Das südamerikanische Land an der Nordspitze des südamerikanischen Kontinents zeigt sich dem Besucher in seiner ganzen Vielfalt und Schönheit. Schneebedeckte Andengipfel, tropischer Regenwald, karibische Strände, endlose Wüstenlandschaft – ein Land wie geschaffen für eine Motorradtour. „¿Te gusta?“ fragt mich Iván mit einem verschmitzten Lächeln. Ob es mir hier gefällt, will er wissen – ich kann gar nicht auf die Frage antworten, so sehr bin ich von der spektakulären Landschaft gefangen. Wir haben nach mehrstündiger Fahrt das Ende des Kontinents erreicht, die nördlichste Spitze Südamerikas, Punta Gallinas. Gestartet sind wir in Santa Marta auf zwei landestypischen AKT 200 Enduros, die ausreichend Offroad-Qualitäten für unser geplantes Abenteuer aufweisen. Das erste Highlight ist Palomino, ein bunter Traveller-Treffpunkt an der kolumbianischen Karibikküste. Die Besonderheit für uns als Motorradfahrer ist, dass hier die Sierra Nevada, ein Küstengebirge mit Gipfeln von über 5.000 Meter Höhe, direkt auf die karibische See trifft. Tagsüber sind wir also in den kühleren Hügeln mit den Moppeds auf tropischen Dschungelpfaden unterwegs und finden uns abends mit einem Mojito in der Hand an der Strandbar wieder. Das Leben kann so schön sein! Ein Trip zum nördlichsten Punkt des Kontinents bedeutet allerdings, Abstriche beim Komfort zu machen. Von Palomino gelangen wir nach Riohacha, der Hauptstadt des Wüsten-Distrikts La Guajira. Hier gelten ganz eigene Regeln, denn die Wayuu-Indianer, denen das Gebiet gehört, haben sich quasi eine Art Freistaat innerhalb Kolumbiens erhalten. Sie bewirtschaften und bewohnen ihr karges Land wie vor 1000 Jahren und wie sie es für richtig halten. Aus diesem Grund befahre ich die Halbinsel in Begleitung meines Freundes Iván, dessen Mutter eine Wayuu-Indianerin ist, und der sich mit allen speziellen Gepflogenheiten bestens auskennt. Wir tanken unsere Motorräder mit venezolanischem Schmuggelsprit für ein paar Cent – etwas anderes wird hier gar nicht angeboten – und begeben uns auf unser Abenteuer in das „Outback“. Nach Riohacha erwarten uns Hitze, Steine, Sand, Geröll – es ist eine Fahrt durch karge aber doch auch abwechslungsreiche Wüste. Kolumbien gilt noch nicht lange als sicheres Reiseland, deswegen treffen wir hier kaum Menschen, nur zwei Landrover, die Touristen an Bord haben. Der Weg nach Punta Gallinas ist eine faszinierende Erfahrung: die Landschaften, die vorbeiziehenden Indianer, die Einsamkeit. Ganz nach Plan sind wir rechtzeitig zum Genießen des Sonnenuntergangs am Kap von Punta Gallinas und checken im „Hospedaje Alexandra“ ein. Authentischer geht es kaum, wir bekommen Hängematten ausgehändigt und dürfen sie unter dem einfachen Vordach aufhängen, wo wir wollen. Zum Abendbrot gibt es frisch gefangenen Fisch, wahlweise eine Languste, dazu Kokosreis, und danach machen wir es uns in unseren Hängematten gemütlich, die uns sanft im Wüstenwind in den wohlverdienten Schlaf schaukeln.
Von der heißen und trockenen Welt der Wüste bis zum tropischen Dschungel ist es in Kolumbien nicht weit. Wir fahren den wunderschönen Panorama-Highway an der Küste entlang und gönnen uns dann einen Abstecher in den verwunschenen Dschungel. Hier führt uns ein sich schlängelnder Eselpfad immer höher in die Kaffeeanbauregion der Berge. Das Klima ist angenehm kühl, und wir werden prompt von einer Bauernfamilie zum Mittagessen eingeladen. Diese Gastfreundschaft und Herzlichkeit ist in Kolumbien überall zu finden, nie fühlt man sich unwillkommen. Wir können leider nicht lange bleiben, denn unser Weg ist noch lang: in drei Wochen wollen wir es von der glühenden Sonne der Wüste bis zu den schneebedeckten Gipfeln der Andenkordillere und wieder zurück schaffen. Außer Natur steht natürlich auch ein bisschen Kultur auf dem Programm, wir lernen Aracataca, den Geburtsort von Gabriel García Márquez kennen und landen schließlich in dem von der Hauptstraße versteckten, kolonialen Juwel Mompox. Ein kleines Städtchen voller Geschichte, das direkt am größten Fluss des Landes, dem Rio Magdalena liegt. Die Hitze flirrt tagsüber unerbittlich in dieser Sumpflandschaft, Mensch wie Tier suchen den Schatten, aber bei Beginn der Dämmerung beginnt sich das Leben zu zeigen: Dutzende Leguane huschen über die Straße, Kühe und Pferde verlassen den Schatten der Riesenbäume und treffen sich am Fluss, an der Uferpromenade füllen sich die Restaurants mit Menschen. Ein bezaubernder Ort, den man nicht so schnell vergisst und der Einblicke in die kolumbianische Lebensweise gibt. Nach Mompox, das wir in einem kleinen Boot verlassen, welches uns mitsamt der Motorräder auf die anderen Flussseite bringt, steuern wir kühlere Gegenden an. Wir verlassen die „Ruta del Sol“ in Richtung Osten und genießen eine kurvige Gebirgs-Straße, die uns bis nach Playa de Belén führt. Hier ist durch jahrtausendelange Erosion eine bizarre Felslandschaft entstanden: der Naturpark „Los Estoraques“. Wir wandern durch die zerklüftete Natur und bestaunen die seltsamen Formationen. Gegen Mittag wird es auch hier ziemlich heiß, so dass wir mit den Motorrädern zu einem kühlen Fluss mit herrlichem Wasserfall fahren. Unsere weitere Route führt uns über einen Gebirgszug hinweg und dann wieder in die Ebene bis hin zur Stadt Cúcuta, die direkt an der Grenze zu Venezuela liegt. Zur Zeit sind die Beziehungen zu dem Nachbarland nicht die besten, weswegen wir hier nicht Halt machen, sondern direkt nach Pamplona weiterfahren. Nach der Hitze der vergangenen Woche ist Pamplona eine Überraschung: es ist kühl, nur 14 Grad. Gut, dass ich außer dem Crosshemd noch eine Jacke in der Gepäckrolle habe, die lege ich schon einmal gleich für den nächsten Tag bereit. Endlich geht es in die Anden, die asphaltierte Straße wechselt irgendwann in Schotter. Auf der Karte ist die Strecke als Bundesstraße eingezeichnet, aber außer zwei Trucks in Schrittgeschwindigkeit begegnet uns hier niemand. Eine tolle Landschaft, durch die wir uns immer höher schrauben, bis wir schließlich die 4.000 Meter Marke knacken – ab hier geht es wieder bergab. Natürlich halten wir am Gipfelpunkt und genießen die Aussicht, allerdings nicht ohne zu merken, dass die Luft hier ziemlich dünn ist. Schnelle Bewegungen werden sofort mit Schnappatmung bestraft. Okay, an die Höhe soll man sich peu à peu gewöhnen. Wir schieben noch eine Übernachtung in dem beschaulichen Capitanejo ein, bevor wir den berühmten Nationalpark El Cocuy ansteuern. Hier gibt es 15 Berggipfel, welche die 5.000 Meter überschreiten. Es ist die höchste Region der östlichen Andenkordillere. Am Fuße des Parks, auf gut verträglichen 3.000 Metern liegt das gleichnamige Dörflein El Cocuy, ein verschlafener Ort, der in der Hauptsache als Anlaufstelle für alle Trekker dient. Wir checken im „El Molino“ ein, ein supergemütliches Hostel, das Zimmer mit Garten um einen Mühlstein herum gebaut hat. Trotzdem raffen wir uns noch einmal auf und fahren bis zum höchsten Punkt im Nationalpark, den man mit dem Motorrad befahren darf. Hier gibt es einen Viewpoint auf 4.200 Metern, von dem aus man einen spektakulären Ausblick auf die schneebedeckten Gipfel hat. Zurück im Ort merken wir, dass wir froh sein können, im Hostel so gut bekocht zu werden. Denn in diesem Dorf werden buchstäblich ab 18 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt, nichts findet mehr statt, die Restaurants, die wir tagsüber gesehen hatten, haben nur mittags auf. Naja, für uns kein Problem, die superliebe Crew des „Molino“ verwöhnt uns mit einem Essen auf dem Balkon, wo wir uns in Wolldecken eingekuschelt haben und direkt den Vollmond über den Gipfeln beobachten können. Eigentlich fast zu kitschig, um wahr zu sein. Der nächste „Wow“-Moment lässt aber nicht lange auf sich warten.
Uns wurde vom Hotelbesitzer eine Schotterpiste empfohlen, die über zwei versteckte Bergdörfer bis nach Monguí führt. Wir fahren los und sind begeistert: vor uns die sich schlängelnde Schotterpiste im besten Zustand, knallblauer Himmel, und in glänzendem Weiß setzen sich die Berggipfel dagegen ab. Als wir wieder in Höhen von 4.000 Meter vorstoßen, sind wir mitten im „Páramo“, einer Vegetationsform, die es so nur in Kolumbien, Ecuador und Peru gibt. Der Páramo ist eine baumlose tropisch-äquatoriale Hochlandsteppe, die durch die kuriosen „Frailejones“ sowie Flechten und Moose bestimmt wird. Man findet sie oberhalb von 3.800 bis 4.700 Metern in feuchtem Klima vor. Fast immer stehen die Páramos unter Naturschutz, denn sie gelten als wichtige, natürliche Wasserspeicher des Landes. Heute ist ein Tag, an dem man es besonders zu schätzen weiß, mit dem Motorrad unterwegs zu sein. Ansonsten käme man hier kaum hin, es gibt keinen Bus- oder Autoverkehr und in den Dörfern Chita und Jérico, die wir passieren, hat man das Gefühl, in einer Zeitmaschine zu sein. Weit weg von allem hat sich ein Dorfleben wie in alter Zeit erhalten. Die meisten Menschen, die hier leben sind alt, denn auch in Kolumbien zieht es die Jugend in die großen Städte. Zurück bleiben ihre Eltern und Großeltern, die weiterhin die kleinen Felder bewirtschaften und das Vieh versorgen. Zweimal pro Woche ist Markttag und wir haben das Glück, mittendrin zu sein zwischen all den Lasteseln mit der Ernte und den Menschen, die sich hier auf einen Kaffee treffen. Iván und ich fallen als „Fremdlinge“ auf, man möchte Fotos mit uns machen, wir sind eine willkommene Abwechslung für die Menschen hier oben. Von Monguí aus finden wir eine traumhafte Offroad-Strecke an einem Fluss mit mehreren beeindruckenden Wasserfällen entlang, die uns in das berühmte Barichara führt. Viele Einheimische sagen, es wäre die schönste Stadt Kolumbiens und vielleicht haben sie sogar recht. In den sanften Hügeln der Region Santander eingebettet, zeigt sich das malerische Dorf mit seinen gepflegten Häusern und Pflastersteinstraßen. Gleich nach unserer Ankunft verschlägt es uns auf die quirlige Plaza, wo wir eine Delikatesse der Region angeboten bekommen: „hormigas culonas“, geröstete Ameisen mit extra dickem Hintern. Schmeckt nicht schlecht, aber ist insgesamt etwas zu trocken, wie ich finde. Hier in Barichara ist es so schön, dass wir uns einen Ruhetag extra gönnen, den wir auch zum Durchchecken der Bikes nutzen. Es bleibt nämlich noch eine weitere Herausforderung auf unserer Reise: die Fahrt nach Nabusímake! Nabusímake bedeutet in der Sprache der Arahuac-Indianer: Land, in dem die Sonne geboren wurde. Es ist für sie ein heiliges Fleckchen Erde und nur auf Anfrage und mit einem bewilligten „Permit“ darf man in dieses geheimnisvolle Dorf. Die Erlaubnis haben wir in der Tasche, nun müssen wir nur noch den Weg dorthin bewältigen. Es geht über zerklüftete Felsen, viele Auswaschungen, über Baumwurzeln und Steinbrocken. Kein einfacher Weg, aber es lohnt sich: Nach 2 Stunden lassen wir verschwitzt unsere Motorräder am Dorfeingang stehen und folgen einem jungen Mann, der uns die Geschichte der hier lebenden Indianer, ihre Mythologie und Mysterien erläutert. Sie leben in dem festen Glauben, dass man in Nabusímake den Zustand der Natur im Allgemeinen ablesen kann – sofern man eine schamanistische Ausbildung hat. Schon in den 1970er Jahren verließen die Häuptlinge der Arahuac ihr Dorf für eine mehrtägige Wanderung an die Küste, um die Menschen vor einer bestehenden Klimakatastrophe zu warnen. Sie wurden natürlich nicht erhört sondern verlacht und kehrten der Zivilisation wieder den Rücken zu. Ein Besuch bei den weisen Männern der Sierra Nevada ist eine Begegnung, die man nicht wieder vergessen wird. Von hier aus ist es nur noch eine Tagesetappe bis zum karibischen Meer. Es ist Ende November, die Regenzeit hat vor wenigen Wochen aufgehört, und alles ist noch fantastisch üppig, der Dschungel wuchert in einem satten Grün. Als wir an einem Fluss eine kurze Rast machen und uns mit dem kristallklaren Wasser das Gesicht benetzen, raschelt es plötzlich laut und vernehmlich über uns. Es ist eine Familie von Brüllaffen, die neugierig auf uns herunterschaut, fast so, als wollten sie uns sagen: „Sowas wie euch haben wir hier noch nie gesehen!“ Als wir die Motorräder wieder starten beginnt das Männchen auch prompt, seinem Namen alle Ehre zu machen und sein Gebrüll schallt durch den Urwald. Kolumbien steht in seiner Biodiversität an zweiter Stelle weltweit, man könnte jahrelang durch dieses faszinierende Land fahren und hätte immer noch lange nicht alles gesehen, was es an Flora und Fauna zu bieten hat. Eine dreiwöchige Motorradtour ist aber auf jeden Fall schon einmal ein sehr guter Anfang, der mich mit dem Wunsch nach Wiederholung zurückfliegen lässt. Ja, „¡ Me gusta acá !“ – es gefällt mir hier sehr.
Brita Matthiesen