede mich von Mathieu und fahre Richtung Valleraugue. Dort möchte ich auf den Gipfel des Mont Aigoual, auf dem sich ein Observatorium befindet. Nach gut 100 km Fahrt erreiche ich den höchsten Punkt des Mont Aigoual – 1.567 m. Es ist bitterkalt und sehr windig hier oben. Meine warmen Klamotten lasse ich aber im Gepäck, allzu lange werde ich mich hier oben nicht aufhalten. Bei klarem Wetter kann man von hier oben das Mittelmeer, die Pyrenäen und den Gipfel des Mont Blanc sehen. Es ist kurz nach 18 Uhr. Leider hat das Observatorium und das angegliederte Museum für Besucher schon geschlossen. Für ein paar schöne Fahrfotos reicht die Zeit aber noch, um den Check-In im nächsten Zielhotel nicht zu verpassen. 

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Im Titusgarten gibt es Seerosen en masse.

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Auf dem Mont Aigoual ist es bitterkalt und windig.

Der Abend klingt in Le Vigan im Logis-Hotel Mas de la Prairie aus. Dort gibt es einen Pool. Bisschen schwimmen und abkühlen wäre jetzt noch schön. Aber das Abendessen wartet – man muss Prioritäten setzen. Am nächsten Tag wird Nîmes erreicht, wo eine Stadtführung auf mich wartet. Die Fahrt nach Nîmes führt wieder über die schon bekannten kleinen und kurvigen Straßen. Zwei Attraktion baue ich auf der Strecke mit ein: Den Cirque de Navacelles (siehe Einleitungsfoto zu diesem Bericht) und die kleine Stadt Sommières. Nach knapp 40 km erreiche ich den Cirque de Navacelles. Diese über 300 Meter tiefe Schlucht entstand zum einen durch starke Erosion der Kalkplateaus, zum anderen durch den Fluss Vis, der sich in die Landschaft eingegraben hat. Der Fluss Vis ist heutzutage eher ein Flüsschen und fließt gemütlich und beschaulich durch den kleinen Ort Saint-Maurice-Navacelles. Gleichzeitig zieht der Fluss hier schlängelnd die Grenze zwischen dem Département Gard und Hèrault. Von oben in den Talkessel geschaut, erkenne ich gut den im Volksmund „Auster“ genannten Fels Rocher de la Vierge. Etwas weiter links sehe ich den Wasserfall. Jetzt aber erstmal bisschen Landschaft genießen und ein paar Fotos schießen, bevor ich diesen einzigartigen Panoramablick wieder verlasse. Kurvig und steil geht’s herunter nach Navacelles. Hier in dem kleinen Dörfchen ist ein Fotostopp nochmal notwendig. Eine schöne alte Steinbrücke führt über den Fluss. Fotomotive wie aus dem Bilderbuch. Es wird Zeit Richtung Sommières aufzubrechen. 

Die Kleinstadt mit etwas über 4.500 Einwohnern entstand im 10. Jahrhundert und wird vom Fluss Vidourle durchkreuzt. Der Vidourle wird durch eine Brücke, die die Römer im 1. Jahrhundert n. Chr. erbaut haben, überspannt. Von den damals 200 Metern Länge mit insgesamt zwanzig Bögen sind heute nur noch sieben Bögen bei wesentlich weniger Länge übrig geblieben. Ich treffe mich mit Gabriele Salom vom Fremdenverkehrsbüro. Frau Salom stammt aus Deutschland und lebt schon viele Jahre hier in Sommières. Sie führt mich auf einem Spaziergang durch die Altstadt. Sommières hat seinen mittelalterlichen Charakter in der Altstadt bewahrt. Enge, verwinkelte Gassen mit unzähligen kleinen Läden laden zum Windowshopping ein. Der Vidourle, der an diesem Tag sanft in seinem Bett fließt, ist nicht zu unterschätzen. In der Vergangenheit füllte sich das Bett des Vidourle rasend schnell mit Wasser und überschwemmte die Altstadt – zuletzt im Jahr 2002. Die Brücke stand damals unter Wasser und war nicht mehr passierbar. Auf dem Place des Docteurs Dax findet jeden Samstag ein Markt statt, auf dem es allerlei regionale Spezialitäten zu kaufen gibt, von Leder über Stoffe bis zu kulinarischen Besonderheiten ist alles dabei. Am Nachmittag mache ich mich auf den Weg nach Nîmes, wo das Hotel schon auf mich wartet. Hier ist die Reise aber noch nicht zu Ende. Dieser Reisebericht wird im August fortgesetzt. Es erwartet Euch Nîmes, ein einzigartiges Zweiradmuseum, Entdeckungsfahrten mit einer Enduro und weitere Highlights der Tour. 

Über den AUTOR

Guido Schmidt

Inhaber und Verleger des bmm.
Fährt privat eine Honda CB 1100 RS.
Schreibt überwiegend Reiseberichte, über Regionales, Veranstaltungen und Produkttests.

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